Magische Anziehung

Seit Jahrzehnten versucht die deutsche Industrie bereits, ihre Magnetschwebebahn Transrapid auf hiesige Gleise zu stellen.

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Gut vorstellen kann man es sich schon – Edmund Stoiber, bayerischer Landesvater noch bis einschließlich Ende September, muss wohl jeden Tag der letzten Monate vor dem Zubettgehen ein kleines Stoßgebet gen Himmel geschickt haben: "Lieber Herrgott mach, dass das mit dem Transrapid noch klappt."

Offensichtlich hat ihn der Himmelsvater nun erhört: Heute konnte der CSU-Politiker in München mitteilen, dass der Freistaat Bayern, die Deutsche Bahn und die Industriezulieferer ThyssenKrupp und Siemens eine Realisierungsvereinbarung über den Bau der gut 37 Kilometer langen Strecke zwischen Münchner Hauptbahnhof und Flughafen Franz-Josef Strauß abgeschlossen haben.

Das hochumstrittene Projekt mit einem aktuellen Volumen von 1,85 Milliarden Euro wird von der oppositionellen SPD als eine Art "Abschiedsgeschenk für Stoiber" bezeichnet – und in der Tat wäre es die Krönung seines bayerischen Lebenswerkes, bevor er dann wie geplant in die Dienste der EU tritt.

Der Transrapid hat eine lange Geschichte. Das technische Konzept wurde 1934 vom niedersächsischen Ingenieur Hermann Kemper zum Patent angemeldet: Wie ein gekrümmter Finger umgreift das Fahrwerk den auf Betonstelzen ruhenden Fahrweg von beiden Seiten und macht so ein Entgleisen unmöglich. Für das sanfte Gleiten sorgen mehrere Magnetsysteme. Das erste zieht das Fahrwerk von unten an den Fahrweg heran. Der Wagen hebt sich. Bevor der Zug am Fahrweg haften bleibt, schaltet sich das Magnetfeld für Sekundenbruchteile ab. Durch regelmäßiges An- und Abschalten ergibt sich der permanente Schwebezustand, ein zweites Magnetsystem hält den Wagen seitlich in der Spur.

Die dritte Komponente ist die wohl faszinierendste: der ins Gleis integrierte Linearantrieb. Er funktioniert wie ein abgewickelter und in die Länge gezogener Elektromotor. Lässt man ein starkes Magnetfeld einen solchen Linearmotor entlang wandern, kann es tonnenschwere Gegenstände mit sich ziehen. Je schneller das Magnetfeld wandert, desto schneller wird auch der Zug. Der Transrapid-Rekord liegt derzeit bei 501 Kilometern pro Stunde.

Doch alle bisherigen Pläne, die Schwebezüge in der Bundesrepublik auf die (Ein-)Schiene zu heben, scheiterten kläglich. Da war nach der Wende beispielsweise das von der Regierung Kohl vorangetriebene Projekt, Berlin und Hamburg mit der Superbahn zu verbinden – die Planung der Strecke auf Stelzen war bereits weit fortgeschritten, bevor die Deutsche Bahn sich entschied, doch lieber die bestehende Eisenbahnverbindung auszubauen.

Denn der Superzug ist auch super teuer: „Die Kosten für eine mehrere hundert Kilometer lange Strecke sind enorm“, sagt Hartmut Buyken, Spezialist für den Bereich Neubaustrecken beim Fahrgastverband Pro Bahn. „Dafür müsste man nicht nur neue Gleise, sondern auch einen ebenso langen Linearmotor mit einer Unmenge von Magneten und Steuerungselementen verlegen – das ist unerschwinglich.“ Mit Nachdruck vertritt der Verband die Position, dass sich das viele Geld an anderer Stelle sinnvoller einsetzen lässt.

Gottfried Ilgmann, Verkehrswissenschaftler und Managementberater in Berlin, sieht das ähnlich: „In Deutschland und Europa ist nicht eine Strecke vorstellbar, wo sich ein solcher Aufwand lohnen würde – das Fahrgastaufkommen wäre nirgends groß genug, um die Kosten wieder einzufahren.“

Letztlich retteten die zukunftsversessenen Chinesen das schwächelnde deutsche Konsortium: In Shanghai ging zu Sylvester 2002 die erste kommerzielle Bahn in Betrieb, zur Anbindung des Flughafens Pudong über 30 Kilometer. Doch der Weg dorthin war alles andere als leicht: Zunächst begann die von den chinesischen Partnern gebaute Trasse abzusinken. Es gab Probleme mit fehlerhaften Magneten und falsch berechneten Kabeln. Erste Testfahrten gingen schief. Der Projektmanager der chinesischen Regierung, Commander Wu, machte den Deutschen Druck; Peking deutete an, dass man bei künftigen Bahnstrecken lieber mit den Franzosen oder Japanern zusammenarbeiten werde, wenn sich die deutsche Technologie als unzuverlässig erweise. Die Nervosität stieg; die Konsortiumspartner Siemens und ThyssenKrupp bekamen sich in die Wolle. Als die deutschen Medien Wind davon bekamen, dass auf der Shanghaier Baustelle nicht alles wie geplant lief, warfen sie den beteiligten Unternehmen vor, den guten Ruf der deutschen Industrie zu ruinieren. Das Vorzeigeprojekt drohte zum PR-Desaster zu werden.