Photonen als Wahlhelfer

Die Uni Genf hat sich für die Schweizer Nationalratswahl etwas ganz Besonderes einfallen lassen: Die Übertragung von Wahlstimmen wird mittels quantenkryptographischer Methoden kodiert – der erste Einsatz der Technik mit Echtdaten.

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Am 21. Oktober wird in der Schweiz über die große Kammer des Berner Parlaments, den Nationalrat, abgestimmt. Viel Beachtung auch im Ausland erhielt die Wahl vor allem deshalb, weil es im Vorfeld politisch mehr als turbulent zuging. Aber auch die IT-Wissenschaftswelt dürfte sich für den Urnengang in der Eidgenossenschaft interessieren. Der Grund: In Genf wird man zwei Wahlzentren über Glasfaser miteinander verbinden und die darüber laufenden Daten dann mit einem quantenkryptographischen Verfahren verschlüsseln.

"Es ist meines Wissens nach das erste Mal weltweit, dass eine Organisation nicht nur Quantenkryptographie testet, sondern die Technologie tatsächlich zur Absicherung echter, wertvoller Daten verwendet", sagt Gregoire Ribordy, Direktor der id Quantique SA, einem Spin-off der Universität Genf, das die verwendete Technologie kommerziell entwickelt hat. Die Genfer gelten als weltweite Pioniere bei der Technik: Am "National Center of Competence in Quantum Photonics Research", das vom Universitätsprofessor Nicolas Gisin geleitet wird, und seinen Vorläufern entstanden seit den frühen Neunzigerjahren die Grundlagen. "Für uns hat der Schutz der Nationalratswahl historische Bedeutung, weil wir nach mehreren Jahren des Entwickelns und Experimentierens die Quanten-Technologie in der realen Welt anwenden können", sagte Gisin.

Historisch ist in diesem Fall vor allem, dass es sich um echte Daten echter Wähler handelt – anstatt nur unwichtiges Versuchsmaterial zu versenden. Das geplante Set-up ist hingegen recht klein: Ein gewöhnliches Glasfaserkabel hängt zwischen den vier Kilometer voneinander entfernt liegenden Stationen "Uni Mail", einem Abstimmungslokal, sowie der Datensammelstelle "Acacias". Die Wahlzettel werden allerdings zunächst von Hand nachgezählt, bevor die Ergebnisdaten dann über das Kabel auf die (kurze) Reise gehen.

Die Quantenkryptographie kann als ideal für den Einsatzzweck gelten: Mit ihr lässt es sich zweifelsfrei nachprüfen, ob Informationen auf dem Weg vom Sender zum Ziel verändert wurden. "Es geht uns dabei weniger um den Schutz vor der Einsicht von außen", sagte der zuständige Genfer Staatsrat Robert Hensler, "sondern darum, dass wir sicherstellen können, dass die Daten zwischen Eingabe und Speicherung nicht verändert wurden."

Das Prinzip der Quantenkryptographie ist eigentlich einfach: Die Bits des kryptografischen Schlüssels, mit dem die zu übermittelnde Information kodiert wird, werden durch Quantenobjekte wie Photonen dargestellt. Hauptvorteil ist, dass diese Art der Verschlüsselung auf physikalischen Prinzipien aufsetzt und nicht auf menschengemachten Algorithmen, die mit entsprechend leistungsfähiger Rechentechnik eines Tages doch geknackt werden könnten.

Das bekannteste Verfahren, das auch von id Quantique verwendet wird, ist das „BB84-Protokoll“, benannt nach den Forschern Charles Bennett und Gilles Brassard, die es 1984 erfanden. Hierbei werden zwischen Sender und Empfänger einzelne polarisierte Photonen übertragen, die beim Empfänger durch einen Polarisationsfilter laufen. Nur wenn beim Empfänger die Polarisationsrichtung des Photons und die zufällig gewählte Filtereinstellung zusammenpassen, registriert er das Lichtteilchen. Im nächsten Schritt vergleichen Sender und Empfänger die Einstellungen ihrer Polarisationsfilter. Der kann dann mit Hilfe dieser Information nach einem vereinbarten Schema seine Messreihe in eine Bitfolge umwandeln, die den kryptografischen Schlüssel darstellt.

Ein Lauscher, der zwischendrin mit einem Polarisationsfilter die Lichtteilchen abfinge, würde durch diesen Messvorgang mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit deren Zustand verändern – und damit Fehler in die Bitfolge einschleusen, die Sender und Empfänger entdecken können. Im Unterschied zur makroskopischen Welt verändert in der Quantenwelt schon der bloße Messvorgang den Zustand von Quantenobjekten, weil Messgerät und Objekt miteinander wechselwirken. Ein Lauscher hinterlässt sozusagen immer einen Quantenfingerabdruck auf der Information, die er abgefangen hat. Ebenfalls wichtig: Die abgezweigten Photonen sind nicht klonbar – sie können also vom Angreifer nicht wieder zurück ins Netz eingespeist werden.

Der in Genf eingesetzte 1-Gigahertz-Quantenverschlüssler wurde von id Quantique entwickelt und soll für den Nutzer völlig transparent arbeiten. Sollte der Einsatz in Genf wie geplant verlaufen, könnte die Wahlverschlüsselung Keimzelle eines ganzen kleinen Quantennetzes werden. Innerhalb des so genannten "SwissQuantum"-Projektes soll in Genf ein Pilotnetzwerk entstehen, das die Forscher an der Uni Genf mit der Keimzelle des Internet in Kalifornien Anfang der Siebzigerjahre vergleichen. Die Region Genf scheint dafür durchaus ideal: Hier sitzen wichtige Banken und Versicherungen mit hohem Sicherheitsbedürfnis. (bsc)