Bewegungsfreiheit zwischen virtuellen Welten

Der Traum eines systemübergreifenden 3D-Internet rückt näher: Ein Firmenkonsortium verhandelt über eine bessere Kompatibilität der bei Second Life & Co. aktuell eingesetzten Technologien.

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Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Erica Naone

Virtuelle Welten sind heutzutage noch immer so genannte "Walled Gardens". Ihre 3D-Landschaften sind ähnlich abgegrenzt, wie früher die Angebote von AOL, Compuserve oder T-Online, die einst die Prä-Internet-Ära untereinander aufteilten. Eine über 20 Firmen starke Gruppe, an der wichtige Mitspieler wie IBM, Linden Lab (Second Life), Multiverse oder Forterra Systems teilnehmen, hat nun damit begonnen, Gespräche über eine bessere Vernetzung der heute verfügbaren virtuellen Welten zu führen. Das Ziel ist ein 3D-Internet, das auf gemeinsamen Standards aufbaut. Obwohl es bis dahin noch zahlreiche Fragen zu lösen gibt, ist eine Grundvoraussetzung eines solchen 3D-Internet doch glasklar: Die Nutzer müssen sich frei von einer Welt zur nächsten bewegen können, ähnlich wie man dies heute zwischen Websites tut.

"Wir sehen dies als nächsten logischen Schritt beim Wachstum des Internet an sich an", meint Michael Rowe, 3D-Internet-Manager und "Intraverse"-Leiter bei IBM, wo man bereits eine eigene, interne virtuelle Welt aufsetzt. Rowe hält die aktuelle "Walled Garden"-Situation für einen Hemmschuh bei der Fortentwicklung des Netzes, weil es äußerst schwierig sei, virtuelle Güter und Dienstleistungen an mehr als einem Ort anzubieten. Wer beispielsweise einen virtuellen Laden in verschiedenen virtuellen Welten aufbauen möchte, muss diesen separat für jede Welt gestalten und aufbauen – mit jeweils völlig unterschiedlichen Prozessen. Standards in einem 3D-Internet würden es dem virtuellen Unternehmer erlauben, seinen Kunden einen Link mitzuteilen, über den sie ihn in jeder virtuellen Welt erreichen können – ähnlich wie einen Web-Nutzer die Domain Amazon.com immer zu dem E-Commerce-Riesen führt.

Um die Nutzererfahrung in virtuellen Welten so reichhaltig wie möglich zu gestalten, müssen die Entwickler Rowe zufolge einen Weg finden, Objekte überall gleichförmig rendern zu können, egal in welcher virtuellen Welt – dazu gehört auch der Avatar des Nutzers, der ihn im 3D-Internet repräsentiert. Wer sich beispielsweise in der virtuellen Version der MTV-Sendung "Pimp My Ride" ein eigenes Fahrzeug gebaut hat, sollte es auch in der Linden Lab-Welt "Second Life" vorführen können. Damit das funktioniert, muss der darunter liegende Code in beiden Welten arbeiten. Mit 3D-Internet-Standards ließen sich diese Probleme lösen und Grenzen niederreißen, meint Rowe.

Doch die Probleme reichen tiefer als virtuelle Flitzer oder virtuelle Einkaufszentren. Der Virtual Reality-Pionier Jaron Lanier, Scholar in Residence am "Center for Entrepreneurship and Technology" der University of California in Berkeley, streicht die Bedeutung des Strebens nach einem 3D-Internet für die ganze Menschheit heraus: "Die menschliche Wahrnehmung ist darauf ausgelegt, im dreidimensionalen Raum zu arbeiten. Unsere Rechner müssen eines Tages eine 3D-Schnittstelle haben." Nur so könne das sich fortentwickelnde menschliche Gehirn mit Rechnerwelten in Deckungsgleichheit gebracht werden. Das 3D-Internet mit seinem Raumverständnis müsse mit der starken Vernetzung des 2D-Internet kombiniert werden.

Bis jetzt wurden jedoch nur wenige Schritte in diese Richtung unternommen. Jon Watte, Technologiechef von Forterra Systems, hat einen möglichen Standard vorgeschlagen, den seine Firma auch entwickelt. Er nennt sich "Paged Terrain Format" und soll virtuelle Welten auf eine gemeinsame Basis stellen. Das Format würde es unter anderem erlauben, 3D-Landschaften zu schaffen, bei denen sich verschiedene Systeme auf die Eigenschaften eines bestehenden virtuellen Geländes einigen könnten. "Paged Terrain Format" setzt dazu auf qualitativ hochwertige Grafiken – eine Funktionalität, die Watte zufolge heutigen 3D-Standards oft fehlt, da diese eigentlich für das Militär entwickelt wurden. Forterra will seinen Standard anderen Unternehmen kostenlos zur Verfügung stellen.

Andere Firmen, darunter Multiverse und Second Life-Mutter Linden Lab, haben ebenfalls Plattformen entwickelt, die von unabhängigen Entwicklern verwendet werden können, um virtuelle Welten leichter aufzubauen. Ergebnis könnten Netzwerke virtueller Welten seien, die Interoperabilität bieten, weil sie aus den gleichen Code-Bausteinen bestehen. Die Verknüpfung verschiedener Plattformen fehlt dabei allerdings.

Corey Bridges, Mitbegründer von Multiverse, meint, dass seine Firma Code geschaffen habe, den Entwickler nach Gutdünken in ihren Projekten einbauen könnten. So sei es möglich, Avatare mit der Multiverse-Plattform über 3D-Welten-Grenzen hinweg zu verwenden. Das Hauptproblem dabei sei aber, die Plattformen flexibel genug zu gestalten, so dass die Entwickler nicht gezwungen seien, die gleiche Welt immer und immer wieder zu bauen. Gleichzeitig sei Konsistenz gefragt, um die Verbindung zwischen Welten aufrecht zu halten.

Cory Ondrejka, Technologiechef bei Linden Lab, sieht als ersten Schritt hin zum 3D-Internet die Begutachtung bestehender Kandidaten für entsprechende Standards. Er wolle sich unter anderem Systeme wie OpenID ansehen, mit denen die Nutzer Informationen über ihre Online-Identitäten speichern können, um sie dann von Welt zu Welt zu tragen.

Lanier, der selbst diverse Geschäftsbeziehungen zu Personen im Umfeld aktueller virtueller Welten unterhält, sagt, er hoffe sehr, dass ein 3D-Internet ein Erfolg werde. Doch ist er skeptisch, ob es möglich ist, die Entwickler tatsächlich zu einem gemeinsamen Standard zu bewegen. Es geht dabei um viel: IBM und Microsoft seien gute Beispiele dafür, wie viel Geld man mit der Etablierung einer solchen Grundlagentechnologie machen kann. Lanier glaubt auch nicht daran, dass sich ein 3D-Internet-Standard ähnlich entwickeln werde, wie etwa die Web-Sprache HTML. Statt einer abstrakten Definition sei eher ein durchdachtes API-Paket zu erwarten, dass ähnlich wie Adobes "Flash"-Technologie im Bereich von Multimedia-Internet-Anwendungen Maßstäbe setze. (bsc)