Der infiltrierte Schwarm

Wissenschaftler haben erstmals experimentell gezeigt, dass Roboter allein durch ihr Verhalten eine Gruppe von Küchenschaben zielgerichtet beeinflussen können.

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Ein internationales Team von Wissenschaftler hat erstmals experimentell gezeigt, dass Roboter allein durch ihr Verhalten eine Gruppe von Küchenschaben zielgerichtet beinflussen können. José Halloy von der Université Libre de Bruxelles und seine Kollegen der EPFl Lausanne und der ETH Zürich beschreiben ihre Arbeit in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsjournals Science (Social Integration of Robots into Groups of Cockroaches to Control Self-Organized Choices, Science, Vol. 318, S. 1155).

Normalerweise bevorzugen Küchenschaben möglichst dunkle Ecken als Versteck. Halloy und Kollegen bot den Schaben nun innerhalb einer kreisförmigen Arena zwei verschieden helle Unterstände an. Dann setzten die Wissenschaftler zu der kleinen Schaben-Gruppe einige autonome, mobile Reihe von Roboter, die sie zuvor mit einem Duftstoff präpariert hatten. Die "InsBots" waren darauf programmiert waren, sich ähnlich wie die Schaben zu verhalten: In zufällig ausgewürfelten Richtungen und unregelmäßigen Zeitabständen die Umgebung zu erkunden, sich nicht zu weit von anderen Individuen zu entfernen, die Helligkeit der Umgebung zu prüfen, Hindernissen auszuweichen und den Schutz es möglichst dunklen Unterstandes zu suchen. In ersten Experimenten konnten die Wissenschaftler zeigen, dass die Täuschung gelang. Programmierten sie die Roboter darauf, den helleren Unterstand zu bevorzugen, konnten diese ihre biologischen Artgenossen sogar aktiv beeinflussen. Obwohl in der Minderheit, konnten die Roboter die große Masse der Schaben in der Regel dazu bewegen, ihnen zu folgen.

Obwohl Halloy versichert, seine Forschung habe keine unmittelbaren Anwendungen, dürfte der Aufsatz möglicherweise das Interesse mancher Militärs hervorrufen. Denn das Experiment wirkt auf den ersten Blick zwar simpel, hat aber nicht völlig umsonst fünf Jahre Zeit und rund eine Million Euro Forschungsgelder verschlungen.

Denn das Zentralnervensystem von Insekten besteht aus etwa 10 5 bis 10 6 Neuronen – das ist, gemessen an dem von Säugetieren nicht viel – und tatsächlich ist das Verhaltensrepertoire einzelner Insekten-Individuen ziemlich eingeschränkt. Einzelne Bienen, Termiten oder Ameisen sind nicht nur rein körperlich überhaupt nicht in der Lage, komplizierte Aufgaben zu bewältigen; auch ihre geistigen Fähigkeiten reichen dafür nicht aus. Im Schwarm aber scheinen die Tierchen eine eigene Art von Intelligenz zu besitzen, die sich auf geheimnisvollem Wege aus dem Nichts manifestiert, aber nicht zentral gesteuert wird.

1959 führte der französische Biologe Pierre-Paul Grassé erstmals den Begriff der „Stigmergy“ ein, um zu erklären, wie Termiten ihre Nester bauen – ein Kunstwort, abgeleitet aus den griechischen Vokabeln stigma (Zeichen) und ergon (Aktion, Handlung). Das Prinzip ist simpel: Die einzelnen Termiten verändern durch ihre Bautätigkeit im Laufe der Zeit ihre Umgebung. Der äußere Reiz der veränderten Umgebung führt wiederum dazu, dass die Termiten von einer Verhaltensweise zu einer anderen "umschalten": Zu Beginn des Nestbaus nehmen Termiten beispielsweise Erde auf, vermischen sie mit Speichel und drehen sie zu einem Pellet. Mit diesem Pellet laufen sie herum, und lassen es mit einer geringen Wahrscheinlichkeit irgendwo fallen. Die Wahrscheinlichkeit wird jedoch sehr viel größer, wenn an diesem Ort bereits Pellets liegen.

Die Idee lässt sich verallgemeinern: Die einzelnen Individuen haben nur beschränkte Sensordaten. Sie arbeiten nach einfachen verhaltensbasierten Regeln und kennen nur lokale Wechselwirkungen mit der Umgebung oder mit anderen Individuen. Und obwohl die einzelnen Individuen weder wissen, dass sie Bestandteil eines Schwarm sind, noch einem großen Plan folgen, kann sich daraus kollektiv planvolles Verhalten entwickeln.

Wenn Ameisen beispielsweise in der Umgebung ihres Nestes nach Futter suchen, markieren sie ihren Weg mit speziellen Chemikalien – so genannten Pheromonen -, die andere Ameisen riechen können. Wenn sie mit Futter zu ihrem Bau zurückkehren, verstärken sie die Pheromonspur ihres Hinweges und veranlassen so andere Ameisen, diesem Pfad zu folgen. Diese positive Rückkopplung löst einen Selbstorganisations-Effekt aus: Mit der Zeit folgen immer mehr Ameisen dem stark duftenden Pfad und verstärken ihn so weiter, was wiederum dazu führt, dass noch mehr arbeitslose Ameisen rekrutiert werden und so weiter ... Gibt es mehrere Wege zum Futtertopf, führt dieser einfache Rekrutierungsmechanismus dazu, dass die ganz überwiegende Zahl der suchenden Ameisen den kürzesten Weg zum Futter einschlägt, denn innerhalb eines bestimmten Zeitabschnitts markieren mehr Ameisen den kürzeren Weg, und machen ihn damit in der Auswahl attraktiver.

Das ist bislang jedoch nur eine – wenn auch bestechende und elegante – Theorie, die unter Gelehrten noch immer diskutiert wird. So wenden einige Zoologen ein, dass Stigmergy die einfachen Aspekte des Nestbaus erklären kann, nicht aber die komplexen Strukturen wie spiralförmige Rampen oder Poren, und dass die Theorie weder das Ende des Nestbaus noch die Fehlerkorrektur erklärt. Und auch die Erklärung mit den Pheromonen hat gleich mehrere Haken: Denn ein solches System könnte weder angemessen darauf reagieren, dass ein verfügbarer kurzer Weg plötzlich verstopft – das so genannte "Blocking Problem" - , noch dass sich nachträglich plötzlich ein kürzerer Lösungsweg auftut. Fähigkeiten, über die Ameisenkolonien aber durchaus verfügen.

Um das Modell zu retten, postulierten die Wissenschaftler, dass die Pheromone mit der Zeit relativ schnell verdunsten – eine Forderung, die leider nicht mit den Beobachtungen übereinstimmt. In diversen Experimenten konnten die Zoologen dagegen beobachten, dass die Tierchen beispielsweise über einen ausgeprägten Sinn darüber verfügen, in welcher Richtung sie relativ zu ihrer Heimatkolonie laufen und die Rate, mit der sie Pheromone auf einer Spur fallen lassen, davon abhängig ist, ob sie ihrem Nest dadurch näher kommen oder nicht. Während die Biologen noch eifrig darüber diskutierten, griff das Virus dieser Idee jedoch auch auf andere wissenschaftliche Disziplinen über.Software-Entwicklern wie Ruud Schoonderwoerd genügte allerdings schon das oben skizzierte Modell, um auf dieser Grundlage Algorithmen zu kreieren, die beispielsweise den Verbindungsaufbau und Informationsfluss in Telefon- und Computernetzen kontrollieren.

Der Ansatz zeigt hier allerdings seinen großen Haken: Bisher kann man zwar bestehende Systeme modellieren, und diese Modelle auf einzelne Probleme wie Routing oder Logistik anwenden. Der umgekehrte Weg – ein Schwarmsystem so zu konstruieren, das es ein bestehendes Problem löst – ist noch verbaut. Nun zeigt die Arbeit von Halloy und Kollegen eine Möglichkeit, wie man Schwärme zumindest gezielt beeinflussen kann. (wst)