Warnung vor dem Sturm
Wettlauf gegen die Zeit: Hurrikan-FrĂĽhwarnsysteme arbeiten mit Satellitenbeobachtung und Modellrechnungen.
- Susanne Donner
Sonntag vor einer Woche: Es ist früher Nachmittag in Miami. Die Mittagshitze drückt bleiern auf die Stadt. Doch im National Hurricane Center geht es ungewöhnlich hektisch zu. Schuld ist Hurrikan Katrina. Der tropische Wirbelsturm rast auf die Bundesstaaten Louisiana, Mississippi, Alabama und Florida zu. Er wird in den nächsten 24 Stunden mit Windgeschwindigkeiten von etwa 280 Kilometern pro Stunde auf die Küste prallen, prophezeien die Meteorologen. "Ein verheerender Hurrikan bedroht die Nordküste des Golfes von Mexiko", titelt die Warnmeldung des Hurrikan-Zentrums. "Einige Dämme in der Gegend von New Orleans könnten brechen."
Zurzeit mĂĽssen Tausende Amerikaner leidvoll erfahren, dass die Wetterexperten mit ihrer Vorhersage ins Schwarze getroffen haben. In New Orleans lieĂź die Flut einen Damm auf weiter Strecke bersten. Fast die gesamte Stadt steht seither unter Wasser. 100000 Menschen sind eingeschlossen.
Mit solch einem Ausmaß der Katastrophe haben nicht einmal die Fachleute gerechnet. "Der genaue Schaden, den ein Hurrikan anrichten wird, ist kaum vorauszusehen. Doch für den Hurrikan kann durchaus vorhergesagt werden, wann und mit welcher Intensität er auf Land treffen wird", erklärt Michael Kunz vom Institut für Meteorologie und Klimaforschung an der Universität und dem Forschungszentrum Karlsruhe.
Jeder Hurrikan wird über dem Ozean geboren, zwischen dem 5. und 25. Breitengrad nördlich und südlich des Äquators. Hat sich das Meer dort auf mehr als 26 Grad Celsius aufgeheizt, saugt sich die warme Luft darüber mit Wasserdampf voll. Ein Zentrum mit niedrigem Luftdruck bildet sich und zieht immer mehr feuchte Luft an. Die Wolken formieren sich zu einer rasenden Spirale, die westwärts wandert, über viele tausend Kilometer, bis nach Amerika. Im Zentrum der Wolken-Spirale klafft eine kreisrunde, zehn bis vierzig Kilometer große Lücke, in der kein Lüftchen weht und der blaue Himmel zu sehen ist: Das Auge des Sturms.
Satelliten erkennen einen Hurrikan bereits, während er seinen düsteren Tanz über dem Meer beginnt. Sie messen die Strahlung, welche die Erde und ihre Atmosphäre ins All zurückwerfen. Dadurch können die Fachleute einzelne Wolkenmuster ausmachen und erkennen anhand der Anordnung der Wolken die charakteristische Hurrikan-Spirale.
"Die Experten lassen den Wirbelsturm von nun an nicht mehr aus dem Auge", erläutert Kunz. Sie verfolgen seine Bahn, messen die Temperatur in der umgebenden Atmosphäre und den Luftdruck im Inneren des Hurrikans, um abzuschätzen, wie viel Wasserdampf er noch aus dem Ozean tankt. Das entscheidet mitunter, wie stark der Wirbelsturm letztendlich tobt. Aus allen Daten versuchen die Experten mit aufwändigen Computermodellen die Intensität und die Zugbahn vorauszuberechnen. Dabei helfen historische Aufzeichnungen früherer Hurrikane.
Die Vorhersagen sind um so zuverlässiger, je exakter die Meteorologen über das Geschehen im Hurrikan Bescheid wissen. "Hurrikane sind kleinräumige Systeme mit einer Ausdehnung bis zu 500 Kilometern. Aufgrund ihrer komplexen Struktur kann mit Wettersatelliten allein nicht darauf geschlossen werden, wie sie sich entwickeln", weiß Kunz. Deshalb schicken die Meteorologen zusätzlich "Hurrikanjäger" der U.S. Air Force mit Spezialflugzeugen in das Auge des Wirbelsturms. Eine gefährliche Mission. Die Piloten werfen im Inneren des Sturms mit Ballons ausgestattete Messsonden ab, die alle zwei Sekunden die Windgeschwindigkeiten und -richtungen, Lage und Größe des Auges, sowie den Luftdruck, die Feuchte und die Temperatur aufzeichnen. Außerdem übermitteln Schiffe und Bojen die Temperatur der Luft und des Wassers sowie die Wellenhöhe. Alle Informationen fließen im Nationalen Hurrikan-Zentrum in Miami zusammen. Die Fachleute füttern die Messwerte in ihre Computermodelle und korrigieren so laufend die Prognosen.
Je näher der Hurrikan der Küste kommt, desto genauer lässt sich sagen, wo und wann er aufschlagen wird. "Eine zuverlässige Aussage über den genauen Ort des Auftreffens ist oft erst einige Stunden vorher möglich", erklärt Doris Anwender vom Institut für Meteorologie und Klimaforschung an der Universität und dem Forschungszentrum Karlsruhe. Wenn der Hurrikan in 48 Stunden in New Orleans erwartet wird, ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Wirbelsturm tatsächlich, wie angekündigt, dort zuschlägt nur 25 Prozent, erklärt das Hurrikan-Zentrum. Dennoch muss die Evakuierung der Stadt zu diesem Zeitpunkt beginnen. Würde man ausharren, bis die Vorhersage wenigstens mit 50 prozentiger Wahrscheinlichkeit eintritt, wäre es zu spät zu fliehen. Erst zwölf Stunden bevor der Hurrikan ankommt, liegt die Trefferquote bei 75 bis 85 Prozent.
"Besonders die voraussichtliche Zugbahn ist schwer berechenbar", sagt Anwender. Einen Tag vorher können sich die Meteorologen durchaus noch um 100 Kilometer vertun. Das Hurrikanauge kann unvermittelt die Richtung ändern und anders als von den Experten vermutet, seine Route fortsetzen. So passiert es immer wieder, dass der Sturm an einer Küstenregion aufschlägt, die nicht früh genug gewarnt wurde.
Doch Anwender ist überzeugt, dass es künftig gelingen wird, Hurrikane besser einzuschätzen. "Die Genauigkeit der Computermodelle und die Satellitenbeobachtungen machen gewaltige Fortschritte", sagt sie. Einige Einflüsse auf den Sturm fallen in den Modellen aber bislang noch unter den Tisch. Beispielsweise interagieren die Wellen mit dem Sturm, wie Forscher um Il-Ju Moon von der Universität Rhode Island herausfanden. Die Wogen können die Windböen anschubsen oder abbremsen, aber auch auf einen neuen Kurs bringen. Dennoch glaubt Kunz, dass eine verlässliche Frühwarnung die Menschen nicht gänzlich vor Unheil bewahren kann: "Bei Katrina war die Vorhersage sehr gut, sogar die Zugbahn stimmte." Das Problem sei aber, dass die Menschen die Gefahr nicht immer ernst nähmen oder die Warnungen sie nicht erreichen würden.
Setzen einige Menschen vielleicht gerade darauf, dass die Wetterexperten sich irren und alles glimpflich ausgeht? Schließlich ist man trotz der jährlichen Warnungen in den USA schon das ein oder andere Mal von den Verwüstungen des Sturms verschont geblieben.
Von Susanne Donner (wst)