Überholspur zur Fusionsenergie

Das Megaprojekt ITER verspricht seit Jahrzehnten vergeblich billigen und sauberen Strom aus der Kernfusion. Private Unternehmen wollen dieses Versprechen tatsächlich einlösen.

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Überholspur zur Fusionsenergie

Der Joint European Torus (JET) im britischen Culham.

(Bild: EUROFusion/CCFE)

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Im französischen Cadarache entsteht das internationale Projekt eines Fusionsreaktors ITER. Es verspricht billigen und sauberen Strom aus der Kernfusion. Bislang aber weitgehend vergeblich: Ursprünglich sollte ITER 2017 in Betrieb gehen, zuletzt war von 2023 die Rede. Private Unternehmen wollen nun das ITER-Versprechen tatsächlich einlösen.

Zu den Herausforderern zählt beispielsweise Tokamak Energy - ein Start-up aus Milton Park in der Nähe von Oxford. Ihr ST25 sieht zwar auf den ersten Blick aus, wie aus der Bastlerwerkstatt. Doch die Selbstbau-Optik täuscht. Die Briten setzen auf "sphärische Tokamaks", berichtet Technology Review in seiner aktuellen Ausgabe der TR 11/2015 (jetzt neu am Kiosk und online zu bestellen).

Sphärische Tokamaks sind Fusions-Reaktoren, die im Prinzip ganz ähnlich funktionieren, wie es auch bei ITER geplant ist: Magnetfelder halten heißes Deuterium-Tritium-Plasma im Inneren eines Vakuumgefäßes fest, das so lange aufgeheizt wird, bis die leichten Kerne zu Helium verschmelzen.

Die sphärischen Tokamaks sind gestaucht, was den magnetischen Druck größer machen und damit eine kleinere, kompakte Bauweise ermöglichen soll. Fernziel der Briten: Ein Reaktor mit rund vier Metern Durchmesser, der 150 Megawatt Leistung liefern soll. Der kleine Demonstrator, den die Briten gebaut haben, zeigt schon mal, dass man dafür supraleitende Spulen verwenden kann.

Aber das Rennen ist offen: Eine gute Handvoll weiterer Unternehmen arbeiten an alternativen Reaktorkonzepten für die Fusionsforschung. Viele peilen an, spätestens in zehn Jahren erste Fusionskraftwerke zu bauen. Am meisten Geld hat Tri Alpha Energy eingesammelt: rund 150 Millionen Dollar. Als Geldgeber beteiligen sich etwa die Investmentbank Goldman Sachs und das Unternehmen von Microsoft-Mitgründer Paul Allen, Vulcan.

Die 1998 von den Plasmaphysikern Norman Rostoker von der University of California, Irvine und Hendrik J. Monkhorst von der University of Florida gegründete Firma gilt als extrem verschlossen. Im Juni lüftete das Unternehmen zumindest ein klein wenig den Schleier: Zum ersten Mal veröffentlichte es wissenschaftliche Ergebnisse zu seinen Experimenten. (Lesen Sie dazu auch: Fusionsenergie: Näher an der Sekunde dran)

Auf Platz zwei der privaten Investitionen folgt General Fusion. Das kanadische Unternehmen hat mittlerweile rund 84 Millionen Dollar eingesammelt – unter anderem von Amazon-Gründer Jeff Bezos. Die Idee von Firmengründer Michel Laberge wirkt recht exotisch: General Fusion will eine Plasmakugel in einen Wirbel aus flüssigem Metall einschließen. Diesen Wirbel will sie dann mithilfe von Schockwellen extrem schnell zusammendrücken. Dabei soll der Druck im Inneren so stark zunehmen, dass die Atomkerne im Plasma verschmelzen.

In den vergangenen zwei Jahren hat das Unternehmen mit Computersimulationen am Design für die Reaktorkammer gefeilt. Denn die wird nach Angaben von Michel Delage, Vizepräsident für Technologie und Unternehmensstrategie bei General Fusion, mit 200 Kompressionskolben bestückt. Der zweite Schwerpunkt ist laut Delage die Arbeit an den Plasma-Erzeugern. Dichte und Temperatur des Plasmas sind laut Delage "überraschend gut", man kämpfe aber noch mit "Instabilitäten".

Der finnische Kernphysiker Thomas Linden, der am Teilchenbeschleuniger Cern arbeitet, beobachtet die Fusionsszene seit Jahren. „Jedes der alternativen Konzepte beruht auf bekannten physikalischen Prinzipien und in vielen Fällen auf über zehn Jahren Forschung“, sagt er. „Ich würde also nicht sagen, das ist alles spekulativ.“ Einen klaren Favoriten möchte er aber nicht benennen. In allen Fällen müssten weitere Experimente erst noch zeigen, „was funktioniert und was nicht“. Das Wettrennen dürfte also noch spannend werden. (Wolfgang Stieler) / (bsc)