Kommentar: Bye-bye M-System

Jahrzehntelang hinkte Leica dem technischen Fortschritt mit großem Abstand hinterher. Mit der Leica SL probt man nun den ganz großen Wurf und zieht mit den Japanern gleich. Das bleibt nicht ohne Folgen für das M-System.

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Sascha Steinhoff

Der deutsche Traditionshersteller Leica galt einmal beim Kamerabau als innovativ und technisch führend, aber das ist sehr lange her. Spätestens seit den 1960er Jahren hatten die Japaner Leica gnadenlos abgehängt. Technische Innovationen wurden – wenn überhaupt – Jahrzehnte nach der Konkurrenz eingeführt. Mit der Leica SL wird nun alles anders. Die SL ist eine moderne Kamera und das ist für Leica-Verhältnisse geradezu revolutionär.

Wie früher die Uhren tickten, sieht man am M-System. Das M-System kam erst dreißig Jahre (!) nach der Einführung der Zeitautomatik in den Genuss derselben. Der Sputnikschock der Kameraindustrie hatte die Produktportfolios aller großen Hersteller in kürzester Zeit komplett umgekrempelt. Doch nicht bei Leica, dort wurde das Thema Autofokus hartnäckig ausgesessen. Im M-System fokussiert man immer noch von Hand. Immerhin hatte man mit dem M-System überhaupt den Sprung ins digitale Zeitalter geschafft, das R-System ist just daran zugrunde gegangen.

Ein Kommentar von Sascha Steinhoff

Sascha Steinhoff ist Redakteur bei c't Digitale Fotografie und schreibt seit 2008 regelmäßig über techniklastige Fotothemen. Privat ist er seit analogen Zeiten bekennender Nikon-Fanboy, beruflich ist er da flexibler. Als Softwarespezialist kümmert er sich insbesondere um die Themen Raw-Konvertierung, Bildbearbeitung und Bildarchivierung.

Andere Errungenschaften der Moderne wurden nachträglich rangedengelt, weil man sich vor grundlegenden Veränderungen scheute. Zoomobjektive und optischer Messsucher, das geht beispielsweise schwer zusammen. Stattdessen behalf man sich mit ulkigen Konstrukten wie einer dreistufigen Festbrennweite. Über einen elektronischen Aufstecksucher konnte man immerhin ein Zoom aus dem eingestellten R-System adaptieren. Auch das ist sicherlich keine elegante Lösung. Nicht einmal für einen Handgriff hat es gelangt, auch den muss man nachträglich dranschrauben.

In diese traditionsverliebte Beschaulichkeit ist nun die Leica SL wie ein Donnerhall gekracht. Die SL hat alles, was der M fehlt. Über einen schnellen Autofokus braucht man heute nicht mehr zu reden. Der ist bei der SL laut Eigenwerbung selbstredend da, genauso wie 4K-Video. Leica verspricht gar den schnellsten Autofokus aller professionellen Kameras – einschließlich Spiegelreflexkameras. Ob das so stimmt, wird man sehen. Die Leica T war ja eher langsam unterwegs.

Eine ganze Armada von Dichtungen schützt bei der SL Kamera und Objektive im Außeneinsatz. Beim M-System ist nur der Body gedichtet, Bajonett und Objektive sind es nicht. Die neuen SL-Objektive decken den praxisrelevanten Brennweitenbereich von 24 bis 280 Millimetern vernünftig ab. Bisher war ein 135er das lange Teleobjektiv im M-System. Raus aus der Vitrine, rein ins Fotovergnügen, das ist die neue Devise.

Endlich hat Leica eine zeitgemäße Kamera, die man guten Gewissens gegen die Spiegellosen von Sony in die Schlacht schicken kann. Wenn die SL nur halbwegs hält, was sie verspricht, dann wird sie dem angestaubten M-System und dem dazugehörigen Zoo obskurer Erweiterungen in Kürze den Garaus machen.

Die spannende Frage ist nun: Wie werden die Leica-Fans mit dem neuen Tempo in Wetzlar zurechtkommen? (sts)