Telekom-Chef: Weniger Regulierung für alle

Die europäischen Provider machen immer geringere Umsätze, während Konzerne wie Facebook und Google reichlich Gewinne einfahren. Die Großprovider fordern nun Hilfe vom Gesetzgeber – und erhalten Unterstützung aus dem Bundeswirtschaftsministerium.

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Plenarsaal im Bonner Wasserwerk

Im alten Plenarsaal im Bonner Wasserwerk debattierten Branchenvertreter die Zukunft der Regulierung der Telecom-Märkte. Es spricht Jochen Homann, Präsident der Bundesnetzagentur.

(Bild: heise online/Kleinz)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Torsten Kleinz
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Große europäische Provider wie die Telekom fordern eine Lockerung der Regulierung, um Waffengleichheit mit Diensteanbietern wie Google oder Facebook herzustellen. Das Verhältnis der Provider zu diesen "Over-the-Top"-Diensten (kurz: OTT) war Thema einer Konferenz der Bundesnetzagentur am Dienstag in Bonn. Große Hoffnungen die Internet-Dienste zu regulieren hatte dort niemand – stattdessen plädieren die Branchenschwergewichte für eine Aufhebung oder deutliche Reduzierung ihrer eigenen Regulierung.

Besonders der Vorstandschef der Deutschen Telekom nutzte die Konferenz für Attacken auf die Konkurrenten aus dem In- und Ausland. "Die Kommunikationsdienste kannibalisieren uns", sagte Tim Höttges im Hinblick auf Dienste wie Skype und WhatsApp. So seien den Telekom-Unternehmen Umsätze in zweistelliger Milliardenhöhe entgangen, da Kunden Dienste wie SMS nicht mehr nutzten.

Während solche OTT weitgehend frei von gesetzlichen Verpflichtungen wie Notrufvermittlung und Interoperabilität Kunden gewinnen könnten, werde insbesondere der Deutschen Telekom das Geschäft schwer gemacht. Wann immer der Konzern ein neues Produkt einführe, werde er verpflichtet, seinen Konkurrenten einen Zugang zu der eigenen Infrastruktur zu bieten.

"Die Regulierung hat den Reflex: Das ist ein gemeinschaftliches Gut, das jedem zur Verfügung stehen muss", sagte Höttges. Zwar zeigte sich der Telekom-Chef mit den jüngsten Regulierungsentscheidungen zum Vectoring zufrieden, doch die Regulierungsansätze seien der Zeit nicht mehr angemessen: "Alles, was Telekommunikation ist, wird sozialisiert, alles, was OTT ist, wird monetarisiert", fasste Höttges die Lage aus seiner Sicht zusammen.

Die Folge sei: Reseller wie United Internet hätten keinen Anreiz, selbst in Infrastruktur zu investieren. Damit widerspricht Höttges der Beschwerde der Konkurrenten, dass die Telekom nur die notwendigsten Investitionen vornehme und den Glasfaserausbau behindere.

Laut Höttges ist in Europa mittlerweile ein Investitionsstau von 110 Milliarden Euro entstanden. Schuld seien allerdings auch die Provider selbst. Sie hätten sich insbesondere in Deutschland mit immer niedrigeren Preisen für Flatrates unterboten und die Differenzierung vernachlässigt. So seien die Provider besonders anfällig für die Konkurrenz aus dem Netz. In den USA, wo die Kunden ein Vielfaches für ihren Internetanschluss zahlen müssen, sei das Verhältnis zwischen OTT-Anbietern und Providern hingegen ausgewogen.

Höttges plädierte deshalb für ein Ende der “Ex-ante”-Regulierung, bei der die Bundesnetzagentur der Deutschen Telekom vorgibt, zu welchen Preisen sie ihre Anschlüsse zur Verfügung stellen muss. Stattdessen sollten die Regulierer nur noch "Ex post" einschreiten – also bei nachgewiesenen Wettbewerbsverstößen.

Rückendeckung erhielt Höttges von der Bundesregierung. Staatssekretär Matthias Machnig hatte in seiner Rede auf der Konferenz den "bisherigen Ordnungsrahmen" in Frage gestellt und dafür plädiert, den Handlungsspielraum der Unternehmen möglichst groß zu gestalten. Der Staatssekretär brachte auch die Gründung einer "Digitalagentur" ins Spiel, die die derzeit auf vier Ministerien und andere Behörden verteilten Kompetenzen bündeln könne.

Gleichzeitig plädierte Machnig dafür, bei den Förderprogrammen zum Breitbandausbau Gewerbegebiete zu bevorzugen. Er betonte die Bedeutung der "Industrie 4.0" für Deutschland, die Breitbandanbindung benötige. Doch gerade hier wird auch befürchtet, die deutsche Industrie könne von der digitalen Entwicklung abgehängt werden. So warnte der Präsident der Bundesnetzagentur Jochen Homann: "Es ist nicht unwahrscheinlich, dass in zehn Jahren Google und Apple die Automobilbranche beherrschen, weil sie die Betriebssysteme kontrollieren".

Die These, dass Deregulierung und Stärkung von Telekommunikationsriesen wie der Telekom das richtige Mittel seien, um eine solche Entwicklung zu verhindern, blieb allerdings nicht unwidersprochen. So musste Höttges einräumen, dass die Lage auf dem US-Telekommunikationsmarkt alles andere als ideal sei: "Da wünsche ich mir manchmal eine Bundesnetzagentur", sagte der Konzernchef. Insgesamt sei ein Mittelweg bei der Regulierung wünschenswert.

Göran Marby, Vorsitzender der schwedischen Post- und Telekommunikationsbehörde PTS, widersprach zudem der Auffassung, dass nur möglichst große Telecom-Konzerne die notwendigen Investitionen schultern könnten. So habe eine Studie seiner Behörde gezeigt, dass Großkonzerne in liberalisierten Märkten ihre Investitionen sogar zurückfahren, während mittlere Provider die höchste Investitionsquoten hätten.

Die Klagen über die OTT wollte der Behördenchef nicht ganz nachvollziehen. So könne heute jeder Provider seinen eigenen Skype-Konkurrenten starten. "Wenn eine Operator keine Gewinne mehr macht, ist es vielleicht an der Zeit, das Geschäftsmodell zu wechseln", sagte Marby. (vbr)