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Was war. Was wird. Vom Prinzip Hoffnung bis zum Prinzip Garage.

Ob nun alles verhunzt wird oder wir nur verhohnepipelt, ist eigentlich egal. Im Endeffekt sind wir die Dummen, meint Hal Faber, und wundert sich über Überholspuren, die im Kies enden. Bleibt das Prinzip Hoffnung.

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Schienennetz, Netzneutralität, Dead End, Sackgasse
Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ja, im Prinzip, sagte Radio Eriwan, kann man viele Dinge zum Prinzip erheben. Da gibt es das Prinzip Hoffnung, dass der Mensch derzeit noch in der Vorgeschichte lebt und seine Heimat in realer Demokratie erst finden muss. Bekannt ist das Prinzip Verantwortung und, in kleiner Münze präsentiert, das Prinzip Merkel mit dem "Wir schaffen das" als Imperativ. In dieser Woche ist das Prinzip Verhunzung hinzugekommen, eingeführt von EU-Digitalkommissar Oettinger mit einer Bestimmung zu "Spezialdiensten" inmitten einer fragwürdigen Beschlussfassung für ein offenes Internet. Das Pressestatement zum Prinzip Verhunzung lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: Das offene Internet wird von Angeboten mit Qualitätsgarantien abgelöst.
"Start-ups, VOD-Anbieter und andere Nutzer können frei entscheiden, ob sie ihre Dienste wie bisher über das offene Internet nutzen wollen oder eine Qualitätsgarantie haben wollen. Für die meisten Dienste reicht die Übertragungsqualität im offenen Internet völlig aus."

*** Wie frei diese Entscheidung ist, zeigte umgehend Telekom-Chef Timoteus Höttges, der das Prinzip Verhunzung enthusiastisch im Firmenblog begrüßte. Ein paar Prozent Schutzgeld von Startups für garantierte Telekom-Qualität, da soll man sich nicht so anstellen, dass gehört dazu, wenn man als Startup wachsen will. Prompt gab es Proteste der üblichen Verdächtigen, selbst die Piratenpartei erhob ihr greises Haupt. Bemerkenswert der Protest der nichttechnischen Presse, die das Empört euch! des Widerstandskämpfers Stéphane Hessel aufnahm und gegen das Prinzip Verhunzung den Lesern ein Empört euch mitgab und Verhunzer Oettiinger kritisierte.
"Statt die Netzneutralität fest zu verankern, hat er ohne Not den ersten Schritt zum Zwei-Klassen-Netz zugelassen. Bleibt die Hoffnung, dass bald gegen die neue Regelung geklagt wird. Dann könnte der Europäische Gerichtshof die Rechte der EU-Bürger stärken. Wieder einmal."

*** Radio Eriwan sagte übrigens sehr selten nein, etwa auf die Frage: "Gibt es in der Sowjetunion eine Postüberwachung?" Die Antwort: "In Prinzip nein. Briefe mit antisowjetischen Inhalt werden jedoch nicht befördert." Nun ist er da, der Bericht des Selektorenlistenbeauftragten Graulich zu den NSA-Selektoren beim BND, sogar in drei Varianten. Da ist zum einen der offene Bericht für das gemeine Volk, immerhin 263 Seiten lang, ohne abseits bekannter Selektoren wie EADS und Eurocopter konkrete Namen zu nennen. Dann gibt es für die Happy Few eine hundert Seiten längere Fassung, die "streng geheim" ist und Namen nennt. Schließlich die Fassung mit weiteren 150 Seiten, die so geheim sind, dass sie nur im Bundeskanzleramt gelesen werden dürfen. Dort strebt man jetzt eine "klarstellende gesetzliche Regelung des Auftragsprofils" des Bundesnachrichtendienstes an. Hier muss man schon mundartlich werden und vom Prinzip Verhohnepipelung reden oder ist es schon Vergantung oder technisch eine Mustermannisierung, frei nach dem abgedruckten Selektor MAX.MUSTERMANN\&\#37;2540INTERNET.ORG??? Neben den abgefragten Mailadressen sind die Erläuterungen zu den Inhalts-Stichworten (Telekommunikationsmerkmale bzw. TKM) ganz aufschlussreich:
" Die genaue Zahl der den amerikanischen Selektoren zu Grunde liegenden TKM ist dem BND nicht bekannt. Sie lässt sich mangels Kenntnis des von der NSA verwendeten Algorithmus auch nicht zurückrechnen, sondern nur erfahrungswissenschaftlich schätzen. "

*** Erfahrungswissenschaftlich bleibt festzuhalten, dass die hauchdünne Mehrheit im EU-Parlament, die der Antrag der Grünen für die Straffreiheit und gegen die Auslieferung von Edward Snowden gefunden hatte, ein kleiner, feiner, später Dank ist für die von ihm eingeleitete Aufklärung der NSA-Machenschaften. Dies gilt auch für den Sacharow-Preis, den das EU-Parlament an den Blogger Raif Badawi verlieh. Und wo wir schon bei den Preisen und Ehrungen sind, sollte der Sonderpreis für den Blogger Eliot Higgins und sein Bellingcat-Team nicht vergessen werden, die den Einsatz von Splitterbomben in Syrien und den Buk-Abschuss in der Ukraine dokumentierten, alles Sachen wie bei Snowden, von denen Journalisten zehren konnten. Und wenn wir schon bei den Bloggern sind, sollte die Ehrung von Raqqa is Being Slaughtered Silently nicht vergessen werden, dem Team, das in dieser Woche zwei Mitarbeiter verlor, die vom Islamischen Staat getötet wurden.

*** Mit der großen Verschwulung von Akif Pirinçci ist der Verlag Manuscriptum in eine Bresche gesprungen, die zahlreiche besorgte Kommentare zur Lage der Meinungsfreiheit produzierte, etwa bei den LeserInnen von Telepolis oder der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Verleger Thomas Hoof, mit den guten Dingen und dem guten Brot groß geworden, schreibt davon, dass Buchhandel, Grossisten und Medien über die "Springstöckchen für öffentliche Gehorsams- und Dressurübungen" gesprungen sind, weil sie den Schwachsinn des Autors von der Muslimisierung der Bundeswehr (um etwas Harmloseres aus dem unsäglichen Traktat zu nennen) bewusst nicht vertreiben wollen. Ja, wer widerwärtig redet, darf unter Berufung auf die Meinungsfreiheit weiter widerwärtig reden und versuchen, mit der neuen Rechten die Regierung zu stürzen. Doch wer dann mit einem falschen Voltaire-Zitat kommt, verkennt, dass die Verurteilung einer Widerwärtigkeit auch zur Meinungsfreiheit gehört ebenso wie die Selbstentscheidung eines Händlers, ein Buch nicht zu vertreiben oder eines Hoteliers, einem Kongress dieser Neonazis keine Räume zu vermieten. Ansonsten gilt für alle Empörten ein Prinzip, das hier ganz einfach erklärt ist.

Was wird.

Es ist jetzt 15 Jahre her, da schaltete der IT-Konzern Hewlett Packard, geführt von Carly Fiorina, eine Anzeige mit den Worten "Das Prinzip Garage". Zu sehen war die Nummer 976 der offiziellen kalifornischen Monumentsliste, eine schlichte Garage als Geburtsort des Silicon Valley. Die Werber setzten die geschlossene Garage dank Photoshop auf einen Waldweg und ließen sanft das Mondlicht auf die Hölzer fallen, als würde drinnen David Packard und William Hewlett die Mondscheinsonate klimpern. Der Text war kurz und knackig, wie es sich für das Prinzip Garage gehört: "Keine Machtspielchen. Keine Bürokratie." In dieser Woche schaltete Hewlett Packard in vielen deutschen Zeitungen wieder eine Anzeige mit genau derselben Garage. Diesmal ist sie geöffnet, unter blauen Himmeln und aus der Perspektive einer Garagenratte fotografiert. "In diesem Moment wird Geschichte geschrieben", beginnt der Werbetext, um langatmig von der anstehenden größten Firmenaufspaltung aller Zeiten zu erzählen. HP zerlegt sich in eine Firma, die Menschen das Leben mit Druckern erleichtert und eine, die Unternehmen mit einem IT-Lösungsportfolio und einer Zukunftsvision schnell zu irgendwelchen Zielen transportiert. Erinnern wir uns nur an den Milliardenvertrag, den die Deutsche Bank mit HP abgeschlossen hat und begrüßen wir damit gleich Kim Hammonds im Vorstand dieser Bank, deren IT "lausig" sein soll.

Seltsame Tage sind das, etwa Halloween voller Zombie-Apps auf dem Smartphone, damit es vom Selfie-Stick so richtig runtergruseln kann. Nichtkommunistische Gespenster gehen dann um. Es wird immer gruseliger, denn es folgen Allerheiligen, Volkstrauertag und Totensonntag in der Einreisetransitzone, in der wir alle leben. Deutschland, kalte Mutter. Wird es mit der feinfühligen Hilfsbereitschaft 2.0 besser werden, so zart und sanft, ganz ohne moralischen Druck? Ab Montag gilt übrigens das Gesetz zur Fortentwicklung des Meldewesens, mit dem ein Geburtstagskind gefeiert wird, der nicht mehr ganz so neue elektronische Personalausweis. Ab sofort ist das Ummelden ganz feinfühlig elektronisch möglich. Nur die analoge ausgedruckte Klebeadresse, die muss noch von Beamtenhand fühlig aufgebappt werden. Kein Thema, dass mit dem neuen Meldewesen Parteien unbegrenzten Zugriff auf die Meldedaten zum "Zwecke der Wahlwerbung" haben. Das dient nämlich der Rettung der Demokratie. Und ein Prinzip Verstrahlung wird sich auch noch finden lassen. (jk)