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Was war. Was wird. Über die furchtlose Verbergung in kommenden Zeiten.

Oops, falsche Site History. Aber gut, da Privatsphäre eh nur ein gesellschaftliches Konstrukut ist ... Immerhin, was man zu fürchten hat, das bestimmt man immer noch selbst, meint Hal Faber, verschämt über die Schulter schauend.

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Rabe
Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Remember, remember, the Fifth of November,
Gunpowder, treason and plot"

Das geschichtsbewusste Vereinigte Königreich der Großbriten und Nordiren hat den Guy Fawkes Day benutzt, um im Unterhaus den "Entwurf" eines Netz-Überwachungsgesetzes vorzustellen, der es in sich hat: Jede besuchte "Frontseite" eines Internet-Angebotes jedes surfenden Reichsbürgers soll 12 Monate lang in einem "Internet Connection Record" gespeichert werden, auf dass Polizei und andere Dienste darauf zugreifen können, vom berüchtigten GCHQ bis hin zur Food Standards Agency, die das englische Essen überwacht. Über 25 Behörden können einen Tagesablauf sehen, der beim Aufstehen in der Morgenstund mit Gold im Mund an diesem Fawkes-Day pornobereinigt vielleicht so ausgesehen haben mag:

heise.de
fefe.de
ernstchan.com
deutschlandfunk.de
cryptome.org
twitter.com
google.com

Schöpfen die Dienste oder die Polizei einen Verdacht, können sie mit richterlicher Genehmigung und einem OK eines noch zu ernennden Informations-Kommissars – das geplante Weltklasse-Verfahren nennt sich "Double-Lock" – die vollen Daten anfordern, etwa so:

http://www.heise.de/newsticker/meldung/Grossbritannien-Entwurf-fuer-Netzueberwachungsgesetz-vorgestellt-2877521.html
http://blog.fefe.de/?ts=a8c581b1
https://ernstchan.com/fefe/thread/48296
http://www.deutschlandfunk.de/markus-ferber-csu-zur-fluechtlingspolitik-wir-haben-doch.694.de.html?dram%3Aarticle_id=335930
https://cryptome.org/2015/10/wikileaks-honeypot-update.htm
https://tweetdeck.twitter.com/#
https://news.google.com/

Herzallerliebst, wie hier die Privatsphäre gewahrt wird. "Wir schauen, wer in welches Haus geht, aber nicht, wer wen besucht", das war noch die lustigste Erklärung zur neuen britischen Investigatory Powers Bill, frei nach der trefflich benamsten Schrammelband Police und ihrem Song Every breath you take, every move you make. Sich die Surfgewohnheiten aller Bürger anzuschauen, das sei doch nur das Äquivalent zum guten alten Einzelverbindungsnachweis, schwärmte die oberste britische Polizistin Sara Thornton.

*** Ganz so weit ist es in Deutschland zwar noch nicht, aber nur einen Tag nach diesem Fawkes-Day zeigte der deutsche Bundesrat mit seinem Ja zur Vorratsdatenspeicherung, dass sein Name nicht von Rückgrat abgeleitet ist. Noch in diesem Monat könnte es bei uns losgehen mit dem anlassunabhängigen Generalverdacht, der auf der Herbstparty des Bundeskriminalamtes gefeiert werden dürfte. Denn auch da geht es, wie beim britischen Vollzeitspeichergesetz, um den Kampf gegen den Terrorismus. Um all die bösen Menschen, die mit den von Asrar al-Mujahideen (PGP) abgeleiten Varianten wie Asrar al-Ghurabaa (ISIS) oder Asrar al-Dardashah ( Al-Quaida) verschlüsseln und Proxies benutzen, oder Tor.

*** Wenn der Staat zum Hacker wird, wird jedermann Hacker. Zumindest in dem Sinn, dass VPN-Proxies eingesetzt werden, um den vernetzten Tagesablauf zu verschleiern, und dass man die E-Mail verschlüsselt. Was übrigens nicht direkt verboten wird. Ganz anders da das strikte Verbot für alle Wissenden, über die Existenz von Hintertürchen zu reden. Natürlich gibt es in Großbritannien Protest gegen die umfassende Vorratsdatenspeicherung, zumal sich die in der Opposition befindliche Labour Party als Totalausfall präsentierte. Vorbei die flammenden Reden eines Jeremy Corbyn gegen den Personalausweis oder die Videoüberwachung, stattdessen präsentierte man einen harmlosen Schatten-Innenminister Andy Burnham, der diser IP Bill im Prinzip zustimmte und nur wissen wollte, was ausländische Anbieter machen sollen.

*** Ach ja, das Ausland. Besonders dieses Deutschland wurde inselauf, inselab zitiert, weil man sich über ein kolportiertes Goebbels-Zitat aufregte: "If you have nothing to hide, you have nothing to fear". Das soll Goebbels 1933 zur Gründung der Gestapo gesagt haben, doch der Nachweis für dieses "Wer nichts zu verbergen hat, hat von uns nichts zu befürchten" steht aus. Zu diesem Satz selbst ist viel geschrieben worden, das Allerklügste gleich hier um die Ecke. Historisch stammt er aus den USA, niedergeschrieben im Jahre 1918 vom Sozialisten Upton Sinclair. In seinem Buch The Profits of Religion (Profit und Religion) beschreibt Sinclair, wie er und seine Familie und Freunde vom Secret Service überwacht wurden, wie Telefonate abgehört, wie ihre Briefe geöffnet wurden.
"Not merely was my own mail opened, but the mail of all my relatives and friends – people residing in places as far apart as California and Florida. I recall the bland smile of a government official to whom I complained about this matter: 'If you have nothing to hide you have nothing to fear.'"
So gesehen, ist das Zitat historisch stimmig, weil das Gesetz für Investigatory Powers den GCHQ als wichtigsten Geheimdienst bestätigt und seine Praxis der Massenüberwachung mitsamt der entsprechenden Ausrüstung legalisiert. Stellen wir darum das milde Lächeln eines hochrangigen GCHQ-Mitarbeiters vor, als er dieses Traktat vom umsichtigen Ehrendienst verfasste, der keine Hintertüren will und Firmen berät, wie sie sich besser schützen können. Da liegt es nahe, auch den Bundesnachrichtendienst zu würdigen, der bis auf Patzer im Promillebereich alles richtig gemacht hat mit diesen urheberrechtsgeschützten Selektoren, die vom BND eigens für den Gutachter "auf Excel-Listen umformatiert" wurden. Das wird man noch einen intelligenten Ansatz nennen dürfen. Persilschein oder Persiflage, das wäre noch zu klären in der Arbeitsküche.

Was wird.

Excel, Excel, da war doch was? Ein gleißendes Leuchten hängt über der IT-Branche, denn auf geht es zu den ruhmreichen Gipfeltreffen mit der Politik, ob beim IT-Gipfel der Bundesregierung oder beim offenen IT-Gipfel der Grünen. Hier das Motto "Digitale Zukunft gestalten: innovativ, sicher leistungsstark", dort "Offenheit für Innovationen". Man mag sich gar nicht vorstellen, wie eine analoge Zukunft aussehen könnte oder eine Partei, die Nein sagt zu diesen Innovationen "für eine vitale digitale Gesellschaft". Egal, auf den Gipfeln wird es leuchten und strahlen und große Worte werden fallen wie das Herbstlaub. Wie war das noch mit der deutschen technologischen Souveränität, festgehalten in der digitalen Agenda der Bundesregierung? "Wir brauchen keine deutschen Router, keine deutsche Hardware oder eine deutsche Suchmaschine. Aber wir müssen zum Beispiel den Schlüssel für die Verschlüsselung in der Hand behalten." Diese Aussage zum IT-Gipfel vom Chef der Software AG stammt aus dem paywall-geschützten FAZ-Artikel: "Flüchtlinge überfordern die Computer des Staates", in dem die Unmöglichkeit beschrieben wird, die in Excel gespeicherten Flüchtlingsdaten zu vereinheitlichen. So werden die inkompatiblen Excel-Tabellen ganz innovativ ausgedruckt und neu erfasst im Staat 4.0.

Das bringt mich zu einer Gegendarstellung in eigener Sache, weil in der letzten Wochenschau vom greisen Haupt der Piratenpartei die Rede war. Tatsächlich ist die Partei jung und auf einer Mission: Sie will jedem Journalisten (Männer, Frauen, transexuelle Eichhörnchen und Schreibroboter inbegriffen) die Grundlagen der Kryptografie beibringen. Erst danach löst sie sich auf und schreibt Bewerbungen.

Eigentlich gehört er mit 65 Jahren in Rente geschickt, der zweite Schlapphut-Dienst mit dem schönen Namen Verfassungsschutz. 40 Jahre lang schützte er die deutsche Verfassung vor dem tatgewaltigen Rechtsanwalt Rudolf Gössner, vielen Lesern als unermüdlicher Laudator bei den Big Brother Awards bekannt. Nun wird das Verfahren wieder aufgerollt, denn der Verfassungsschutz besteht darauf, dass die 40-jährige Spitzelei und Schnüffelei verhältnismäßig und notwendig war, die zarte deutsche Verfassung zu schützen. Den Weltrekord für die längste innergeheimdienstliche Überwachung will man sich nicht nehmen lassen, die Anerkennung dieser Leistung soll nicht mit dem Makel der Unrechtsmäßigkeit befleckt sein. (jk)