Aus Wind mach Wasserstoff

Siemens hat eine großtechnische Anlage entwickelt, um aus Windstrom Wasserstoff herzustellen. Nach langer Durststrecke könnte die Technik zu einem zentralen Baustein der Energiewende werden.

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Von
  • Susanne Donner

Siemens hat eine großtechnische Anlage entwickelt, um aus Windstrom Wasserstoff herzustellen. Nach langer Durststrecke könnte die Technik zu einem zentralen Baustein der Energiewende werden.

Für Energieversorger ist es ein großes Ärgernis: Immer häufiger müssen sie Strom zu Schleuderpreisen ins Netz einspeisen, weil Wind- und Sonnenkraftwerke Elektrizität en masse produzieren. Neue Technik von Siemens soll überschüssigen Strom nun im großen Stil wirtschaftlich in Wasserstoff verwandeln. Im Energiepark Mainz erprobt der Konzern das seit Juni 2015. Dort stehen drei Elektrolyseure von der Größe eines Containers, davor sammeln zwei Drucktanks den Wasserstoff. Die Anlage hat eine Spitzenleistung von sechs Megawatt und soll bis zu 200 Tonnen Wasserstoff im Jahr herstellen.

Herz des Systems ist eine weiterentwickelte Protonen-Austausch-Membran (PEM). Sie trennt zwei Wasserkammern und lässt, wenn eine Spannung angelegt wird, nur Protonen (Wasserstoffkerne) passieren. Auf der anderen Seite der Membran verbinden sich die Protonen wieder mit den Elektronen zu reinem Wasserstoff.

Bisher nutzten nur die Raumfahrt, das Militär und die Medizintechnik vereinzelt PEM-Elektrolyseure, und "dann häufig nur als kleine Tischgeräte", sagt Tom Smolinka vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme in Freiburg. Für größere Leistungen kam bisher nur die Alkali-Elektrolyse infrage, bei der aggressive Kalilauge als Katalysator dient. Doch diese Anlagen eignen sich schlecht für das Zusammenspiel mit erneuerbaren Energien: Sie brauchen lange, bis sie warm gelaufen sind, und funktionieren unter Teillast nicht gut. PEM-Elektrolyse kommt hingegen ohne gefährliche Chemikalien aus, ist flexibel steuerbar und kann binnen weniger Minuten hochfahren. Zudem produziert sie vier- bis fünfmal so viel Wasserstoff je Quadratzentimeter. Allerdings lässt sie sich nicht einfach auf einen Megawatt-Maßstab vergrößern, weil sich die Polymermembran im Betrieb stark ausdehnt und dann die Kammern nicht mehr genau voneinander trennt. Erst jetzt entwickeln mehrere Firmen PEM-Systeme für die Megawattklasse.

"In Deutschland ist Siemens führend", urteilt Smolinka. Auch ITM in Großbritannien, Areva in Frankreich, Hydrogenics in Kanada und Proton Onsite in den USA entwickeln entsprechende Produkte. Als Weltmarktführer gilt Proton Onsite, das – anders als Siemens – bereits seit Jahrzehnten Elektrolysesysteme verkauft und derzeit ebenfalls ein System für die Megawattklasse testet. "Aber der Vorsprung wird kleiner", so Smolinka, der die Szene als unabhängiger Forscher gut kennt.

Dafür kann Siemens auf eine langjährige Forschung an Elektrolysesystemen für Atomkraftwerke zurückgreifen. Deren Kühlwasser wird Wasserstoff zugesetzt, um Sauerstoff zu binden und Rost zu vermeiden. Für das Problem mit der sich ausdehnenden Membran habe man sich damit beholfen, sie auf einem festen Grundgerüst zu fixieren, so Smolinka. Siemens selbst gibt über die genauen Tricks keine Auskunft.

Den Wirkungsgrad des PEM-Elektrolyseurs gibt Siemens mit 75 Prozent an. Das ist etwas weniger als bei der alkalischen Elektrolyse. Der Vorzug der PEM-Systeme liegt jedoch vor allem in seiner schnellen Regelbarkeit, sodass es rasch auf Strompreisschwankungen reagieren kann. Der Wasserstoff kann zum Beispiel mit einem Anteil von bis zu fünf Prozent ins Erdgasnetz eingespeist werden und so fossiles Methan ersetzen. Zudem benötigt auch die chemische Industrie Millionen Tonnen Wasserstoff. Und Brennstoffzellenautos werden den Bedarf nach Wasserstoff weiter steigern. Die Axpo, größter Wasserkraftbetreiber in der Schweiz, will in Zeiten geringer Nachfrage ebenfalls Wasserstoff produzieren, was laut Unternehmen schon jetzt eine höhere Rendite bringt als die Elektrizität selbst.

Wird der Wasserstoff wieder zurück in elektrischen Strom verwandelt, addieren sich allerdings noch weitere Umwandlungsverluste hinzu. Es blieben laut Siemens nur maximal 45 Prozent der ursprünglichen Energie nutzbar. Trotzdem halten viele den Power-to-Gas-Pfad für einen unverzichtbaren Bestandteil der Energiewende. "Bei der Speicherung im großen Maßstab, also über zehn Gigawattstunden, gibt es nicht viele Optionen, da sticht Wasserstoff heraus", sagt Gaëlle Hotellier, ehemalige Leiterin der Abteilung Hydrogen Solutions bei Siemens. "Als absolut zukunftsweisend" bezeichnet auch Michael Specht vom Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoffforschung die Technik.

Noch sind die PEM-Systeme allerdings teurer als Alkali-Anlagen, räumt Andreas Reiner, Power-to-Gas-Spezialist bei Siemens, ein. "Die Stückzahlen müssen erhöht und die Produktion automatisiert werden, damit der Preis sinkt." Alle Hersteller fertigen die Anlagen bisher von Hand. Siemens baut aber in Erlangen zurzeit eine teilautomatisierte Produktion auf. Dort könnten jährlich Systeme für Stromleistungen im "hohen zweistelligen Megawatt-Bereich" entstehen, lässt Siemens durchblicken.

Zudem sucht der Konzern nach billigeren, aber ebenso leistungsfähigen Membranmaterialien sowie nach Elektroden, die mit weniger Platin und Iridium auskommen. Dabei lernt Siemens von den Autobauern, die auf diese Weise die Kosten für Brennstoffzellenfahrzeuge schon erheblich senken konnten. Fraunhofer-Forscher Smolinka fügt hinzu: "Entscheidend sind aber schon heute die Betriebskosten, die in erster Linie daraus resultieren, wie teuer der Strom ist und wie hoch der Wirkungsgrad der Anlage. Deshalb fallen die höheren Investitionskosten der PEM-Systeme ab einer Betriebsdauer von 6000 Stunden im Jahr schon heute nicht mehr sonderlich ins Gewicht." (bsc)