IT-Beschaffung: wenig Transparenz, teure "Fair"-Produkte
IT-Verantwortliche diskutieren ĂĽber soziale Auswirkungen des IT-Einkaufs. NagerIT berichtet von den Schwierigkeiten, eine faire Produktionskette aufzubauen. Hoffnung setzt man in Zertifikate.
Öffentliche Einrichtungen und NGOs diskutieren auf einer Tagung in Gelsenkirchen über Fertigungsketten und soziale Verantwortung bei der IT-Beschaffung. Die erste Hälfte der Konferenz behandelte vorwiegend Negativbeispiele, der zweite Teil soll nach vorne weisen und Auswege oder Alternativen aufzeigen. Als beispielhaft gilt hier die faire Computermaus, aber auch Vergaberichtlinien der großen Hersteller und Kriterien von Zertifikaten werden als zielführend bewertet.
(Bild:Â Kai RĂĽsberg)
Susanne Jordan vom Verein NagerIT weiß ziemlich genau, wo Bauteile herkommen, die der Verein in seiner fairen Computermaus verbaut. "An unseren Mäusen klebt die DNA von 1.000 Arbeitern." Die NagerIT Maus kostet 30 Euro und verkauft sich nur schleppend. Der Verein läßt 70 % der Bauteile in Betrieben mit guten Arbeitsbedingungen fertigen. Oftmals handelt es sich um Werkstätten für behinderte Menschen in Deutschland. Bei 30 % der Zulieferteile kann NagerIT dies trotz der überschaubaren Komplexität des Produkts und langjähriger Bemühungen nicht sicherstellen.
Zwar kann man die Herkunft von Gehäuse, Schrauben und dem neuen Scrollrad aus Holz inzwischen fast komplett bis zur Quelle der Rohstoffe nachvollziehen. Ebenso existieren detaillierte Dokumentationen über große Teile der Leiterplatte wie Widerstände, die LED, Lötzinn, Kupferfolie und vieles andere. Trotzdem enthält die Maus viele Bauteile, deren Herstellung unter ungeklärten Bedingungen stattfindet. Insbesondere der Nachweis der Rohstoffquellen endet bei den Zwischenhändlern.
Fair hat seinen Preis
Für 30 Euro bietet NagerIT die faire Maus auf seiner Internetseite, in ausgesuchten Eine-Welt-Läden und Bioläden an. Der Verkauf läuft schleppend, räumt Susanne Jordan ein: "Wir machen Computermäuse, die unter fairen Bedingungen hergestellt werden. Wenn man eine Maus für 5 Euro kaufen kann, dann funktioniert das in einer gerechten Welt nicht." Aus ihrer Sicht muss der wahre Preis höher liegen.
Die Montage von vielen elektronischen Geräten erfolgt weiterhin von Hand – vorwiegend von jungen Frauen in Asien und Lateinamerika. Die Löhne reichen dort oft nicht zum Überleben, die Wochenarbeitszeiten steigen durch massive Überstunden auf bis zu 90 Stunden, vielfach gibt es kaum Schutzmaßnahmen vor giftigen Chemikalien oder Verletzungen und es fehlt an sozialer Sicherung wie Lohnfortzahlung bei Krankheit.
Verstärkte Aktivität bei großen Herstellern
(Bild:Â Kai RĂĽsberg)
Nach einer EU-Richtlinie sollen sich die Einkaufsentscheidung öffentlicher Einrichtungen und Verwaltungen künftig auch an sozialen Standards und Umweltschutz orientieren. Heide Rühle, die bis 2014 als grüne EU-Abgeordnete an der EU-Richtlinie mitgearbeitet hat, sagt dazu: "Der billigste verletzt meist Gesetze und arbeitet nicht oft so seriös. Wenn einer sehr billig anbietet, dann muss auch geprüft werden, ob er die Gesetze eingehalten hat. Wenn nicht, ist er draußen." Preisdumping auf Kosten von Sozialstandards und Umwelt, bei dem vorbildliche Anbieter benachteiligt werden, solle so verhindert werden.
Die großen Hersteller bereiten sich zum Teil auf diese Anforderungen vor. Die Notwendigkeit dazu besteht, sagt Felix Elschner von Epson Deutschland. Wenn die öffentlichen Auftraggeber künftig stichhaltige Nachweise über die Herkunft und soziale Verantwortung verlange, werde man dies liefern, um Aufträge zu erhalten. Nach seinen Angaben erhält Epson jährlich mehr als 50 Großaufträge, die unter eine künftige Richtlinie zur sozial verantwortlichen Beschaffung in öffentlichen Einrichtungen fallen würden. Er ist auch beim IT-Branchenverband Bitkom tätig, der eine gemeinsame Bietererklärung für den sozialen IT-Einkauf entwickelt. Einmalig in Europa sei dabei, das man in Deutschland in enger Kooperation mit NGOs sei. Auch der Hersteller Hewlett-Packard hat seine Aktivität zu sozial-verantwortlicher Fertigung und Rohstoffabbau weiter vorangetrieben. In einem mehrstufigen Auditverfahren kontrolliert er die Einhaltung seiner Kriterien.
Zertifizierung
Bisher setzen viele Unternehmen noch auf eigene Vorgaben. Zunehmend entwickeln sich aber auch anerkannte Zertifikate. Die bei Bildschirm-Ergonomie bekannte TCO-Zertifizierung hat beispielsweise die Verringerung von negativen sozialen und ökologischen Einwirkungen bei Produktion, Verwendung und Entsorgung von IT-Produkten in ihr Siegel aufgenommen. Im Blick für das Siegel steht die Entwicklung von Nachhaltigkeitsanforderungen für IT-Produkte unter Berücksichtigung von deren gesamtem Lebenszyklus.
Sheung So von der Hongkonger NGO Labour Education and Service Network sagt, die großen Konzerne machen tatsächlich ernst mit ihren Versuchen, die Herstellung ökologisch und sozial verantwortlicher zu gestalten. Dort gebe es in China Fortschritte. Insbesondere bei Gesundheitsschutz und auf dem Gebiet der Arbeitsrechte gäbe es aber regional noch großen Nachholbedarf. Insgesamt habe sich die Gesamtsituation in China nicht viel verändert, urteilt So. Die Firmenchefs versuchten weiterhin das Maximum aus der Arbeitskraft seiner Mitarbeiter heraus zu holen – ohne Rücksicht auf die individuellen Folgen für sie. (jab)