Den Fälschern auf der Online-Spur

Auf Auktionsplattformen werden zahlreiche Fälschungen angeboten. Es gibt allerdings eine Reihe Kriterien, um solche zu erkennen. Mehrere Unternehmen haben dies als Marktlücke entdeckt.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 1 Kommentar lesen
Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Ulrike Heitmüller

Das Problem ist fast so alt wie der Internethandel selbst: Auf Auktionsplattformen werden zahlreiche Fälschungen, Graumarktprodukte und Hehlerware angeboten. Es gibt allerdings eine Reihe Kriterien, um solche zu erkennen. Mehrere Unternehmen haben dies als Marktlücke entdeckt und bieten Programme an, die unseriöse Angebote herausfiltern sollen.

Es roch nicht gut. Vom 5. Oktober bis zum 9. November 2005 beobachtete die Studentin der Betriebswirtschaftslehre Doreen Ulbrich für ihre Diplomarbeit auf der Internet-Auktionsplattform eBay.de genau 248 Auktionen, auf denen das Eau de Toilette "Davidoff Cool Water Deep" in 100-Milliliter-Flaschen angeboten wurde. Die meisten Angebote standen mit Bildern im Netz. Diese Bilder nahm Frau Ulbrich genau unter die Lupe. Das Ergebnis der Untersuchung: Zahlreiche angebotene Flaschen sahen deutlich anders aus als auf jenen Bildern, die etwa Davidoff selbst ins Netz stellt. Mal war der Glasboden nicht ebenmäßig, sondern zu stark gewölbt, manchmal das Glas so dünn, dass es leicht brechen konnte, bei wieder anderen war der Sprühschlauch zu lang.

Als nächstes ersteigerte Frau Ulbrich ein paar Flaschen. Schließlich schrieb sie nach dem Ende einiger Auktionen die Käufer an und erkundigte sich nach der Seriennummer ihres Duftwassers. Das Ergebnis dieser Detektivarbeit: Insgesamt konnte Frau Ulbrich nur sechs von den 248 Auktionen nicht zuordnen, 26-mal wurde das echte Davidoff angeboten, und 216-mal standen Fälschungen im Netz: 87 Prozent. Interessant war auch die Aufteilung auf die Verkäufer: 30 hatten Auktionen gestartet. 27 von ihnen boten nur wenige Flaschen an, die teils echt, teils falsch waren. Vier dagegen waren "große Fische", auf sie verteilten sich 158 Auktionen, ausschließlich mit Fälschungen. Skurrilerweise sollten gerade diese Verkäufer am Schluss zu 98 bis 100 Prozent positive Bewertungen für sich verbuchen.

Für Frau Ulbrich war die Detektivarbeit überaus mühselig gewesen, sie hatte die 248 Auktionen mehr oder minder in "Handarbeit" auswerten müssen. Dies haben mehrere Softwarefirmen als Marktlücke entdeckt: Sie bieten Programme an, die einen Großteil dieser Arbeit automatisieren. Sie haben vor allem zwei Zielgruppen. Zur einen gehören Unternehmen, deren Produkte besonders häufig gestohlen oder als Graumarktware reimportiert werden, also etwa Hersteller von Consumer Electronics. Diese Unternehmen wollen Diebe und Hehler identifizieren – und eventuell entlassen, wenn etwa die eigenen Mitarbeiter geklaut haben. Zur zweiten Zielgruppe gehören Firmen, deren Produkte besonders häufig gefälscht werden, zum Beispiel Parfum- oder Sportartikelhersteller. Sie wollen die Fälschungen vom Markt verdrängen.

Ein Programm stammt von rola Security Solutions aus Oberhausen, es heißt rsCASE und wird vor allem von Ermittlungsbehörden genutzt. Die Berliner Tochterfirma rola Business Solutions GmbH vertreibt das Programm für Unternehmen, die auf Internet-Auktionsplattformen wie eBay nach Fälschungen, Graumarkt- und Hehlerware suchen. Ein anderes Programm stammt von dem Münchner Unternehmen P4M. rsCASE und wie die Software von P4M funktionieren nach einem ähnlichen Prinzip: Sie scannen die Angebote und suchen nach Parametern für Diebesgut, Graumarktware und Fälschungen, außerdem nach Verbindungen zwischen unterschiedlichen Auktionen.

rsCASE etwa durchsucht Auktionsplattformen zweigleisig. Auf der einen Seite filtert die Software typische Merkmale für unseriöse Angebote heraus, bei gefälschten Parfums sind das Stichwörter wie "Duftabweichung", "fehlerhafte Produktion" oder "Abweichungen an der Flasche", außerdem Einstellpreise ab einem Euro bei 24 Stunden Auktionslaufzeit. Auf der anderen Seite scannt das Programm die Online-Plattform nach Verbindungen zwischen mehreren Verkäufern wie etwa identische E-Mail-Adressen oder Telefonnummern – ein großer Fälscher oder Hehler fällt mehr auf als viele kleine, darum treten unseriöse Verkäufer meist unter mehreren Namen gleichzeitig auf, erklärt Geschäftsführer Robert Eck.

Auch das Programm von P4M sucht einerseits nach verräterischen Ausdrücken wie "Duft ähnlich". Ferner findet das Programm verdächtige Zusammenhänge bei Standort, Bewertung und Preis, wenn etwa ein Händler aus Thailand ein Hemd für 15 Euro liefern wolle oder ein Anbieter in den vorangegangenen beiden Monaten zwei schlechte Bewertungen erhalten habe, zählt Geschäftsführer Hubert Neuner auf.

Neben diesem Angebots-Scan verfügen rola und P4M über ein Application Programming Interface (API) – eine Schnittstelle zur eBay-Datenbank. Über diese Schnittstelle können sie die gesamte eBay-Historie eines Verkäufers rückverfolgen: Auktionen, Umsätze, Zahl der Verkäufe, die genauen Artikelbezeichnungen, außerdem die Bankverbindung, sofern diese bei den Angeboten mit angegeben ist. Weder rola-Geschäftsführer Robert Eck noch P4M-Geschäftsführer Hubert Neuner halten dies für datenschutzrechtlich bedenklich, schließlich handele es sich bei allen über die API-Schnittstelle verfügbaren Daten um Angaben, die zumindest einmal schon öffentlich gewesen seien, nämlich während die jeweiligen Auktionen gelaufen seien.

In noch einem dritten Punkt arbeiten die Unternehmen ähnlich: Beide kaufen ab und zu auf Online-Marktplätzen ein. In der Zielsetzung dieser Einkäufe unterscheiden sie sich allerdings. Laut Robert Eck identifiziert rsCASE die Betrüger schon mit 100-prozentiger Sicherheit, Käufe seien daher bloß "Beweiskäufe" für den Kunden. P4M dagegen nutze "Testkäufe" für eine letzte Überprüfung, erklärt Hubert Neuner, außerdem erfahre man hierbei nicht nur in jedem Fall die Bankverbindung, sondern auch die Anbieter- sowie die Versenderadressen: Manche kriminellen Organisationen würden schließlich auch harmlose Hausfrauen mit dem Versenden beauftragen.

Weitere Unterschiede zwischen den beiden Programmen finden sich vor allem bei Anwendung und Vertrieb: P4M bietet laut Neuner seinen etwa 70 Kunden ein Lease-Modell an, lässt also sämtliche Untersuchungen über den eigenen Server laufen. Diese Detektivarbeit erledigten 65 Mitarbeiter aus dem Management sowie "Internet-Agenten" mit Telearbeitsplätzen, ferner etwa 120 Testkäufer, die auf Provisionsbasis arbeiteten. rola dagegen vergibt die Software auch an Lizenznehmer. Nach Angaben von Roland Eck haben im Jahr 2007 etwa 40 Unternehmen mit der Software rsCASE selbstständig auf Internet-Auktionsplattformen nach Fälschungen, Hehlerware und Graumarktprodukten gesucht, und für weitere 30 Unternehmen habe rola das Monitoring durchgeführt.

Viel Arbeit für die Internet-Detektive. Dabei fahndet auch eBay selbst nach Fälschungen und Diebesgut, sagt Maike Fuest, Pressesprecherin von eBay Deutschland: Erstens sei ein mehr als 100-köpfiges Team im Europarc Dreilinden bei Berlin allein für die Sicherheit zuständig. Zweitens nutze auch eBay eine selbst entwickelte Sicherheitssoftware, um unseriöse Auktionen zu identifizieren. Über diese wolle man allerdings nichts Genaues sagen, um Betrüger nicht schlauer zu machen. Drittens biete das Unternehmen ein "verifiziertes Rechtinhaber-Programm" (VeRI) an, an dem etwa Hersteller von Markenware kostenlos teilnehmen könnten. Dies täten inzwischen weltweit über 18.000, in Deutschland mehrere 100, so Fuest.

Bei VeRI – an dem auch rola und P4M für ihre Kunden teilnehmen – versichert etwa ein Markenartikelhersteller an Eides statt, dass er die Markenrechte hat. Dann weist eBay ihm eine E-Mail-Adresse zu, bei der er Verstöße gegen seine Rechte melden kann, wenn er beispielsweise eine Fälschung seines Artikels auf der Auktionsplattform entdeckt. eBay kann daraufhin die Auktion stoppen. Dann teilt das Auktionshaus seine Mailadresse dem Anbieter und den Bietern mit, so dass diese sich mit ihm in Verbindung setzen können. Die dafür eingesetzte Software ist vollkommen automatisiert. Vierte Sicherheitsmaßnahme von eBay: Die Plattform arbeitet mit Strafverfolgungsbehörden zusammen. Ein Angebot wird also beendet, wenn die Polizei eBay darüber informiert, dass mit gestohlenen Gegenstände gehandelt wird.

Trotz dieser Bemühungen des Auktionshauses haben P4M und rola ihr Auskommen. Wie viele Waren auf Internet-Marktplätzen gefälscht, gestohlen oder verschoben sind, mag Neuner nicht schätzen. Eck wird deutlich: "Fälscher werden durch eBay nur unzureichend bekämpft", sagt er, man habe im Jahr 2006 die Kategorie Parfum beobachtet, im Schnitt habe es sich bei etwa 20 Prozent der Angebote um Fälschungen gehandelt. Vor allem aber hätte eBay 61 Prozent von diesen selber erkennen müssen, da die Fälscher sie mit Codes wie "Duftabweichung" oder "Kratzer am Flacon" als solche gekennzeichnet hätten. Wenn man alle Waren auf eBay betrachte, schätzt Eck, dürfe es sich bei 20 Prozent um Hehlerware oder Fälschungen handeln, und etwa ein bis fünf Prozent der Verkäufer böten derlei Ware an.

Diese Zahlen bestätigt eBay nicht: rola sei bei seinen bisherigen öffentlichen Aussagen zu eBays Umgang mit Fälschungen "sehr einseitig" und betreibe "viel Stimmungsmache", sagt Maike Fuest. Immerhin, wer sich die Mühe macht, mit entsprechender Software Fälscher und Hehler zu finden – manche Unternehmen arbeiten auch mit eigenen Programmen – dürfte gute Chancen haben, die meisten zu finden. Ihre Trefferquote sei sehr hoch, sagen Eck ebenso wie Neuner.

Nur eines hat man bei P4M scheinbar nicht entdeckt: In der Hauszeitschrift, dem "Internet Agent" vom September 2006, wird Frank Huber interviewt. Er ist Professor und hat den Lehrstuhl Marketing I an der Universität Mainz inne. Thema des Interviews: Eine Studie zu Produktfälschungen auf Online-Auktionsplattformen. In der Tat vertreibt die Universität Mainz eine Studie mit dem Titel "Marken- und Produktpiraterie aufdecken und bekämpfen – am Beispiel von Internetauktionen eines Markenparfums". Es geht um – Davidoff Cool Water Deep. Vier Autoren werden genannt, an erster Stelle Professor Huber. Doreen Ulbrich steht an letzter Stelle. Und sie sagt, dass es sich bei der Studie um eine gekürzte Fassung ihrer Diplomarbeit handele und dass sie von der Veröffentlichung nichts gewusst habe. Laut Professor Huber seien zwar einige kleinere Fehler entfernt worden, aber dass die Studie von Ulbrich stammt und dass sie nicht gefragt wurde, hat er trotz Nachfragen nicht bestritten. (anw)