Hintergrund: An den Börsen liegen die Nerven blank
Es ist Freitag der 13., doch der befürchtete Crash an den Börsen blieb heute bislang aus. Aber es bleibt eine Zitterpartie.
Es ist Freitag der 13., doch der befürchtete Crash an den Börsen blieb heute bislang aus. Die US-Indizes Dow Jones und Nasdaq zeigen im frühbörslichen Handel stramm gen Norden; ebenso hier zu Lande der Dax. Auch der Nemax All Share scheint sich zu berappeln und die 4000-Punkte-Linie von unten zu durchstoßen. "Kaufen, wenn die Kanonen donnern", könnte die Devise heißen. Doch es bleibt eine Zitterpartie, da jederzeit damit zu rechnen ist, dass die Stimmung abrupt umschlägt.
Das jedenfalls bekamen die Anleger gestern zu spüren, knüppelhart. Das Börsenleitbarometer, der New Yorker Dow-Jones-Index, fiel am Donnerstag (12.10.) um 379 Einheiten auf 10034 Punkte – ein Kursverfall um mehr als 3,6 Prozent. Die Kurse rutschen so rapide ab, dass der Handel zeitweise eingeschränkt werden musste. Auch die Computerbörse Nasdaq erlebte einen Sturzflug um 3 Prozent auf 3074 Punkte. Dass dann auch die asiatischen Börsen in den Abwärtssog gerieten und gleichfalls kräftig ins Minus trudelten, der Tokioter Nikkei-Index beispielsweise um 220 Punkte auf das neue Jahrestief von 15330, dürfte nicht verwundern. An Europas Finanzmärkten zeigte sich eine ähnliche Lage: London, Paris, Madrid, Mailand, Stockholm meldeten Kurseinbrüche zwischen 2 und 3,7 Prozent. Relativ moderat, mit 1,47 Prozent, fiel am Donnerstag das Minus beim Dax aus (Endstand: 6465 Punkte), während der Nemax 50 um 2,85 Prozent auf 4232 Punkte einbrach.
Die Begründung liegt auf der Hand, und alle Analysten sind sich einig: Auslöser ist der bevorstehende Krieg in Nahost und die Angst vor nach oben schießenden Ölpreisen. Zurzeit liegt der Preis für ein Barrel Rohöl bei 36,06 US-Dollar; nur knapp unter dem Jahreshoch von 37 Dollar.
Dabei sah alles nach einer Aufhellung des finsteren Börsenwetters aus, insbesondere an der stark gebeutelten deutschen Wachstumsbörse, dem Neuen Markt. Die Todeslisten hatten auf schwächelnde Kandidaten hingewiesen, nicht mehr jede Neuemission wurde blind mit Traumkursen gekauft. Zwar fehlen bei den Wachstumswerten historische Vergleichsdaten, umso mehr aber sind die Gewinn- und Umsatzprognosen von Bedeutung. Schärfer als früher achtete der Markt nun auf die Einhaltung von Vorhersagen. Fehlprognosen wurden erbarmungslos bestraft. "Die Börse spielt eine Idee", sagt Jörg Bungeroth von der DG Bank, und die anstehenden Daten zeigen, ob die Idee weiterhin stimmt. Das alles gehört zum reinigenden Umbruch, der im Gange ist, so Hamburgs Wirtschaftssenator Thomas Mirow, und er ist sich sicher, "die New Economy wächst weiter".
Sogar von Seiten der Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) sind tröstliche Worte zu hören: "Nicht in Panik verfallen", warnt DSW-ler Jürgen Kurz und sein Kollege Klaus Nieding rät Kleinanlegern zum Nachkaufen "guter" Werte. "Was wir Anfang des Jahres an Übertreibungen gesehen haben, sehen wir heute als Untertreibungen", beruhigt die Vorsitzende des Vereins für Aktionärinnen, Anneliese Hieke, im Saarländischen Rundfunk.
Kräftige Summen entzogen haben dem Neuen Markt vor allem institutionelle Investoren, die damit sehr liquide sind. Nun aber stehen sie unter Druck, ihre Performance-Werte zu halten, notgedrungen müssen sie wieder rein in die Märkte. Da hohe Erdölpreise die Old Economy mit energieintensiven Firmen etwa aus Chemie- oder Stahlbranche stärker belasten als die Neue Ökonomie, scheint der Kaufplatz vorgegeben. Den Anfang macht der Adig-Fonds "Global new Stocks". Fonds-Manager Ralf Walter erklärt in einem dpa-AFX-Interview, er wolle die "Ausverkaufsstimmung am Neuen Markt" nutzen, um Unternehmen "billig einzusammeln, die jetzt zu Unrecht verprügelt werden".
Wenn nicht ein Nahost-Krieg einen Strich durch die Rechnung macht, könnte die alte Börsenweisheit gelten, dass die Hausse in der Euphorie stirbt, und die Baisse ihr Leben in der Hysterie aushaucht. Bezeichnenderweise hatte im März dieses Jahres das größte deutsche Boulevardblatt am Ende der Frühjahrs-Hausse den "Kaufrausch" beschworen, am Donnerstag titelte das Blatt nun "Kurs-Massaker". (ae)