Verfassungsklage gegen Wahlcomputer

Über die Geheimniskrämerei beim Blackbox-Voting muss jetzt Karlsruhe entscheiden.

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Von
  • Richard Sietmann

Nach der Ablehnung seines Wahleinspruchs durch den Deutschen Bundestag im Dezember klagt der Frankfurter Physiker und Software-Spezialist Ulrich Wiesner jetzt beim Verfassungsgericht in Karlsruhe. In dem von dem Hamburger Staatsrechtler Ulrich Karpen und dem Berliner Rechtsanwalt Till Jaeger – einer der Gründer des Instituts für Rechtsfragen der Freien und Open Source Software (ifrOSS) – vertretenen Verfahren geht es um die Verwendung von Wahlcomputern bei der Bundestagswahl im September 2005. An den Geräten der niederländischen Firma Nedap hatten in 1831 von insgesamt rund 80.000 Stimmbezirken etwa zwei Millionen Wähler ihre Stimme abgeben müssen – die herkömmliche Papierwahl stand als Alternative in diesen Wahllokalen nicht mehr zur Verfügung.

Wiesner hatte den Wahlprüfungseinspruch insbesondere damit begründet, dass die Ergebnis-Feststellung mit diesen Geräten eine geheime Auszählung darstelle, die den Augen des Wahlvorstands und anwesenden Bürger entzogen werde und deshalb "von Anfang an gesetzeswidrig" sei. Der Bundestag wies diese Auffassung jedoch im Dezember als "offensichtlich unbegründet" zurück: Ein Verstoss gegen das Öffentlichkeitsprinzip läge nicht vor, weil der öffentliche Zugang zum Wahlraum auch bei der Wahl mit Wahlgeräten gewährleistet sei. Zudem habe der Einsprechende lediglich auf die abstrakte Möglichkeit der Manipulierbarkeit der Wahlcomputer hingewiesen und keine Anzeichen für eine tatsächliche Manipulation aufzeigen können, und für die behauptete Verfassungswidrigkeit sei der Bundestag im Wahlprüfungsverfahren nicht zuständig.

In ihrer knapp hundert Seiten langen umfassenden Beschwerdeschrift (Az. 2BvC 3/07, PDF-Datei) nebst 43 Anlagen fordern die Vertreter des Klägers die Wiederholung der Bundestagswahl in den 30 betroffenen Kreisen, in denen die Nedap-Geräte zum Einsatz kamen. Da dieser Antrag angesichts der zu erwartenden Verfahrensdauer allerdings nur formale Bedeutung hat, beantragen sie hilfsweise, "festzustellen, dass die Verwendung von softwaregesteuerten Wahlgeräten bei Wahlen zum Deutschen Bundestag nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist ... solange nicht die Transparenz der Wahl für die Öffentlichkeit, die Überprüfbarkeit der Richtigkeit des Wahlergebnisses und die Manipulationssicherheit in einer der Wahl mit Stimmzetteln und Urnen entsprechenden Weise gewährleistet ist". An der Wahl mit Wahlgeräten rügen sie die "Verletzung der Öffentlichkeit des Wahlgeschäfts", die "Verletzung der Öffentlichkeit der Wahl durch Vorverlagerung der Kontrolle in ein nicht-öffentliches Zulassungsverfahren" durch "Verheimlichung der Prüfergebnisse, Verheimlichung der Prüfunterlagen, Verheimlichung der Konstruktionsmerkmale der eingesetzen Geräte", sowie die "Vereitelung einer wirksamen Wahlprüfung nach Artikel 41 Grundgesetz".

Die Öffentlichkeit im Wahlverfahren solle aber "allen interessierten Personen die Möglichkeit geben, die Ordnungsmäßigkeit des Ablaufes des Wahlverfahrens und der Feststellung des Wahlergebnisses beobachten zu können, damit der Verdacht von Wahlmanipulationen 'hinter verschlossenen Türen' nicht aufkommen kann". Sie biete daher eine zusätzliche Gewähr für den gesicherten und geordneten Ablauf der Wahl zur objektiven Erfassung des Wahlergebnisses. "In Wirklichkeit bleibt vieles von dem, was in der Stimmzettelwahl sichtbar und kontrollierbar bleibt – als Sitzung, Auszählungs- und Entscheidungshandlung des Wahlvorstandes – beim Einsatz von Wahlgeräten unsichtbar. Die öffentliche Kontrolle wird ersetzt durch Spezialistenkontrolle und das Vertrauen auf die staatliche Kontrolle durch Prüfung und Zertifizierung."

Darüber hinaus sei es mit dem Grundsatz der Amtlichkeit der Wahl unvereinbar, "dass die staatlichen Wahlbehörden, welche die Ordnungsmäßigkeit des demokratischen Uraktes der Wahl garantieren müssen, die tatsächliche, kontrollierende Sachherrschaft über den gesamten Geschehensablauf einschließlich der technischen und informationellen Details aus der Hand geben". Diese Sachherrschaft ginge "verloren, wenn die Mitarbeiter der Verwaltung – hier der Gemeinden, die eine staatliche Aufgabe wahrnehmen – nicht selbst in der Lage sind, die Wahlgeräte auf ihre Funktionstüchtigkeit und Sicherheit zu überprüfen". Demokratie und Rechtstaat verlangen aber, "dass das gesamte Wahlgeschehen bis in die Verästelungen der (technischen) Details sowohl von staatlichen Organen (Amtlichkeit) wie vom Volk (Öffentlichkeitsgebot) kontrolliert werden können".

Das Prüfsystem in Gestalt der Bauartzulassung durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) nach Überprüfung eines Mustergerätes könne diesen Vorgaben in zweierlei Hinsicht nicht genügen. Zum einen kann eine Baumusterprüfung nicht die voll informierte Entscheidung der Gemeindebehörden im Hinblick auf jedes bei der Wahl eingesetzte Gerät ersetzen, zum anderen seien die Wahlleiter mangels hinreichender Kenntnisse der technischen Umstände nicht in der Lage, eine Prüfung der eingesetzten Geräte vorzunehmen. Die staatliche Kontrolle eines privaten Anbieters reiche nicht aus, insbesondere nicht, wenn wesentliche Teile des Verfahrens wie beispielsweise die Authentifizierung der eingesetzten Software "ausschließlich dem Hersteller überlassen bleiben".

Ausführlich setzt sich die Verfassungsklage auch mit dem Argument des Bundestags auseinander, die lediglich theoretische Möglichkeit einer Wahlmanipulation sei kein Wahlfehler gewesen. Vielmehr hätte gerade die Verletzung des Öffentlichkeitsprinzips die tatsächlichen Möglichkeiten des Beschwerdeführers beseitigt, eine konkrete Manipulation und damit die entsprechenden Anhaltspunkte für einen anderen Wahlausgang zu belegen. Diese Beweislast könne ihm nicht aufgebürdet werden, denn es sei für ihn nicht überprüfbar, ob die von der PTB überprüfte Software auch tatsächlich auf sämtlichen eingesetzten Wahlgeräten verwendet wurde. "Mögliche Manipulationen sind damit nicht nachweisbar und die Richtigkeit der Wahl zum 16. Deutschen Bundestag basiert alleine auf dem Vertrauen in den Hersteller der NEDAP-Geräte".

Der Kontrollfunktion des Öffentlichkeitsgrundsatzes stünden auch keine höherrangigen Verfassungsprinzipien entgegen. Sicherheitsbelange oder Geheimhaltungsnotwendigkeiten des Staates seien nicht berührt, ebenso nicht die Effizienz staatlichen Handelns, denn es gäbe sicherlich Staatsformen, "die 'billiger' seien als die Demokratie". In diesem Zusammenhang führen die Beschwerdeführer eine Vorlage der Stadt Köln an, die die Anschaffung des Nedap-Systems 1997 neben der Kostenersparnis und der schnelleren Ermittlung der Wahlergebnisse ausdrücklich mit dem "Innovationsvorsprung" und der "Medienwirkung für Köln (als exklusiver Erstanwender in Deutschland)" begründet hatte. Auch die Wünschbarkeit oder gar Notwendigkeit einer technischen Innovationsoffensive sei kein Wert von Verfassungsrang. Gegenüber der die Demokratie erst ermöglichenden öffentlichen Kontrolle müsse auch ein wirtschaftlich begründetes Geheimhaltungsinteresse zurücktreten. "Dies gilt umso mehr, als bei der Urnenwahl keine Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse beeinträchtigt werden. Damit fehlt es zumindest an der Erforderlichkeit einer Beschränkung des Öffentlichkeitsprinzips, da die Urnenwahl eine gleichwertige Alternative darstellt und die Technisierung kein Wert an sich ist, der die Beschränkung von Verfassungspositionen rechtfertigen würde".

Anders als die von mehr als 45.000 Mitzeichnern unterstützte Bundestags-Petition gegen Wahlcomputer zielt die Verfassungsklage nicht auf die ersatzlose Streichung des Paragraphen 35 im Bundeswahlgesetz, der die elektronische Stimmerfassung erlaubt. Die Erprobung oder Nutzung neuer Techniken dürfe aber nicht zum Anlass genommen werden, "von den Anforderungen verfassungsrechtlicher Grundsätze wie des Demokratieprinzips und des Rechtsstaatsgebotes Abstriche zu machen". Vielmehr käme es darauf an, Grenzen zu ziehen: "Je wichtiger das durch die Technik berührte Verfassungsgut, desto enger die Grenzen".

Nun muss sich zeigen, ob die Verfassungshüter den von Wiesner aufgeführten Risiken zum automatisierten Wahlbetrug durch das "Blackbox-Voting" ebenso sehen, oder ob sie die Beschwerde möglicherweise gar nicht erst zur Entscheidung annehmen.

Zum Thema E-Voting siehe auch: