Elektronische Gesundheitskarte: Online Roll-out auf Biegen und Brechen

Das E-Health-Gesetz soll den Einsatz der elektronischen Gesundheitskarte beschleunigen. Der Zeitplan nimmt aber keine Rücksicht auf anstehende Tests. Ohne sie, ist die Sicherheit des Systems nicht geklärt.

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(Bild: dpa, Patrick Pleul/Archiv)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Detlef Borchers
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Mit dem Gesetz für sichere digitale Kommunikation und Anwendungen im Gesundheitswesen werden verbindliche Zeitfenster für die Online-Anbindung von Arztpraxen und Kliniken vorgeschrieben. In seiner Stellungnahme zum Gesetz betonte Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe, dass er dank der Expertenanhörung von der Projektgesellschaft Gematik darüber informiert sei, dass die gesetzten Fristen der Industrie Probleme bereiten. Diese würden aber nicht ins Gewicht fallen.

"Nach den aktuellen Zeitplänen der Gematik kann der Roll-out weiterhin im Jahr 2016 beginnen, so dass die gesetzlichen vorgesehenen Sanktionen nicht greifen müssen", zeigte sich Gröhe zuversichtlich. Mitte 2016 würde die Online-Anbindung starten, Mitte 2018 seien alle Praxen und Krankenhäuser an die telematische Infrastruktur angeschlossen. Die Sache hat nur einen Haken. Die Tests, nach denen die Online-Anbindung starten sollte, verzögern sich. Und das wurde auch schon in der Expertenanhörung, auf die Gröhe verweist, so kommuniziert.

In der Expertenanhörung des Bundestages sagte Alexander Bayer, der Geschäftsführer der Gematik klipp und klar, dass bis zum Stichtag des 30. Juni 2016 "keine aussagefähigen Daten zur Funktionstauglichkeit des Stammdatenmanagements aus den Testgebieten vorliegen" werden. Wenn der eigentliche Roll-out der Konnektoren startet, bei dem 217.000 Praxen, 21.000 Apotheken und 2000 Krankenhäuser sowie 2,3 Millionen "Gesundheitsfachberufe" an die telematische Infrastruktur angeschlossen werden müssen, liegen nicht einmal verlässliche Daten zur Grundfunktionalität der elektronischen Gesundheitskarte vor.

Bei den Test handelt es sich um Testreihen in zwei Regionen, der Testregion Nordwest (Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz) und der Testregion Südost (Sachsen und Bayern). Für den Nordwesten sind die Firmen KoCo Connector und Strategy& mit der CompuGroup Medical zuständig, für den Süden T-Systems. Bei den Tests werden insgesamt 1011 Teilnehmer mit der telematischen Infrastruktur der Gematik verbunden. In jeder Region sind für den Test 505 Teilnehmer ausgewählt worden: 375 Ärzte bzw. Psychotherapeuten, 125 Zahnärzte, 5 bzw. 6 Krankenhäuser und ein Universitätsklinikum testen dabei, ob der Stammdatensatz eines Versicherten auf der Gesundheitskarte online aktualisiert werden kann.

Die Tests werden von der FAU Erlangen-Nürnberg wissenschaftlich begleitet. Nach Angaben der Gematik rechnet man mit mindestens 1 Million Kommunikationsvorgängen zwischen Praxen/Krankenhäusern und den 123 angeschlossenen gesetzlichen Krankenversicherungen. Sie sollen dahingehend ausgewertet werden, ob die Sicherheit der Stammdaten gewährleistet ist und die Daten-Überprüfung bzw. Aktualisierung tatsächlich in wenigen Sekunden erfolgt. Erst nach dieser Auswertungsphase sollte Mitte 2016 der große Roll-out der Konnektoren beginnen.

Die Tests können in den beiden Regionen aber erst verspätet starten, denn wie schon in der Expertenanhörung dargelegt wurde, könne die Industrie die notwendigen Komponenten für die beiden großen Feldtests mit 1011 teilnehmenden Praxen und Kliniken nicht termingerecht liefern. Deshalb müssten sich eigentlich alle darauf aufbauenden Termine nach hinten verschieben.

Außerdem gibt es noch einen zweiten vermutlich Zeit schindenden Unsicherheitsfaktor. Inmitten der Aufbauphase müssen alle Gesundheitskarten der Versicherten ausgetauscht und durch die Chipkarten der 2. Generation ersetzt werden, die entsprechend der Vorgabe des BSI mit stärkeren Kryptoschlüsseln ausgestattet sind.

Wie auch Minister Gröhe versucht die Industrie ein positives Bild zu zeichnen. Der Branchenverband Bitkom verglich das "Potenzial" der durchgehenden Digitalisierung des Gesundheitswesen mit der Erfindung des Penicillins und der Entschlüsselung des menschlichen Genoms. Gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung betonte ein Sprecher der CompuGroup Medical, dass man mit keinen weiteren Verzögerungen rechne. Die beteiligten Firmen würden auf den Starttermin Mitte 2016 hinarbeiten. (kbe)