Was war. Was wird. Wir sind und wir hassen uns, darum werden wir ...
An manchen Orten wurstelt es sich eben noch wurstiger als in Berlin, stellt Hal Faber fest. Gegen den Präventionsstaat, in dem die Politik von Paranoikern am Nasenring durch die Arena gezogen wird, helfen keine Furchtableiter.
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.
Was war.
*** Willkommen im neuen Jahr! ja, richtig gelesen, ein neues Jahr, wenn nicht gar ein neues Zeitalter ist angebrochen mit der neuen Vorratsdatenspeicherung. Ab vorgestern kann landauf, landab von uns allen alles mitgespeichert werden, was irgendwie wie eine Verbindungsinformation aussieht und unseren Standort verrät. Das ganze zum Wohle der Polizei, die serienweise Kinderpornotauscher aus dem Verkehr ziehen kann und zum Unwohle der Sicherheitsexperten, die bemängeln, wie Mobilfunkfirmen mit ihren Daten umgehen. Noch wohler fühlt sich der bayerische Verfassungsschutz. Der war zwar von dem SPD-Justizminister Maas in seinem Wurstl-Gesetz nicht vorgesehen, aber bayerische Würste sind immer extra gewurstelt, wegen dem Terror sein Fratzl, wissensscho. Hach, es wird ein schönes neues Jahr werden. Ganz, ganz weit weg erscheint dieses 2014, wo eben jener Heiko Maas kurz vor Weihnachten die Vorratsdatenspeicherung ganz entschieden ablehnte. "Man kann mit uns nicht umgehen wie mit der FDP" , sagte Maas damals, was hinkommen dürfte, weil die FDP gegen die VDS klagen will. Derweil die erste Verfassungsschutzbeschwerde gegen die VDS diskutiert wird, weht er kräftig durch diese kleine Wochenschau, der berühmte Hauch der Geschichte. Er erinnert uns an den 14. Dezember 1995, als eine Justizministerin mit Tränen in den Augen zurücktrat. An Sabine Leutheusser-Schnarrenberger wird man sich noch erinnern, wenn Maas längst vergessen ist.
*** Neidisch guckt der Innen-Bayer Joachim Herrmann nach Frankreich, diesem Musterland der Vorratsdatenspeicherung, wo alles noch viel schnieker ist und alle Dienste und Sondereinheiten in den Daten suchen können und abgenommene Pässe zentral verwahrt werden. Wo es mit dem "Fiche S" ein Zusatzspeicher-Zeichen für die Gefährder mit Zusatzklassifikationen S16 für den Anfangsterroristen bis S1 für den sprengbereiten Staatsfeind gibt. Brauchen wir nicht auch so etwas, so eine S-Karte für mehr Sicherheit? Zwar alles nicht sehr wirksam, um Terrorattacken zu verhindern, aber doch schwer nützlich, rund 20.000 Personen kurzfristig zu internieren oder unter Hausarrest zu stellen.
*** Ehe diese Kolumne als antibajuwarische Generalklatsche verstanden wird, sei darauf verwiesen, dass auch in Bayern gute Arbeit gemacht wird, besonders von der Polizei. Hier scheint es noch den Realismus zu geben, der in der Politik abhanden gekommen ist: "Ich persönlich will keine Zustände wie in George Orwells '1984'. Da habe ich als Polizist lieber eine Befugnis weniger, bevor ich in einem Überwachungsstaat lebe." Indes, in was für einem Staat wir leben, muss auch vermittelt werden. In eben diesem Bayern hat das Justizministerium eine Aufklärungsaktion gestartet, die Flüchtlingen den Rechtsstaat erklären soll. Wie wäre es mit einem nur unwesentlich veränderten Film in leichter Sprache, der Pegida-Anhängern erklärt, wie der Rechtsstaat funktioniert? "Für alle, die zu uns kommen, gelten unsere Gesetze. Und natürlich auch die ungeschriebenen – wie zum Beispiel die Kehrwoche." Nein, das ist nicht Bayern, das hat die baden-württembergische Integrationsministerin Bilkay Öney am Mittwoch im Landtag gesagt.
*** In dieser Woche haben wir anlässlich der "endgültig fertigen" EU-Datenschutzreform lernen können, dass ein Internetjahr sich in Hundejahren umrechnen lässt und die Datenschutzreform deswegen eigentlich 70 Jahre alt sein wird, wenn sie irgendwann um 2018 herum tatsächlich greift. Statt Hurra, Hurra zu rufen oder wie Heiko Maas von einem "historischen Tag für den Datenschutz" zu schwafeln, müsste klar und deutlich gesagt werden, wie hoch der Preis für diese gründlich verwässerte Reform ist, den vor allem betriebliche Datenschützer bezahlen müssen - und alle überigen Bürger, wenn es mühsam weitergeht wie bisher:
"Es werden ihn aber vor allem alle europäischen Bürgerinnen und Bürger bezahlen, wenn wir nicht sofort beginnen, an der nächsten, technologienahen Edition der Datenschutzgrundverordnung zu arbeiten, statt – wie beim letzten Mal – zwanzig Jahre lang zu warten, bis endlich irgendetwas geschieht. "
*** Ffssssch! Die Macht ist erwachsen, Star Wars ist da, die Lichtschwerter zuzeln, ganz vortrefflich passend zum Fest der Liebe und all der Verwurschtereien, die in ein einziges großes Zuzeln mündet. Im verschneiten Wald (danke, Klimaschutzkonferenz!) kloppen sich Finn und Rey mit dem Urbösen mit dem verbeulten Masken-Tick. Schon der obligate widerständige Roboter BB-8 sieht wie eine fehlproduzierte Weihnachtskugel aus im puritanisch-protestantischen Weihnachtsmärchen. Ein Gottesdienst zu Star Wars ist das Mindeste, was in der innig gelebten Adventszeit gemacht werden sollte. Viel christliches Gedankengut ist drinne, bis hin zum Imperattiv, dass man nicht auf der Seite des Bösen stehen darf. Auch die Krippenszene verdient eine zeitgemäße Interpretation, mit Jedi-Rittern statt dieser Könige aus dem abgebrannten Morgenland. Im Übrigen ist diese Geschichte nicht mehr zeitgemäß, dass jeder Christ einem Flüchtling ein Dach über dem Kopf geben muss, und sei es ein Stalldach auf einem Wüstenplanet.
*** Die launigen Zeiten der Shitstorms sind vorbei, der Hass bricht durch, mitunter auch in den wunderbaren Heise-Foren zu spüren, wo es zwar hart hergeht am Baggersee, doch selten gehässig. Sollte es ein Gesetz geben, das Hasskommentare mit mehr als zwei Rechtschreibfehlern löscht, so wäre es effektiver als das, was ein runder Tisch da ausgehandelt hat. Das war wohl nichts. Die richtige Antwort auf all die Hass-Attacken ist ein fetziges Verpisst euch!, doch die Sache mit der Modernität unserer Zeit zu erklären, in der die Stammtische ins Internet gewandert sind, das greift zu kurz. Der Hass sitzt tief, sagt man und meint nicht die verzierenden Tätowierungen. "Ich bin überzeugt, man liebt sich nicht bloß in anderen, sondern hasst sich auch in anderen", bemerkte einst Georg Christoph Lichtenberg, ein Nerd, dem wir das schöne Wort vom "Furchtableiter" verdanken. Oh, Toleranz. Auch schon oft besungen.
Was wird.
Eigentlich ist Berlin die Hauptstadt der Bewegung derer, die gegen die totale Überwachung kämpfen. So behauptet es die aktuelle Berliner Wochenend-Ausgabe der tageszeitung , zwar nicht online und verlinkbar, dafür aber proppenvoll mit triefendem Lob für den Grünen-Netzpolitiker Konstantin von Netz, der Aktivistin Stephanie Hankey von Tactical tech und Crille, der Cryptoparties organisiert. Auch eine hübsch gruslige Beschreibung der c-base durfte da nicht fehlen.
In der anstehenden Woche wird Berlin durch Hamburg abgelöst, wenn sich die Gated Communities der vielen disparaten Hacker-Szenen im Chaos Congress Centrum treffen, das noch nicht wegen Renovierung geschlossen ist – so kann man sich irren. Kurz bevor mit 2016 wieder einmal das Jahr der Katzen anbricht, gibt es Katzencontent ohne Ende. Für Hacker und Häcksen gibt es Vorträge und Workshops, für Häcksen und Hacker das Rahmenprogramm mit Lynn Hershman Leeson, deren Hot-Link-Sammlung "Clicking In" (bzw. die CD "Clicking On") Bestandteil unseres Sommerrätsels war. Dort findet man auch diesen Trost und Ratschlag für bessere Zeiten:
"Invisibility – there are things we can't see now, that are there, that are embedded, that it really takes time in order to be able to see. There are many ghosts that are lurking around and lingering through us that takes the technology of another generation or so in order to uncover and show what those stains and strains and perceived flaws really we're building towards."
(jk)