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Was war. Was wird. Von den Zigeunern am Rande des Universums

Ach ja, die deutsche Sprache. Manche lassen sich durch sie dazu verrenken, von einer "thymotischen Unterversorgung" zu schwafeln. Derweil singt im Apple Store leise aus den Boxen David Bowie, den Hal Faber vor einer Woche noch hochleben ließ.

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Was war. Was wird. Von den Zigeunern am Rande des Universums

Gott würfelt nicht …

Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

"Der Mensch muss endlich aus seinem tausendjährigen Traum erwachen und seine totale Verlassenheit erkennen. Er weiß nun, dass er seinen Platz wie ein Zigeuner am Rande des Universums hat, das für seine Musik taub ist und gleichgültig gegen seine Hoffnungen. Leiden oder Verbrechen." (Jacques Monod über den Zufall)

*** Ja, draußen knallt es ganz enorm, zur Verblüffung der Forscher, doch das Zufallsprodukt Mensch hält dagegen, mit der Musik von David Bowie. Der hat sich von der Bodenkontrolle mit "Blackstar" verabschiedet und uns gezeigt, was Sterben in Würde bedeutet, mit allem Respekt vor der Privatsphäre. Die vorige Ausgabe dieser Wochenschau endete mit einem Gruß an Bowie und einem "Hoch lebe er", als wenige Stunden später sein Tod bekannt gegeben wurde. Skandalöserweise drehte sich die Erde weiter und dem Universum war es schnurzegal, was diese Zigeuner da trieben. Was bleibt, ist die Musik und der steigende Aktienkurs.

"Selbst im Apple Store kommt leise aus den Boxen Bowie. Das merken die unterbelichteten Apple-Millenials natürlich nicht, die dort ihren Technikkäse in die Ohren ihrer Kundschaft faseln. Und Bowie singt: 'I'm so high it makes may brain whirl, I dropped my cell phone down below.'"

So steht es, geschützt durch die Waberlohe, in der Süddeutschen Zeitung in einem Bericht, der da schildert, wie gestandene Väter ihre Kinder am Montag in der Kita abgaben und dann zusammenbrachen, "Fuck!! Shit!!" Dazu hören wir Bowie: Look up here, I'm in heaven, lesen Bowie-Geschichten und betrachten Bowie-GIFs und erinnern uns an die Zeit, als es richtig aufregend war, das Bowienet zu erkunden. Für David Bowie war es die Erfahrung des Kontrollverlustes:

"And I have no control over that at all. The lot on Bowienet are quite funny and sarcastic – they're not, like, goths, all serious and heavy. They do a lot of sending-up, referencing The Laughing Gnome and that, which I like. Am I OK with that? Oh God yeah! I had to get over that a long time ago. But then, as we all know, history is revisionism. One makes one's own history." (David Bowie)

*** Ja, der Revisionismus regiert. Die Menschen, diese Zigeuner am Rande des Universums machen ihre eigene Geschichte. Und sie machen ihre Geschichten ganz alleine, aus freien Stücken, bis der letzte Zufall kommt. Mitunter sind es sehr deutsche Geschichten, mit ganz eigenartiger Musik. Während #Bowie Trend bei Twitter in den USA und Großbritannien war, rangierte #ausnahmslos bei uns auf dem ersten Platz, mit einem Aufruf zu Sprech- und Denkverboten mit 14 Regeln und drei FüßInnennoten, der es in sich hat. Selberdenkende aller möglicher Geschlechter werden von diesem Aufruf allseitig angetanzt. Viele Forderungen sind richtig, aber in einer Sprache von Alpha-Frauen vorgetragen, die nicht auf Verständigung aus ist, sondern ihre Herkunft aus Unversitätsseminaren nicht leugnen kann: "Wir alle sind von struktureller Diskriminierung geprägt und müssen erlernte Vorurteile erst einmal reflektieren, um sie abzulegen." Viel fehlt nicht, um einen "nationalen Pakt für Reflektion" auszurufen, mit Pflichtkursen an der nächsten Volkshochschule oder im massiv offenen Online-Kurs und einer Ablegeprüfung im Fach "gendersensible Neuprägung". So ist es nur traurig, wie die notwendige Debatte über Köln abgleitet ins Allgemeine und den Kurzgeschlossenen Auftrieb gibt, die umstandslos den Skandal von Rotherham mit 1400 Kindern und Köln zusammendenken. So tönt es von der Militärakademie für NATO-Stabsoffiziere ebenso eisig wie beflissen in der Neuen Zürcher Zeitung:

"Nach dem Fiasko der grossen Rassereinheit im Dritten Reich darf der Traum multikultureller Vermischung bei Verdacht auf alles Eigene nicht auch noch zuschanden gehen. Deshalb kommt es am Kölner Bahnhof am 31. Dezember 2015 zu einer direkten Wiederholung von Rotherham im Schnelldurchgang."

*** Ach ja, die deutsche Sprache. Als in dieser Wochenschau im Sommer 2014 Gedanken zum Gutmenschen erschienen, gab es viele Reaktionen, die auch in der darauf folgenden Wochenschau zitiert wurden. Nun ist der Gutmensch zum Unwort des jahres gewählt worden, vor "Hausaufgaben" und "Verschwulung". Die Wahl kommt mit einem schönen Nebeneffekt, nämlich der vollständigen Veröffentlichung des Artikels von Karl-Heinz Bohrer aus dem Jahre 1992, in dem fremdredigiert der neuzeitliche Gutmensch das Licht der Welt erblickte. Schon damals ging es um die Asylfrage und die rechtslastig verkrampften Vorstellungen von deutscher Nationalität, die sich an ethnischen Kriterien ausrichtete statt an kulturellen. Nachzulesen ist auch, wie Bomber Harris durch die Geschichte spukte, und der erste Golfkrieg gerechtfertigt wurde:

"Sie enthielt natürlich den Gedanken, dass die angelsächsischen Bomberkommandos im Falle des Zweiten Weltkriegs keineswegs eine schuldlose Zivilbevölkerung als Opfer trafen, daß der Krieg der Alliierten gegen Nazideutschland keineswegs unmoralisch war, dass sie sich nichtsdestotrotz schmutzige Hände machten. Dass 'sich schmutzige Hände machen' also nicht notwendigerweise politisch und moralisch verwerflich sei, sondern umgekehrt manchmal notwendig. Zum Beispiel im Golfkrieg."

*** Worüber schon Karl-Heinz Bohrer rätselte, ist die Tatsache, dass sich nur in Deutschland eine solche Schaumsprache entwickeln konnte, in der Worte wie "Querdenker" akzeptiert wurden, in der man "verkrustete Strukturen aufbrechen" will oder eben über die "von struktureller Diskriminierung geprägte Privilegierung" schwafelt und "Denkanstöße" geben will. Es bleibt weiterhin ein Rätsel, das seit 1992 seiner Lösung harrt. Der Fortschritt seit damals hat immerhin für die Erkenntnis gesorgt, dass die Schaumsprache kein Privileg der Grünen und/oder Linken ist. Es sei nur an die thymotische Unterversorgung gedacht, von der der AfD-Philosoph schwafelt, der die "Seelenfakultäten" der Deutschen analysiert. Thymotisch soll Mut, Zorn und Empörung zugleich umfassen, wie früher die maßlos gekränkte Gutmenschenseele "wütend und traurig zugleich" war. Wie heißt es dazu im Wörterbuch des Gutmenschen, was bestens zur heutigen AfD und ihren Pegidioten passt? "Er kann nicht anders als beleidigt auf die Erfahrung der bloßen Unabhängigkeit einer anderen Meinung reagieren." Genau.

Was wird.

"Monsieur Newton und seine Anhänger haben von Gottes Werk eine recht merkwürdige Meinung. Ihrer Meinung nach ist Gott gezwungen, seine Uhr von Zeit zu Zeit aufzuziehen, andernfalls würde sie stehenbleiben. Er besaß nicht genügend Einsicht, um ihr eine immerwährende Bewegung zu verleihen. Gottes Maschine ist ihrer Meinung nach sogar so unvollkommen, dass er gezwungen ist, sie von Zeit zu Zeit durch einen außergewöhnlichen Eingriff zu reinigen und sogar zu reparieren, so wie ein Uhrmacher sein Werk repariert, der ja ein um so ungeschickterer Handwerker ist, je öfter er gezwungen ist, sein Werk in Ordnung zu bringen und zu reparieren." (Gottfried Wilhelm Leibniz an Samuel Clarke)

Am kommenden Dienstag beginnt der Reigen der Feierlichkeiten im Leibniz-Jahr 2016, passenderweise mit einem Hannoveraner Vortrag über die Sprache der Tiere. Inzwischen wissen wir, dass Tiere dank Smartphone und Tablet im modernen Diskurs mithalten können, jedenfalls solange kein Windows 10-Update ansteht. So liegt es nahe, aus dem vom hannöversch-britischen Königshaus provozierten Briefwechsel zwischen Leibniz und Clarke zu zitieren, welcher Newton verteidigte. Dieser hatte damals ausgerechnet, dass Jupiter und Saturn kollidieren könnten und damit das ganze göttliche Uhrwerk des Universums eine Macke hatte, die den Menschen bedroht. Der von Leibniz verhöhnte Gedanke an einen reparierenden Gott wurde Jahre später mit Hilfe der Himmelsmechanik von Laplace mathematisch entschärft, freilich mit einem anderen Ausgang. Als Laplace seine Berechnungen vor Napoleon demonstrierte, fragte ihn dieser, was denn Gott in seinem System mache. "Citoyen premier Consul, je n’ai pas eu besoin de cette hypothèse." Der olle Uhrmacher wird nicht mehr benötigt.

Was bleibt, sind die Menschen, die Zigeuner am Rande des Universums. Da singen sie Bowies Lieder oder die von Peter Gabriel. Glaubt man Gabriel, kommt nach den 3D-Druckern mit den Gehirnscannern eine neue, wunderbare Zeit auf die Menschen zu, wenn sich die Grenzen zwischen der Vorstellung und der Realität vollständig auflösen. Wenn der Architekt an Roboter angestöpselt wird, die seine Überlegungen ausdrucken und noch am selben Tag zusammenbauen können, tritt der allseits entfaltete Mensch auf und baut BER zu Ende.

… und wenn der Würfel geöffnet wird, ist alles nur Diskurs.

(anw)