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Was war. Was wird. Von Einsamkeit, Gebrüll und Meinungsführerschaften.

Es ist hoffnungslos. Oder doch nicht? Dabei sind es nicht nur prominente Internet-Versteher, die verzweifelt nach der Vernunft im Internet schreien. Hal Faber aber fürchtet die Meinungsführerschaft der "hermetischen Teilöffentlichkeiten".

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Vögel, Linie, Schwarm
Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Der Deutsche ist ein guter Mann:
Er hält die Frau in Ehren.
Er zündet Flüchtlingsheime an
Und gründet Bürgerwehren.

Zivilcourage kann ganz schön einsam machen, auch im Internet.

Dieses bitterböse Gedicht vom ehemaligen Titanic-Journalisten Thomas Gsella brachte ihm eine Facebook-Sperre ein, weil besorgte Bürger sich bei Facebook beschwerten. Am rechten Rand ist man erstens empfindlich und zweitens allergisch gegen Satire. Das Facebook dem nachgibt und gleichzeitig eine "Initiative für Zivilcourage Online" bekannt gibt, ist ein schönes Beispiel für die Symbolpolitik gegen Hatespeech. Die Beschwerde selbst entstammt der ach so beliebten Praxis des Nicht-Nachdenkens, [i"]eine Art Rasterfahndung für Laien, die nach ideologischen Alarmbegriffen und Merkmalen sucht, durch die sich potenzielle Gegner und Feinde schnellstmöglich erkennen (oder selbsttätig konstruieren) lassen."[/i]

*** Ihr liebt den Haß und wollt die Welt dran messen.
Ihr werft dem Tier im Menschen Futter hin,
damit es wächst, das Tier tief in euch drin!
Das Tier im Menschen soll den Menschen fressen.

Andere Zeiten, anderer Dichter? Das Jahr ist noch jung, unschuldig ist es nicht mehr: 63 Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte, davon 14 Brandanschläge sind ein deutliches Indiz für den grassierenden Fremdenhass. Auch die Antanz-Angriffe, teilweise gekoppelt mit Sexualdelikten, sollen erwähnt werden, wenn es um die Ozeane mit verexkrementierten Gedanken geht, die heute wieder einmal deutsche Köpfe umspülen. Die "guten Täter" des dritten Reiches haben ihre Nachfolger gefunden, die ihren Hass nicht nur in den "Kommentarspalten im Internet" ausleben. "Auf der Straße führen sie sich wie Gekränkte auf, denen es eine kleinliche Polizei, verbiesterte GegendemonstrantInnen oder politisch viel zu korrekte Medienpartner erschweren, sich so offen und frei für ihren Führer auszusprechen, wie sie es möchten." Aber in den Kommentarspalten laufen sie zu ungeahnter Form auf, sodass selbst die optimistischsten Internet-Versteher kurz vor der Verzweiflung sind: "Lasst uns nicht allein mit den stumpfen Horden. Kommt! Wir halten nicht mehr lange durch im digitalen Stalingrad der Vollidiotie." Und wenn wir doch allein bleiben? Ist dann nicht das Toben der stumpfen Horden das moderne Abbild dessen, zu was die Mobilisierung gegen die Weimarer Republik bedeutete und zu was sie letztendlich führte?`Auch das wird in den Kommentarspalten des Internet befürchtet, dieses Mal von gar nicht stumpfen Kommentatoren. So sind dann die hermetische Teilöffentlichkeiten nur die Mosaiksteinchen, die das Bild eines autoritären und faschistoiden Deutschtums ergeben, vor dessen Meinungsführerschaft mir mehr als graut.

*** In Davos tagte wieder einmal das Weltwirtschaftsforum. Man erfuhr vom deutschen Bundespräsidenten, dass eine Begrenzung der Flüchtlingszahlen moralisch und ethisch geboten sein kann und dass Europa in der Krise stecke. So oder so sieht das staatliche Unbehagen an der Willkommenskultur aus. Zum millionenfachen Jobschwund durch maschinelle Intelligenz, die etwa in der Versicherungswirtschaft die Sachbearbeiter überflüssig macht, äußerte er sich nicht. Aber das machen ja andere in der IT.

*** Mit kindlicher Begeisterung sprach der Google-Manager Philipp Schindler beim DLD über die maschinelle Intelligenz, die bei Diensten wie Google Fotos wahre Wunder vollbringe. Für Davos sparte man sich die Nachricht auf, dass Google mit IBM und Philipps dem heruntergewirtschafteten National Health Service mit smarten Geräten und maschineller Intelligenz unter die Arme greifen will, zum Nutzen von chronisch Kranken. Wie gut, dass Google, anders als General Electric, angefangen hat, in Großbritannien Steuern zu zahlen. Auch die Zahlung an Apple ist so betrachtet ein Google-Goodie. Nächste Woche, wenn Amazon, Apple, Facebook und Microsoft ihre Zahlen verkünden, wird man sehen, ob Google die wertvollste Firma auf dem digitalen Planeten ist. Zumindest Microsoft scheint schon die weiße Fahne zu hissen.

*** Weil Frank Schirrmacher tot und das Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zum Gedenken an ihn ein Friedhof geworden ist, hat die Süddeutsche Zeitung nach der Übernahme von Schirrmachers Edge-Themen nun die Debatte über die "Künstliche Intelligenz" aufgenommen, aber bis auf die Grafik leider nicht online frei geschaltet. Passenderweise macht die FAZ-Kolumnistin des Maschinenraums den Anfang und schwächt mit dem Artikel die Befürchtungen ab, die Stephen Hawking dieser Tage äußerte. Hawking würde es um generelle KI-Systeme gehen, nicht um spezielle Systeme aus dem Bereich des maschinellen Lernens. Die sind nützlich und werden uns im Alltag die Arbeitsplätze weg- und mühsame Arbeiten abnehmen. Man müsse nur sachlich die Leistungen solcher Computersysteme beurteilen wie die Qualitäten eines guten Autofahrers. Den Rest regelt schon "der Markt" und "die Müdigkeit" des Menschen:
"Die Konsequenzen der Entwicklung hängen auch davon ab, welche Arten von künstlicher Intelligenz am Markt nachgefragt werden. Für simulierte Menschen-Gehirne gibt es eigentlich keinen Bedarf. Wohl aber für Systeme, die Teilaspekte des menschlichen Denkens und Könnens deutlich effizienter und besser erledigen können – schlicht, weil sie mit der Geschwindigkeit moderner Computer weitaus mehr Daten einbeziehen, aus mehr Beispielen lernen können und keine Müdigkeit kennen."

*** Eine andere Davoser Debatte verdient Erwähnung, weil sie mindestens ebenso kurios ist wie der Kniefall vor Marktkräften und Schlafbedürfnissen. Ausgerechnet der Chef eines Geldhauses, das gerade 6,7 Milliarden Euro Verlust meldete, machte sich dort für die Abschaffung des Bargeldes stark. Die freiheitswürgende Wirkung dieser Maßnahme ist schon mehrfach Thema dieser Wochenschau gewesen, doch hat es was, diese These zu vertreten, während in Deutschland gerade Hunderttausende von Bankkarten ausgetauscht werden und ein neuer Kreditkarten-Betrug aufgedeckt wurde. Halten wir uns deshalb nicht mit Späßchen über geldsuchende RAFler auf, halten wir es mit Jean Ziegler, über den in diesen Tagen Erstaunliches bekannt wurde: "Geld produziert Geld. Geld ist ein Herrschafts- und Machtmittel. Der Wille zur Herrschaft ist unausrottbar. Er kennt keine objektiven Grenzen." Wer die Verfügungsgewalt über Bargeld entzieht, entzieht Macht, könnte man schlussfolgern.

Was wird.

Nach der Schelte über das Zigeuner-Zufall-Zitat in der letzten Wochenschau bitte ich um Nachsicht, so flappsig vom Zufall gesprochen zu haben. Denn den Zufall gibt es nicht, solange es keinen strikten wissenschaftlichen Beweis für den Zufall gibt, sondern nur faule Erklärungen. David Bowie ist tot und gleichzeitig wird ein neunter Planet diskutiert, das kann einfach kein Zufall sein.
"Und ist diese Steinmasse, fragte Coppi, die dem Kult fürstlicher und religiöser Zeremonienmeister diente, die den Sieg der Aristokraten über ein erdgebundenes Völkergemisch verherrlichte, zu einem freistehenden Wert geworden, jedem angehörend, der davor hintritt."

Eine Feierstätte für den Sieg über das Volk

(Bild: Unify, Lizenz CC BY-SA 3.0)

Am kommenden Montag wäre der der Widerstandskämpfer Hans Coppi 100 Jahre alt geworden, ein Gedenktag, der im kleinen Familienkreis, erweitert um linke Bezirkspolitiker, am Hans-und-Hilde-Coppi-Gymnasium begangen wird. Ob die in Fahrtrichtung Links abgebogenen Piraten aus der Selbstzerleger-Szene dabei sind, ist nicht bekannt. Es ist ja nur ein kleiner Gedenktag eines kleinen Kämpfers im zivilen Widerstand abseits der Stauffenbergs & Co. Schon der 100. Geburtstag von Coppis Chronisten Peter Weiss wird anders gefeiert, mit Vorlesungsreihen, Aufführungen und Sonderbänden. Wir nennen es Erinnerungskultur.

Wir alle
das möchte ich nochmals betonen
haben nichts als unsere Schuldigkeit getan
selbst wenn es uns oft schwer fiel
und wenn wir daran verzweifeln wollten.
Heute
da unsere Nation sich wieder
zu einer führenden Stellung
emporgearbeitet hat
sollten wir uns mit anderen Dingen befassen
als mit Vorwürfen
die längst als verjährt
angesehen werden müssten.

Auch dazu gibt es eine ganz eigene, passende Musik. (jk)