"Keine schwere Aufgabe"

Artur Fischer, der Erfinder des nach ihm benannten Dübels, ist gestorben. Die Unternehmensgruppe fischer bestätigt das in einer Mitteilung. 96 Jahre wurde der gelernte Bauschlosser.

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Artur Fischer, der Erfinder des nach ihm benannten Dübels, ist gestorben. Die Unternehmensgruppe fischer bestätigt das in einer Mitteilung. 96 Jahre wurde der gelernte Bauschlosser. Das Interview, das er der Technology Review 2007 gab, zeugt von seiner großen Motivation bei neuen Entwicklungen.

Artur Fischer hat weit mehr erfunden als nur den nach ihm benannten Dübel und damit ein florierendes Unternehmen aufgebaut. Sein Erfolgsrezept: Mut, Freude an Verbesserungen – und Misstrauen gegenüber Marktforschung.

Technology Review: Als wir 2004 zuletzt über Sie berichtet haben, lag die Zahl Ihrer Patente bei 1080. Was ist denn der aktuelle Stand?

Artur Fischer: Je älter ich werde, umso weniger möchte ich in Zahlen gemessen werden. Ich habe das auch nicht ins Leben gerufen. Wenn ich meine Patentabteilung frage, die wissen das gar nicht mehr. Dass ich in Deutschland die meisten Patente habe, das ist aber sicher. Und wahrscheinlich weit darüber hinaus.

TR: Woran arbeiten Sie im Moment?

Fischer: Ich habe gerade drei neue Patente angemeldet. Bei diesen Entwicklungen habe ich viele Nächte nicht geschlafen, weil es mich so gereizt hat, die Lösung zu finden. Dabei kann es sogar sein, dass es am Morgen eine Enttäuschung ist, was man sich nachts so vorphantasiert hat. Aber sie glauben nicht, wie toll das ist, wenn man sagen kann: So, also das hat nicht funktioniert, aber in diese Richtung muss es doch gehen. Für mich ist es keine schwere Aufgabe, die mich viele Nerven kostet oder mich ermüdet, sondern es ist einfach eine Freude, einer Lösung immer näher zu kommen.

TR: Woher bekommen Sie Ihre Ideen?

Fischer: Mich interessiert alles, was eine Aufgabe ist, für die ich eine Lösung herbeiführen kann. Diese Aufgaben müssen dazu beitragen, vorhandene Produkte zu verbessern, die Verarbeitungsmöglichkeiten zu erweitern, den Arbeitsvorgang zu vereinfachen und neue Absatzfelder zu bekommen.

TR: Und wo finden Sie diese Aufgaben – durch reine Intuition oder suchen Sie sie auch systematisch im Gespräch mit Kunden oder per Marktforschung?

Fischer: Sicher, Marktforschung ist notwendig, aber da ich sie selbst nie betrieben habe, kann ich da eigentlich nicht richtig Stellung dazu nehmen. Ich weiß nur eines: Wir machen seit vielen Jahren ein Produkt, das kann man noch wesentlich verbessern. Der Markt hat nicht gesagt: Das muss man verbessern. Sogar die Leute, die es verwenden, sagen: Das geht ja. Man muss selber eine Lösung suchen wollen – einfach aus der Freude heraus, um etwas zu schaffen, was besser ist.

Noch einmal zurück zur Marktforschung: Wenn ich hier im Unternehmen etwas anbiete, heißt es oft: da müssen wir erst Marktforschung betreiben. Ich sage: Womit denn? Das, was ich jetzt in der Hand habe, das haben Sie doch gar nicht. Wenn mich auf die Wiese stelle und sage: Hallo, lieber Markt, was brauchst du denn – der sagt mir gar nichts. Ich muss dem Markt etwas anbieten und dann entscheidet der Markt, ob es richtig ist oder falsch.

TR: Wie entscheiden, welchen von Ihren Ideen Sie nachgehen?

Fischer: Heute mache ich das so, dass ich etwas der Firma anbiete, und die muss dann selber über die Prioritäten entscheiden. Früher habe ich das selbst gemacht. Das waren ja zum Glück, was den Dübel anbetrifft, im Wesentlichen Dinge, mit denen ich durch den Beruf, den ich erlernt habe, in Verbindung stand. Ich wusste, wie das ist, wenn ich früher als Stift an der Wand etwas festzumachen hatte und das hing dann nachher schräg. Es geht bei mir zunächst um den Menschen, um die Frage: Was nützt es dem anderen? Kann ich ihm eine Freude machen? Macht es ihm Spaß? Und das nicht, weil ich ein idealistischer Mensch bin, sondern weil es logisch ist. Das ist eine ganz andere Ausgangsbasis, als wenn ich sage: Wie viel verdiene ich denn daran?

TR: Und wie war dabei Ihre Erfolgsquote?

Fischer: Also ganz global gesagt sehr hoch. Wir haben sehr wenige Flops gehabt – zum Beispiel eine Eierköpfmaschine (lacht). Ein Hotelier hat mir gesagt: Das ist ein Riesengeschäft, macht doch mal was, dass ich morgens die Eier nicht aufklopfen muss. Und wir haben dann schnell einen ganz tollen Apparat gehabt, das war ein federbetätigtes Schlagmesser. Aber wissen Sie was? Die Eier waren nicht gleich groß. Bei großen Eiern hat das Ding die Eier in der Mitte durchgeschlagen und bei kleinen sind sie drüber weggeflutscht.

TR: In Deutschland herrscht ja kein Mangel an Ideen, es gibt nur eine schlechte Quote der Ideenverwertung. Was machen Firmen falsch?

Fischer: Heute wird, denke ich, nicht als wesentlich angesehen, was es dem Menschen bringt, sondern welchen Gewinn das Produkt für die Firma bringt. Das ist nicht negativ, aber wenn dieser Punkt alles dirigiert, dann gehen viele gute Ideen verloren. Wenn jemand, der ein neues Produkt vorschlägt, gleich gefragt wird, ob sich davon fünf Millionen Stück verkaufen lassen, steht er sofort unter Druck und sagt lieber bloß drei. Und wenn es dann nur drei sind, wird es nicht produziert, weil es sich dann für die Firma nicht lohnt.

TR: Also mangelnde Risikobereitschaft ist das Hauptproblem?

Fischer: Ja. Zum Beispiel haben wir eine neue Welle, dass wir uns sagen, wir produzieren zu teuer in Deutschland, wir lassen es im Ausland produzieren. Aber wissen Sie, was nicht berechnet wird? Ob dieses Produkt auch wirklich die Qualität hat, um seinen den Zweck zu erfüllen. Vieles wird nicht gemacht, weil man Angst hat, dieses Produkt in der nötigen Qualität zu produzieren, weil man die entsprechenden Stückzahlen dann wohl nicht erreicht. Ich muss den Mut haben und viel Vertrauen in mein Produkt. Vielleicht ein kleines Beispiel: Als ich die ersten Fischer S-Dübel gemacht habe, haben wir das beste und teuerste Material genommen, das es damals gab, nämlich Nylon.

Ich wurde ausgelacht von der Welt, man hat gesagt: Wie kann man so blöd sein, für ein Ding, was in der Wand verschwindet, so einen hochwertigen Stoff zu nehmen? Ich wusste aber, dass die Dinger nicht bloß ein Jahr halten sollten. Aber das ging nur deshalb, weil wir von Anfang an ein Material genommen haben, das damals 7,90 Mark pro Kilo gekostet hat. Und da gab es auch schon Polyethylen und anderes, das hat 1,50 Mark gekostet. Meine Mitarbeiter haben gesagt: Herr Fischer, wir müssten doch ein billigeres Material nehmen können. Ich habe gesagt: wir werden bei Nylon bleiben, weil ich weiß, dass es der richtige Werkstoff ist. Der Kunststoffdübel wäre längst gestorben, wenn wir damals nicht das beste Material genommen hätten.

Unternehmen haben eine Verpflichtung ihren Kunden, Mitarbeitern und Teilhabern gegenüber, da ist es doch gar nicht so verwerflich, risikoscheu zu sein. Ich bin absolut einverstanden, dass Risikodenken nichts Falsches ist. Nur, wenn man von vornherein sagt "Wir brauchen so und so viele Millionen", dann hätte ich mit den Dübeln gar nicht anzufangen brauchen. Wir haben überhaupt keine Ahnung gehabt, dass wir solche riesigen Stückzahlen einmal erreichen würden. Aber mir war klar, ganz schlicht und einfach klar, dass, wenn es mit einem Produkt, das verschiedene Bedingungen erfüllt, nicht schief gehen kann. Wenn ich mir aber sage, ich will im Jahr zwei Millionen verdienen, hätte ich sofort aufhören müssen.

TR: Also sind es die Kaufleute, die Innovationen im Weg stehen. Sind es aber nicht umgekehrt die Entwickler, die Produkte gerne noch schneller, noch größer, noch schicker machen, bis es keiner mehr bedienen und bezahlen kann? Wäre es nicht ganz gut, wenn Kaufleute solchen Entwicklern öfter mal sagen "Jetzt lasst es aber mal gut sein"?

Fischer: Vollkommen richtig, aber alles zu seiner Zeit, alles im richtigen Verhältnis. Alle müssen an einem Strick ziehen. Das ist ja ein bisschen verloren gegangen.

TR: Der ganze Innovationsprozess ist bei Ihnen ja stark von Ihrer eigenen Persönlichkeit geprägt. Was würden Sie Firmen empfehlen, die das Pech haben, keinen Artur Fischer unter ihren Mitarbeitern zu haben?

Fischer: Dann muss man eben vieles im Team machen. Sie brauchen in einem Team nicht nur gute Fachleute, Sie brauchen charaktervolle Leute, das ist das Entscheidende. Wenn Sie da ein faules Ei haben, das auf den anderen neidisch ist, weil er eine gute Idee hat, ist es sofort aus. Ein Team funktioniert nur dann, wenn die Leute sich mögen und verstehen. Und leider, was ich unendlich bedauere, haben wir in der heutigen Produktionswelt eine immer größere Abschottung haben zwischen den einzelnen Verantwortungsbereichen, zwischen dem kaufmännischen, dem technischen und den einfachen Arbeiten, wodurch das Entscheidende fehlt: das Verständnis für den anderen. Ich habe auch kein Verständnis dafür, dass man, wenn man miteinander etwas zu besprechen hat, sich das zufaxt. Das ist das Kälteste, was ich mir vorstellen kann.

TR: Wie weit lässt sich Ihr persönlicher Stil auf eine Organisation übertragen? Geht die Firma Fischer bei den Innovationen heute andere Wege als Artur Fischer?

Fischer: Ich habe den Betrieb 1948 gegründet und bis 1980 selbst geführt, seitdem führt ihn mein Sohn. Das, was bisher war, war so nicht übertragbar, weil mein Sohn auf einem anderen Dampfer fährt als ich. Für mich war das Entwickeln und Erfinden alles. Und mein Sohn macht ja nun weltweit im kaufmännischen und anderen Bereichen sehr viel. Wir haben jetzt auch hier einen ziemlichen Entwicklungsstab und haben die Regeln eines modernen, größeren Betriebes. Ich war gerade sechzig Jahre alt und hätte ja ruhig weitermachen können, aber ich wollte das aus zwei Gründen nicht: Ich habe gesehen, mein Sohn denkt anders als ich und eines Tages muss ich den Betrieb abgeben, aber dann bin ich wahrscheinlich so unflexibel, dass es zum Bruch kommt, dass wir Probleme kriegen. Das haben wir natürlich auch gehabt, so eine Übergabe ist nicht ganz ohne Probleme.

TR: Wie haben Sie in Ihrer Zeit als Geschäftsführer Menschen herausgefunden, ob ein neuer Mitarbeiter ins Team passt?

Fischer: Ich habe dem anderen in die Augen gesehen und ich habe von ihm erwartet, dass er mir auch in die Augen sehen kann. Und wissen Sie, was ich noch gemacht habe? Wenn einer sein Auto unten stehen hatte, dann habe ich mir gelegentlich angeguckt, wie es da drin aussieht. Wenn es ein richtiger Kolonialwarenladen war und alles schmutzig und durcheinander, dann war mir klar, dass er in einer Firma auch keine Ordnung halten kann.

TR: Was würden Sie heute einem Geschäftsführer einer mittelständischen Firma empfehlen, die innovativer werden muss?

Fischer: Innovation muss am Arbeitsplatz beginnen, zum Beispiel bei der primitiven Frage "Arbeiten wir sparsam oder schmeißen wir viel weg?".

TR: Beim Innovationsmanagement ist derzeit das Thema Open Innovation sehr populär, bei dem Kunden per Internet in die Entwicklung eingebunden werden. Ist das eine ganz andere Welt für Sie?

Fischer: Nein, ich halte das für richtig. Wir haben sehr früh schon Handwerker eingeladen, um zu fragen: Wie seht ihr das? Habt ihr noch irgendwelche anderen Aufgaben, die wir noch bewältigen können?

TR: Es wird immer schwerer, neue Marktlücken zu entdecken. Ist die Arbeit eines Innovators heute schwieriger oder leichter als früher?

Fischer: Es ist heute viel leichter. Eine meiner ersten Erfindungen, ein Feueranzünder, hat meine Frau bei den Bauern gegen Butter, Eier und Speck eingetauscht. Und damit bin ich nach Stuttgart gefahren und habe Bohrer besorgt und was ich sonst noch gebraucht habe. Außerdem ist es falsch, zu sagen, heute ist alles schon da. Es gibt immer Chancen, etwas zu verbessern und umzudenken. Wenn ich in der Autoindustrie wäre, ich würde mich zum Beispiel sofort auf die Brennstoffzellen stürzen. (jle)