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Was war. Was wird. Mit Ken und Barbie, mit Lilli und den Helden des Cyberspaces

Dingsbums. Ja. Die Wirklichkeit? Ooooch. Interessiert doch nicht, wo es doch so schöne Verschwörungstheorien und Phantasmagorien gibt. Hal Faber ist immer noch frustiert und zweifelt daran, dass KI der Intelligenz der Menschheit auf die Sprünge hilft.

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Künstliche Intelligenz, KI, AI
Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

Wenn Datenschutzaktivisten Mattels vernetzte Barbie ins Visier nehmen, kann das auch mal, äh, deutlich werden

*** Das Internet der Dinge ist da. Es begann harmlos als Internet der Dingsbumse, mit Dildos, die sich über Bluetooth als "Serial Port 1" mit einem Smartphone und dem Code 0000 verbinden lassen. In Zeiten, in denen kaum noch jemand weiß, was eine serielle Schnittstelle ist, ist das doch ein hübscher Einfall. Seinen vorläufigen Höhepunkt hat das Internet der Dinge mit Hello Barbie ausgerechnet im Kinderzimmer erreicht. Kein Wunder, dass in dieser Woche in Berlin gezeigt wurde, wie Barbie und Ken es tun bei ihrem Date. Im Kinderzimmer spielt ein Mädchen mit seinen Puppen und lässt es im Bend Over-Porn so richtig krachen: Kens Hose wird runtergezogen, Barbie bückt sich und es geht los mit dem großen Stöhnen, den OOOhs und AAAAhs. Der heiße Sketch, den Digitalcourage da aufführte, sollte geladene Journalisten daran erinnern, dass auch Kinder eine Menschwenwürde haben, die verletzt werden kann.

*** Klingt pathetisch, war es auch. Falsch war es obendrein auch noch: Erst wenn ein Kind bei "Hello Barbie" auf den Gürtel drückt, zeichnet ein Mikrofon auf, was es sagt und schickt dies via WLAN zu einem Server der Firma Toytalk. Dort wird die Sprache analysiert und einer von 8000 Sätzen zurückgeschickt, die Barbie sprechen kann. Ein Lachen oder ein dreckiges Stöhnen in der Phantasie junger Mädchen wird bei der Analyse auf Sprache übergangen, ein längeres AAA könnte als Ada extrahiert werden und zurück käme dann von dieser Barbie, die sich vor allem für Mode interessiert:
"Well, I bet you're quite a computer whiz, just like Ada Lovelace -­--­- she was the first computer programmer ever! What's your favorite thing about computers?"

*** Ein harmloser Satz, der allenfalls den guten Professor Rojas auf die Palme treiben dürfte, der leidenschaftlich gerne Ada Lovelace demontiert, als erste Stümperin vor dem Gerät, mit bescheidenen Mathematikkenntnissen. Um eine Demontage war es auch den Aktivisten von Digitalcourage gegangen, denn sie stören sich seit der Verleihung der Big Brother Awards 2015 daran, dass Eltern über eine Barbie-App mithören können, was ihr Kind zur Puppe spricht. Das kann man als Teil der elterlichen Verantwortung sehen (Mattel tut das) oder eben (wie Digitalcourage) als Verletzung der Privatsphäre von Heranwachsenden. In jedem Fall ist diese Variante des Internets der Dinge nicht etwas, das sich still und heimlich ins Kinderzimmer schleicht. Der Zugang zum WLAN ist abgesichert und kann über eine App nur von jemanden eingestellt werden, der Barbies Halskette zum Blinken kriegt. Die Sprachdaten des Kindes werden verschlüsselt übertragen, nach einem Protest auch die Antworten von Barbie. Denn zeitgleich mit der Berliner Aktion haben Hacker die Innereien der Puppe analysiert und ein erstes Fazit gezogen: Mattel gibt sich Mühe und reagiert schnell, wenn Sicherheitslücken aufgedeckt werden. Spannend wird es werden, wenn die neuen Barbie-Modelle sprechen können. Ein bisschen Slang und ein paar Kraftausdrücke für die "kurvige" Barbie müssten schon drin sein, ganz zu schweigen vom kurvigen Ken.

*** Ken und Barbie haben es getan, Lilli/Lisa/Elena nicht. Größer als die Berliner Aufregung über Barbie war die Berliner Aufregung über eine junge Deutschrussin, die wegen ihrer Schulprobleme bei einem Bekannten übernachtete. Das verriet nicht Barbie, sondern die Abfrage ihrer Handydaten, komplett mit der Funkzellenabfrage, in der jeder Berliner mehrmals im Jahr auftaucht. So ist das mit dem Internet der Dinge, die wir tragen. Natürlich wird das die russischen Verschwörungstheoretiker nicht beirren, denn so eine deutsche Funkzelle ist keine ehrliche russische Yota-Funkzelle und ein "Onkel" oder eine "Tante" findet sich immer für ein Interview. Immerhin lernt Restdeutschland mit Hilfe eines Mädchenschwindels, dass es nicht nur im Internet Filterblasen gibt, sondern auch im richtigen Leben. Fürs Auftauchen, um Luft zu holen, ist keine Zeit mehr, auch nicht bei den freiwilligen Flüchtlingshelfern, die ihre Variante einer Phantasmagorie frei setzten. Berichte aus der Wirklichkeit sehen anders aus.

*** Marvin Minsky, der Vordenker der Künstlichen Intelligenz, ist gestorben. Er brandmarkte "Hello Barbie" als schwachsinnigen Versuch, KI zu kommerzialisieren und davon abzulenken, dass die Welt in spätestens 20, 30 Jahren funktionierende Pflegeroboter braucht, wenn Menschen älter als 200 Jahre werden, aber wenig Nachwuchs haben. Minsky, der kleine, von IBMs Watson angetriebene Roboter, weint ihm keine Träne nach. Dazu hätte man ihm Tropflöcher und einen Schneuzvorrat einbauen müssen und dem Backend-Watson etwas Code, Gefühle zu dekodieren. So läuft mal wieder eine schräge Debatte um die KI an, in der sich nach Constanze Kurz nun die die Multimedia-Professorin Elisabeth André für Roboter mit künstlicher Haut stark macht, weil die Haut es ist, mit der wir Trauer, Freude und Wut vermitteln, wenn wir die Hand zur Faust ballen. Es müsse doch Wege geben, wie wir aus dem Uncanny Valley der Frankensteins ins Sunny Valley von Paro und Co kommen. OK, Marvin Minsky hätte drüber gelacht und sich mehr über den Sieg der Google-KI beim Go-Spiel gefreut und dazu einen kleinen Barocktanz improvisiert.

*** Während diese Zeilen darauf warten, abgeholt und ins Internet der Zeichen gestopft zu werden, jährt sich der Geburtstag von Franklin D. Roosevelt. Das ist der Mann, von dem die Hälfte aller klugen Sätze über die amerikanische Demokratie stammen – die andere Hälfte hat der Franzose de Toqueville geschrieben. In den USA geht es mit großem Tamtam in die Vorwahlen, kräftig unterstützt von Microsoft und dem App-Lieferanten Interknowlogy. Das findet der liberale Kandidat Bernie Sanders gar nicht witzig, der allen Ernstes von seinen Gegnern als Sozialist tituliert wird. Seine Konkurrentin Hillary Clinton hat immer noch Probleme mit unverschlüsselt verschickten E-Mails, die im Nachhinein für streng geheim deklariert worden sind, sodass allein der unverschlüsselte Versand eine Straftat sein könnte. So mischen sich die Geheimdienste in den Wahlkampf ein und können feixen. "Vom organisierten Geld regiert zu werden, ist genauso schlimm, wie vom organisierten Verbrechen regiert zu werden", sagte Roosevelt. Der Präsident, der 1940 J. Edgar Hoover zum Chef aller Geheimdienste machte, vergaß, die organisierten Dienste zu erwähnen.

*** All die Debatten um das Verschlüsseln, um Hintertüren werden von den Diensten amüsiert zur Kenntnis genommen. Dies erklärte der Sicherheitsforscher Nicholas Weaver auf der ersten Enigma-Konferenz von Usenix, wie im Video zu sehen. Weaver, der am ICSI in Berkeley arbeitet, erklärte die Verschlüsselung als nützliche Zusatzinformation, die bei der massenhaften Überwachung anfalle. Wer mit PGP oder den PGP-Derivaten Asrar al-Mujahedeen (al Quaeda) oder Amn al-Mujahid (Daesh) arbeite, strahle wie ein Casino in der Wüste von Las Vegas. Über die Metadaten könne das Kommunikationsnetz von Absender und Empfänger ausgeleuchtet werden. Jeder, der etwa Asrar al-Mujahedeen benutze, sei als Terrorist einzuordnen. "Das ist doch brilliant. Wer immer sich dies bei der NSA oder dem GCHQ ausgedacht habe, sollte einen fetten Weihnachtsbonus bekommen." Angesichts der Vielzahl an ZeroDays und anderen Sicherheitslücken könnten Geheimdienste getrost auf Verschlüsselungs-Hintertüren verzichten. Es sei viel einfacher, nach einer Analyse der Metadaten den Computer eines Überwachungsziels direkt anzugreifen. Wort! Ähem, Slovo!

Was wird.

Aus Frankreich kommt die Kunde, dass der im russischen Asyl lebende Edward Snowden, der im politischen Asyl lebende Julian Assange und die im Gefängnis lebende Chelsea Manning die neuen Sozialisationstypen der nächsten Revolte sind, die die "Konsequenzen staatlicher Unterdrückung mit allen Mitteln fliehen" und dank Internet ein "neues Spielfeld des Widerstandes" erobern. Bebildert ist die zum Safer Internet Day erscheinende, mit großer Empörung geschriebene Kunst der Revolte des Philosophen Geoffroy de Lagasnerie mit dem Standardbild der letzten Dutzend Bücher zu diesem Thema, der von Anonymous gekaperten Guy-Fawkes-Maske. Der Zuccotti-Park in New York, der Tahrir-Platz in Kairo, der Taksim-Platz in Istanbul sind gut und schön, reichen aber nicht an das Gefängnis heran, in dem Chelsea Manning sitzt, die ecuadorianische Botschaft mit dem Räumen für Julian Assange oder dem Haus in Russland für Edward Snowden. Manning, Assange und Snowden sollen die großen Neinsager sein, die die Existenz der Staaten verneinen. Sie sind für den jungen Philosophen die ersten, die die wirklich im unabhängigen Cyberspace leben, in denen die Regierungen der industriellen Welt, die müden Giganten aus Fleisch und Stahl, keine Macht mehr haben. Wort! (jk)