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Was war. Was wird. Über die Willkür in der Geschichte.

Wenn mal wieder jemand mit absurden Begründungen auffällt, ist man sich sicher: Es geht, nein, nicht um Assange, es geht um Terrorbekämpfung. Hal Faber sieht die Geschichte schon zur Farce verkommen, ganz ohne die bislang notwendigen Wiederholungen.

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Terror, Verhör, Folter

(Bild: Miguel Ugalde)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

Ganz links außen John Young und Deborah Natsios von Cryptome, bei der Präsentation des ersten Cryptome-Videos auf der Transmediale

*** Julian Assange und seine Anwälte haben einen schönen Erfolg errungen. Sie konnten drei Juristen einer vierköpfigen UN-Arbeitsgruppe von der Willkür überzeugen, die aus dem Willen von Assange erwuchs, sich keinesfalls einem schwedischen Justizverfahren zu stellen. Die Juristen werteten sehr streng, ganz im Sinne der Darstellung von Assanges Anwälten: Aus den 10 Tagen im britischen Gefängnis Wandsworth wurde eine "Isolationshaft", aus den Jahren, in denen sich Assange im Instanzenweg bis zum obersten Gerichtshof gegen seine Auslieferung nach Schweden wehrte, wurde eine fortgesetzte Freiheitsberaubung wegen der harten Meldeauflagen. Die Flucht in die Botschaft von Ecuador, nachdem alle juristischen Mittel ausgeschöpft waren, gehört in dieser Sichweise zu einer Kausalkette willkürlicher Bedingungen. Der Spott über diese Form der Wahrheitsfindung ist groß, der Vergleich der Berichterstatter mit dem Spice-Girl Geri Halliwell ist noch der harmloseste Kommentar.

*** Man darf gespannt sein, was die Blackbox der Menschrechte noch in sich birgt. Wird sich ein versteckter Mafiaboss auf Assange berufen können? Die Spannung bleibt auch deshalb erhalten, weil Schweden wie Großbritannien nun zwei Monate Zeit haben, ihre Sicht der Dinge vorzutragen, dass in der Causa Assange durchaus angemessen gehandelt wurde. Beide Länder haben bereits gegen den Vorwurf willkürlicher Haftbedingungen protestiert, was bedeutet, dass die UN-Arbeitsgruppe nach den Stellungnahmen wieder tagen muss.

*** Das Drama geht weiter, auch wenn Assange vom Balkon donnerte, das alle beteiligten Parteien mit Konsequenzen rechnen müssen, den UN-Bericht in der Hand wie ein neues Testament haltend. Betrachtet man den Vorgang nüchtern ohne alle Posen und Erklärungen, so fällt der Absatz Nr. 92 in der Urteilsbegründung der UN-Arbeitsgruppe auf. Hier wird erklärt, das Verfahren rechtmäßig, aber trotzdem unangemessen sein können und zu kritisieren sind:
"The Human Rights Committee, in its General Comment No. 35 on Article 9 also stated that 'An arrest or detention may be authorized by domestic law and nonetheless be arbitrary'. The notion of 'arbitrariness' is not to be equated with 'against law', but must be interpreted more broadly to include elements of inappropriateness, injustice, lack of predictability and due process of law, as well as elements of reasonableness, necessity, and proportionality."
Aus dieser Sicht folgt nicht nur das Recht der UN-Arbeitsgruppe, die Causa Assange zu bewerten, sondern auch das Recht der beteiligten Länder, das Verfahren fortzusetzen. Nach wie vor muss Schweden das eingeleitete Verfahren gegen Assange mit einem abschließenden Verhör zu Ende bringen, nach wie vor ist Großbritannien gehalten, die Verletzung der Meldeauflagen zu bestrafen. Nach wie vor muss Australien seinem Staatsbürger Assange einen neuen Pass ausstellen und nach wie vor muss Ecuador darauf bestehen, dass das diplomatische Asyl anerkannt wird. Nach wie vor muss sich Assange immer wieder in Erinnerung rufen, weil die öffentliche Aufmerksamkeit der einzige Schutzschild ist, der ihm noch geblieben ist. Der Schutzschild soll bekanntlich vor der Nachstellung durch die USA schützen, die am Publisher Julian Assange interessiert sein soll.

*** Ja, nach australischem Verständnis ist Julian Assange immer noch Bürger dieses Landes, auch wenn er sich in seiner Londoner Zeit nur einmal meldete, um für die Wikileaks-Party anzutreten. Die wurde passenderweise zum 1. Januar von der australischen Wahlkommission aufgelöst, weil ihr der Nachweis von 500 aktiven Mitgliedern nicht gelang, durchgeführt mit antiquierten Methoden wie der Telefonanruf bei registrierten Mitgliedern. Im Zuge des Kampfes gegen den Terror will Frankreich die Aberkennung der französischen Staatsbürgerschaft in die Verfassung aufnehmen und die Praxis der Ausbürgerung demokratisieren, die man bislang nur von Diktaturen kannte. Zuletzt war dies 1848 ein Mittel, um nach der Abschaffung der Sklaverei die Sklavenhändler aus den Übersee-Departements verfolgen zu können. Die allgemeine Erklärung der Menschenrechte untersagt übrigens den willkürlichen Entzug der Staatsangehörigkeit.

*** Die Staatsbürgerschaft abschaffen wollen wir noch nicht, aber dafür ist die in dieser Kolumne mehrfach besprochene Abschaffung des Bargelds inzwischen mit großem Getöse in den Nachrichten angekommen. Besonders interessant ist die Nebenforderung, nicht etwa all das Kleingeld abzuschaffen, dass man ohnehin den zahlreichen Türstehern in die Näpfe wirft. Der 500-Euro-Schein, der 28 Prozent des Euro-Bargelds ausmacht, soll verschwinden, weil er wie einst der 1000-DM-Schein von Banken in Osteuropa gehortet wird. Bei der Umstellung der Bankeinlagen von 500 auf die 200-Euro-Scheine müssen größere Tresore her, was nach Angaben des Wirtschaftspredigers Hans-Werner Sinn die Tresorkosten um das Zweieinhalbfache in die Höhe treiben wird. Wir haben es also mit einem Wirtschaftsförderungsprogramm für Tresorbauer zu tun, bejubelt von den ach so toll abgesicherten Online-Bankern und den Terror-Überwachern, die wie immer mit den unsinnigsten Argumenten auffallen. In Frankreich und Belgien gibt es diese Barzahlungsgrenzen, doch den Terroristen hat das nicht den Weg verbaut ins Bataclan. Was folgt aus der Erkenntnis, das Bargeld das Privacy Shield des kleinen Mannes ist? Natürlich nichts, denn wir haben ja nichts zu verbergen.

*** In der schönen neuen Welt der Hyperinformation treffen wir auch bei der selbst ernannten journalistischen Avantgarde auf die alten Probleme. Ausgerechnet beim Intercept ist die Flunkerei eines Kollegen aufgeflogen. Das von Pierre Omidyar finanzierte Webportal ist nicht irgendwer, sondern der offizielle Nachrichtengral der Snowden-Dokumente, diese "wegweisende Form des Welterbes". Kann man da überhaupt etwas verfälschen, wo auch nach den neuesten Zahlen nur die Spitze des Gralberges zu sehen ist, der erst in 42 Jahren enthüllt sein wird? Man kann, glauben die Macher der Transmediale und schreiben recht putzig:
[i]"Indem sie die inneren Mechanismen geheimer Verbindungen zwischen Regierungen und Industrie offenlegen, repräsentieren die Snowden-Archive eine Art kollektives Unterbewusstsein – etwas, das die Gesellschaft nie über sich selbst, ihre Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft erfahren sollte. In diesem Sinne könnten die Snowden-Dokumente als Nachricht von 'Kindern einer Ära, die noch anbrechen muss' [Kim Ki-Duk] betrachtet werden. Wegen der kryptischen Sprache und der spezialisierten Information der publizierten Dokumente dauern die Interpretationsversuche aber noch an."[i]

*** Es dauert also, bis der Kindermund tut Wahrheit kund. Bleibt dem Kolumnisten nur anzumerken: So lange ist es ganz nützlich, weiter heise online zu lesen, wo kryptische Sprache und spezialisierte IT-Informationen vom Leben auf einem nicht porösen Planeten verständlich aufbereitet werden.

Was wird.

Am Rosenmontag, da feiern wir, Alaaf und Helau und so weiter. Oder auch nicht, dafür mit besserer Musik. Vor 60 Jahren aber sah das am Kölner Hauptbahnhof so aus, behutet und benässt. An eben diesem Tag wurde dem Präsidium der KPdSU ein 70-seitiger Bericht über Verfolgungen in der Sowjetunion vorgelegt, denn der 20. Parteitag stand vor der Tür, an dem Stalins Nachfolger Nikita Chruschtschow seine Geheimrede über den Personenkult und seine Folgen hielt. Die Generalabrechnung mit dem Stalinismus und dem Mord all derer, die nicht linientreu waren, erschütterte den "Ostblock". Die "zügellose Willkür", die er Stalin vorwarf, hatte Chruschtschow selbst bewiesen, als er als Parteichef der Ukraine 54.000 Menschen "in die nächste Welt" schickte. Jener Chruschtschow, der der Ukraine später die Krim schenkte und Amerika mit dem Sputnik schockte, der in seiner Sowjetunion eher beiläufig gefeiert wurde. Die vollständige Geheimrede wurde erst 1989 veröffentlicht und so gehört es zu den großen journalistischen Leistungen, dass Harrison Salisbury bereits am 16. März 1956 in der New York Times über die Rede berichtete und ihren Inhalt analysierte.

Auch ne Art Kalter Krieg, auch von der Transmediale

Diese kleine historische Erinnerung schaut in die Zukunft, ganz ohne Willkür, denn mit der sich abzeichnenden neuen NATO-Abschreckungspolitik, der russischen Aggression Einhalt zu gebieten, während Putins Held wieder in den Vordergrund tritt, wiederholt sich die Geschichte nicht, sie wird ganz originär zur Farce. Der Kalte Krieg 2.0 lässt grüssen. (jk)