Vor 140 Jahren: Die Erfindung des Telefons, oder vielmehr: ein Patentantrag mit großer Wirkung

Nicht nur das Internet hat viele Väter, auch das Telefon hat eine bunte Entstehungsgeschichte: Vor 140 Jahren reichte Alexander Graham Bell ein Patent auf ein Telefonsystem ein. Es bildete die Grundlage für den Erfolgszug des Telefons.

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Das erste Telefon
Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

Phonograph, Kinematograph, Grammophon und Musiktelephon: Mitte des 19. Jahrhunderts arbeiteten Dutzende von Erfindern in kleinen Forschungsteams an den mechanischen Grundlagen von Multimedia. Basierend auf den Arbeiten von Charles Page experimentierten Johann Philipp Reis in Deutschland, Charles Bourseul in Frankreich, Antonio Meucci in Italien sowie Thomas Edison, Alexander Graham Bell und Elisha Gray in den USA mit Anlagen, die Schallwellen in elktromagnetische Schwingungen verwandeln konnen.

Als erster stellte Johann Philipp Reis ein funktionierendes Gerät vor, das er Musiktelephon bzw. Apparat zur Reprodution von Tönen aller Art nannte. Grey, Bell und Edison studierten den Reis'schen Versuchsapparat, als dieser 1875 nach Amerika kam und am Smithsonian Institute ausgestellt wurde. Alexander Graham Bell schaffte es danach, als erster ein Patent auf seine Weiterentwicklung am 14. Februar 1876 einzureichen. Bell setzte sich durch, weil er das Telephon als Telephonnetz konzipiert hatte.

Die Erfindung des Telefons (6 Bilder)

Die erste Entwurfsskizze von Alexander Graham Bell für das Telephon
(Bild: US-Library of Congress, Public Domain)

Ehre wem Ehre gebührt: im Jahre 1796 veröffentlichte der deutsche Physiker Gottfried Huth seine Anmerkungen über die Anwendung der Sprachröhre zur Telegraphie , in der erstmals das Wort "der Telephon" (griechisch: der Fernsprecher) auftauchte. In Anlehnung an den optischen Telegraphen von Claude Chappe schlug Huth eine Sprachübermittlung durch Schall vor und gab sich dabei patriotisch: "Sprache wird sich ebenso übertragen lassen wie Gedanken und Schrift. Ein Herrscher wird seine Armee befehligen können, wo immer sie sich in Europa aufhalten mag."

Ungleich friedliebender fiel die tatsächliche Erfindung bei Johann Philipp Reis aus: die erste Versuchsanordnung bestand darin, die Töne einer Geige zu übertragen.

War der Physiklehrer Reis noch als "Privatgelehrter" am erfinden, so war die Forschung in den USA viel weiter entwickelt. Hier gab es es Rennen zwischen den Labors von Thomas Alva Edison, Alexander Graham Bell und Elisha Gray. Die heiße Technologie jener Zeit war die Morse-Telegraphie. Alle drei arbeiteten zusammen mit ihren Assistenten am Problem der Multiplextelegraphie, damit mehrere Telegramme gleichzeitig über dieselbe Leitung geschickt werden können.

Als Favorit galt Elisha Gray, Cheftechniker der Telegraphendienstes Western Union, seinerzeit die größte Technikfirma der Welt. Das Rennen machte indes Alexander Graham Bell, der als Taubstummen-Lehrer die Bedeutung gesprochener Sprache weit besser verstand als seine Konkurrenz. Sein Patentantrag erreichte am 14. Februar 1876 das Patentamt. Vier Stunden später traf das Patent von Elisha Gray ein, im Unterschied zu Bells Schrift aber nur als "Caveat", als vorläufige Patentanmeldung, die niemals durch eine endgültige Testfassung ersetzt wurde.

Anmelder von Bells Patent war der Rechtsanwalt Charles Hubbard, dessen taubstumme Tochter Bell heiratete, nachdem er ihr die Taubstummensprache beigebracht hatte. Der sehr vermögende Hubbard war es wiederum, der zusammen mit Bostoner Bürgern das Geld aufbrachte, damit Bell seine Firma, die Bell Telephone Company (später AT&T) aufbauen konnte.

Die mächtige Western Union mit ihrem Telegraphen-Monopol hatte es zuvor abgelehnt, Bells Erfindung zu vermarkten, da sie nur ein "wissenschaftliches Spielzeug" sei. Bereits ein Jahr später gab es in Boston die ersten Bell-Standleitungen für Telephongespräche. Die zahlreichen Patentanfechtungen gegen Bell, u.a. von Edison und Gray, verliefen vor allem deshalb im Sande, weil es Bell und Hubbard gelang, die sieben wichtigsten Bankiers von Boston zu verdrahten. Über das Telephon verbunden, konnten sie in wenigen Minuten zehn oder zwanzig Millionen Dollars auftreiben, um an der Börse zu spekulieren.

1879 schloss die Western Union mit der Bell Telephone Company einen Anerkennungsvertrag, in der sie Bells Geschäfte anerkannte unter der Verpflichtung, dass Telephone "nur für private Gespräche" und nicht für Geschäftsmitteilungen und Börseninformationen etc. verwendet werden durfte. Das konnte die Bell Company dadurch unterlaufen, dass Gespräche unter Bankern eben "Privatgespräche" waren, geführt in der "private sphere" eines komfortablen Arbeitszimmers.

Nach einer Analyse des Telefonbuches von Philadelphia standen 1879 294 von 300 Telephone in Geschäftsräumen, die restlichen sechs bei Unternehmern, die ihre Fabrik von zu Hause aus erreichen wollten. In Großbritannien wurden die ersten Telephone in den Clubs von London installiert und alle halbe Stunde eine Zusammenfassung der Parlamentsdebatte durchtelefoniert, damit die Abgeordneten beim geselligen Clubleben der Debatte folgen konnten. Das Telephon erlaubte "Multitasking".

Während das Telephon auf der ganzen Welt seinen Siegeszug antrat, entwickelte sich im Heimatland der Bell Telephone Company eine Besonderheit. Ab der Jahrhundertwende wuchs das Telephonnetz auf dem Lande stärker als in der Stadt. 1907 besaßen zwei Millionen Farmer ein Telephon, hauptsächlich um Wetterberichte und die Kursentwicklung der Getreidebörse von Chicago zu erfahren: Man produzierte auf industrieller Grundlage für den Weltmarkt. Iowa war der erste Bundesstaat, in dem alle Farmen auf diese Weise vernetzt wurden und der Wahlslogan von Politikern "Strom, Straßen und Telephone" hieß. Bereits 1907 wurde das Telephon als "Organisationsmittel des Gemeinschaftssinnes" bezeichnet, das die "Einsamkeit und Unsicherheit der Landfrauen" wirksam bekämpfen konnte. Die "Privatisierung" des Telephons kündigte sich an.

Die Geschichte des Patentes von Alexander Graham Bell ist ohne Theodore Vail nicht komplett. Vail wurde 1878 Direktor von Bells Telephongesellschaft. Er verkrachte sich zwar 1887 mit den Aktionären, kam aber 1907 wieder zur nun AT&T genannten Firma zurück.

Vail war es, der rigoros auf "technische Qualitätsstandards" setzte und mit diesem Argument unter Berufung auf das Patent ein Monopol aufbaute, das allen nun aufkommenden lokalen Telephon-Gesellschaften die "ausschließliche Verwendung des von AT&T entwickelten, genormten Materials" zur Auflage machte. Dieses Material musste von der Tochtergesellschaft Western Electric bezogen werden. Erst 1982 gelang es mit dem größten Antitrust-Prozess der US-Geschichte, das Monopol aufzulösen.

Vom großen Namen sind nur noch die Bell Labs übrig, die berühmte Forschungsabteilung, in der unter anderem Unix entwickelt wurde. Heute gehören die Bell Labs zu Nokia und sind federführend dabei, 5G for People and Things zu entwickeln – und patentieren zu lassen. (jk)