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Was war. Was wird. Vom Patriotismus, Pasta und Podemos.

Man erschreckt beim Blick in das, was Einstein als "gutes normales Bürgergemüt" beschrieb und das er des tierischen Hasses und Massenmordes für fähig hielt. Es braucht aber keine Gelegenheit, um Hass zu machen, befürchtet Hal Faber.

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Feuer, Hass

Philip Gabinus

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

Der Heisig bei der Internationalen Gravitationswellenkonferenz 2006

*** m!l!ek! , m!l!ek! Der Nachweis der Gravitationswellen mittels einer direkten Messung derselben ist ein Ereignis, über das sich auch ein Pandabär in seiner Zwangsjacke unbändig freuen kann. Der Heisig, das Maskottchen von heise-Regulars bei Einstein@home, darf nicht fehlen beim fröhlichen Feiern in Hannover, wo doch Projektvater Heinz Billing fehlen musste. Nach all den Gerüchten bestätigte sich eine Theorie von Einstein, der selbst Zweifel hatte, als er die Ableitung aus seiner allgemeinen Relativitätstheorie formulierte. Damit sind längst nicht alle von Einstein gestellten Probleme gelöst. Wie wäre es, im Zeichen des 2. Kalten Krieges sich mit dieser Frage von Einstein nach den (deutschen) Patrioten zu beschäftigen?
"Man kann sich die Frage vorlegen: Wieso verliert der Mensch in Friedenszeiten, während welcher die staatliche Gemeinschaft fast jede Äußerung viriler Rauflust unterdrückt, nicht die Eigenschaften und Triebfedern, welche ihn während des Krieges zum Massenmord befähigen? Damit scheint es sich mir so zu verhalten. Wenn ich in ein gutes normales Bürgergemüt hineinsehe, erblicke ich einen mäßig erhellten, gemütlichen Raum. In einer Ecke desselben steht ein wohlgepflegter Schrein, auf den der Hausherr sehr stolz ist und auf den jeder Beschauer sogleich mit lauter Stimme hingewiesen wird; darauf steht mit großen Lettern das Wort 'Patriotismus' geschrieben. Diesen Schrank zu öffnen ist aber für gewöhnlich verpönt. Ja der Hausherr weiß kaum oder gar nicht, daß sein Schrank die moralischen Requisiten des tierischen Hasses und Massenmordes birgt, die er dann im Kriegsfalle gehorsam herausnimmt, um sich ihrer zu bedienen."

*** Nein, Einstein schrieb diesen in Deutschland zensierten Text nicht über die patriotischen Europäer mit ihrem hasserfüllten Programm, als er das Oberstübchen des Deutschen zu erklären versuchte wie die Verzerrung der Raumzeit. Als er sein Verhältnis zum Staate als eine Geschäftsbeziehung darstellte, wie man sie mit seiner Lebensversicherung hat. Was natürlich zuviel war für den Redakteur des vaterländischen Gedenkbuches, in dem sein Text erscheinen sollte, "zum Wiederaufbau der zerstörten ostpreußischen Heimstätten und zur Heerschau(!) der geistigen und sittlichen Führerschaft des gegenwärtigen Deutschlands".

*** Der ideale Journalismus, so steht es heute offline in der tageszeitung, ist wie Pastateig. Der kommt in eine Maschine, die stellt man ein und heraus kommen Fusili oder Paccheri, bzw. Feuilleton-Artikel oder Politisches von den Hohlnudeln. Das Ganze wird dann noch von Algorithmen geknetet und für diesen oder jenen Bildschirm optimiert. In das passende Social-Media-System eingetütet und fertig ist die perfekte Leserbindung, wenn sich ordentlich Kommentarsoße über den neuen Journalismus ergießt. Vor allem macht der ideale Journalist, die ideale Journalistin keine Fehler wie den, Bernie Sanders als selbsternannten Journalisten zu bezeichnen. Nun hatte ich den Fehler gemacht und Sanders in dieser kleinen Wochenschau als liberalen Politiker bezeichnet, der von anderen als Sozialist bezeichnet wird. Das kam erstens überhaupt nicht gut an und war zweitens falsch. Zumindest wenn man sich an Äußerungen von Sanders selbst hält, in denen er vom demokratischen Sozialismus schwärmt und erläutert, was er darunter versteht, in Anlehnung an Roosevelt. Als Alternative zu Hilary Clinton hat Sanders nun einen Erfolg errungen, während die direkte Clinton-Gegenspielerin Carly Fiorina| den Wahlkampf einstellte, nicht ohne junge Frauen daran zu erinnern, dass der Feminismus eine Gottesgabe ist. Wer sich nicht für den relativ abstrakten demokratischen Sozialismus interessiert, dürfte sich eher an seine Positionen zur Netzpolitik halten oder dafür interessieren, dass Sanders, anders als Clinton, gegen den Patriot Act und weitere Überwachungsgesetze gestimmt hat.

*** Wer sich indes für den demokratischen Sozialismus interessiert, dürfte mit Interesse den Start von DiEM 25 in Berlin für flüchtlingsfreundliche 12 Euro Eintritt verfolgt haben. DiEM ist eine Bewegung für eine europäische Erneuerung, die sich in etlichen Reden auf die Volksfront-Idee der 30er-Jahre bezog und damit vom Geiste Podemos erfüllt ist. Getragen von Politikern wie dem Griechen Yanis Varoufakis oder dem Australier Julian Assange, will die Bewegung für Demokratie in Europa laut ihrem auf der Website veröffentlichten Manifest viele Punkte verwirklichen, die dem demokratischen Sozialismus zugerechnet werden. Nun ging der Vorhang hoch, und viele Fragen blieben offen, weil jede(r) Reden abspulte und es eine Außenseiterin wie Gesine Schwan war, die auf die politisch zu erringenden Mehrheiten verwies. Das war gegen Varoufakis Absicht gesprochen, sich vor allem an die zu richten, die nicht mehr an Politik glauben. Schwans kluger Einwand kommt aus einer Partei, die mit einer gefährlichen Menschenmasse zu kämpfen hat.

*** Bemerkenswert der Beifall für den Aktivisten Jacob Appelbaum, der eine brauchbare Ende-zu-Ende Verschlüsselung für die DiEM-Aktivisten forderte, als ob die IT die Lösung aller Dinge sei. Das klang mehr nach Leninismus als nach einem demokratischen Sozialismus im europäischen Frühling. Da passte es ganz hübsch zum Aufruf, dass die Kämpfer des ersten Krypto-Krieges nach 17 Jahren ihre Liste der Krypto-Produkte aktualisierten und zeigen konnten, dass die USA und Deutschland beim Verschlüsseln weltweit führend sind. Ja, mit 112 Produkten ist Deutschland das Land abseits der USA, das vielfältige Produkte anbieten und technologische Souveränität im Sinne des aktuellen Regierungsprogrammes realisieren kann.

*** Appelbaum hin, Varoufakis her. Auch in diesen Kreisen ist Lenin im Zweifelsfall leider immer noch angesehener als ein Anarchist ("Unordnung, das ist Ordnung minus Macht") wie der französische Chansonier Léo Ferré. Schade. Da gäbs einiges zu lernen. Auch für DiEM-Aktivisten.

*** Mit Problemen besonderer Art kämpften Geheimdienstler, die sich auf der Münchener Sicherheitskonferenz ohne Beteiligung deutscher Geheimspitzen mit dem Problem der Verschlüsselung beschäftigten. Da sprachen sich alle für starke Verschlüsselung aus, aber auch für ein seltsam vage umrissenes Projekt, das "Verschlüsselungsproblem" zu lösen. Ausgerechnet der Niederländer Robert Antonius Cornelius Bertholee sprach über Privatheit und Sicherheit, während zu Hause bekannt wurde, dass die mit der Kontrolle der Dienste beauftragten Politiker keine Kontrolle über die Abhörpraxis von Polizei und Geheimdiensten haben. Das Gegenstück unserer deutschen G10-Kommission wird einfach ignoriert.

Was wird.

Der ideale Journalismus recherchiert auch, wenngleich es Grenzen für die formbare Pasta gibt. Man schreibt kein Manifest der Verantwortungsdemokratie für eine Partei, über die man berichten soll. Hass-Postings auf Facebook veröffentlichen, nur um im Sinne eines Benchmarks herauszufinden, ob Facebook diese üblen Postings rechtzeitig löscht, sind ein unzulässiger Grenzübertritt. In diesem Sinne könnte man Facebook sogar loben, wenn die rechte Hetze eingedämmt wird. Dabei ziehen die Neonazis und radikale Patrioten inzwischen zum russischen Vkontakte um, damit ungestört weiter gehetzt werden kann. Die fehlenden Privatsphären-Schutzeinstellungen stören dabei nicht, auch darf der Verfassungsschutz gerne mitlesen, Väterchen Russland sowieso. Der neue kalte Krieg kennt keine Grenzen, die sind nur was für Migranten und andere Schwächlinge.

Eine Testkarte von SAP/Accenture, welche Daten man preisgeben würde

Gesundheitskarte, EC-Karte, BahnCard, Presse-Ausweis, neuer Personalausweis – was fehlt in dieser Liste? Der Organspendeausweis? Nein, halt, der Datenspendepass muss her, damit man stilecht seine "krankheitsrelevanten Daten" überall hinterlassen kann, wo es Hoffnung auf Heilung gibt. Dieser bezaubernde Vorschlag kommt vom Hasso-Plattner-Institut und ist total praktisch. Eine Vorlage gibt es auch schon, sie wurde auf einem eHealth-Workshop des Bitkom von einem großen deutschen Softwarehaus verteilt, um zu testen, wie weit (der Verstand der Zuhörer ausgetrocknet ist) man gehen will im Datenrausch. (jk)