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Was war. Was wird. Vom Genießen und von inneren Qualen, vom Urfaschismus heute, vom Vertrauen und Bewaffnen.

Ist der Mac katholisch? MS-DOS protestantisch? Fragen, die für die Ewigkeit gedacht sind, wie der, der sie stellte. Hal Faber trauert schon wieder. Das Leben zu genießen ist manchmal schwer, nicht nur, wenn man Umberto Ecos Analyse des Urfaschismus liest.

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Was war. Was wird. Vom Genießen und von inneren Qualen, vom Urfaschismus heute, vom Vertrauen und Bewaffnen.
Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

In omnibus requiem quaesivi, et nusquam inveni nisi in angulo cum libro.

*** Umberto Eco ist tot, der Mann, der alles untersuchte, was man zum Lügen verwenden kann. Er war ein Mensch, der sich besonders liebevoll mit der Medienzivilisation, dem Fernsehen und den Comics beschäftigte, man denke nur an die Analyse der Ohrläppchen all der Bösewichter, gegen die James Bond antreten musste. Auch mit den Sorgen und Nöten des IT-Alltags kannte er sich aus und gehörte zu denen, die nicht über das Internet jammerten, sondern frühzeitig Alphabetisierungskurse für all diejenigen forderte, die sich keinen Computer leisten können. All das natürlich vor dem Hintergrund des von ihm so geliebten Mittelalters, der einzigen Zeit, die er aus erster Hand kannte. Bekannt wurde er so mit seiner These, dass der Macintosh katholisch ist und MS-DOS für Protestanten gemacht wurde. Windows war für ihn eine prunkvolle anglikanische Erweiterung, immer drauf und dran, zum Irrsinn des DOS-Promptes zurückzukehren, wo der Benutzer gefangen ist in der Einsamkeit seiner inneren Qual. Der eine oder andere Informatiker wird sich zudem an die Verteidigung von Claude Shannon erinnern, dessen elementare Informationstheorie Umberto Eco für wichtiger hielt als die Relativitätstheorie von Albert Einstein. Sollte es Hal-Faber-Fans geben, so dürften sie sich daran erinnern, dass das von Umberto Eco in Basic geschriebene Gottesprogramm aus dem Foucaultschen Pendel mal Gegenstand eines Sommerrätsels war: Der Anagramm-Suchalgorithmus von IAHVEH sollte helfen, das Passwort des Computers Abulafia zu finden, wobei immer wahnsinnigere Methoden eingesetzt wurden, bis der Protagonist Casaubon Im Suff auf die Frage des Computers "Hast du das Passwort" einfach "Nein!" schrieb – und drin war.

*** Zuletzt protestierte Eco mit vielen anderen Schriftstellern gegen die zunehmende Überwachung der Kommunikation, wie sie im Zuge der NSA-Affäre vielen Menschen bewusst geworden ist. Denn Eco war nicht nur ein vergnüglicher Semiotiker oder ein Dan Brown für Leute mit Köpfchen, sondern auch ein politischer Mensch. Wer an diesem gammelig-kalten Sonntag Zeit und Muße hat, sollte seine hellsichtige Analyse des Urfaschismus lesen, die weitab von seiner Analyse der Kindheit unter Mussolini klarmacht, welche Einstellungsmuster hinter den rechtsradikalen Auswürfen stehen, die bei A wie AfD anfangen und bei P wie Politisch inkorrekt aufhören. Eine Kurzfassung findet sich in der englischen Wikipedia, doch es sind nur 14 Punkte, passend zum erwähnten Basic-Programm, die den Urfaschimsus ausmachen: Traditionskult, .Ablehnung der Moderne (1789 oder die 68er), Irrationalismus, Rassismus, Angst vor sozialem Abstieg, Nationalismus, ein Gefühl der Demütigung, der "Kampf" als Selbstzweck, gepaart mit einem Elitedenken, dazu Heldentum und Todeskult samt Waffenfetischismus und Populismus. Besonders dieser Populismus sollte zu denken geben, schrieb Eco doch schon 1995:
"Für ein gutes Beispiel des qualitativen Populismus bedürfen wir nicht länger der Piazza Venezia in Rom oder des Nürnberger Parteitagsgeländes. In der Zukunft erwartet uns ein TV- oder Internet-Populismus, in dem die emotionale Reaktion einer ausgewählten Gruppe von Bürgern als Stimme des Volkes dargestellt und akzeptiert werden kann. Aufgrund seines qualitativen Populismus muss der Urfaschismus gegen 'verrottete' parlamentarische Regierungen eingestellt sein. Wo immer ein Politiker die Legitimität eines Parlaments in Zweifel zieht, weil es den Willen des Volkes nicht mehr zum Ausdruck bringe, riecht es nach Urfaschismus."

*** Auch die Geschichte mit der Lügenpresse findet sich bei Umberto Eco, als letzter der 14 Punkte. Orwells Newspeak, wie in "1984" beschrieben, gehört zum Wesen des Urfaschismus, etwa als harmloser Neusprech vom "Gastrecht", getarnt und gepaart mit der unschuldigen Form schlichter "Tatsachen", die dann in Talkshows zum Schlechten gegeben werden.
"Alle Nazi- oder faschistischen Schulbücher bedienten sich eines verarmten Vokabulars und einer elementaren Syntax, um die Instrumente komplexen und kritischen Denkens im Keim zu ersticken. Aber wir müssen uns auch auf andere Formen von Newspeak einstellen, selbst wenn sie in der scheinbar unschuldigen Form einer populären Talk-Show daherkommen."

*** Dass Eco zu genießen wusste und sich mit gleicher Kennerschaft wie auf anderen Gebieten zum Essen zu äußern wusste, sei noch erwähnt, weil es das Bild eines der letzten Universalgelehrten vervollständig. "Wer der italienischen Küche in ihrer ganzen Vielfalt begegnen will, muss die enormen Unterschiede kennen", schrieb er, der die Unterschiede zu benennen wusste, um das Verbindende zu fördern. Ach, es bleibt halt erstmal doch nur die Trauer.

*** Mit seinem letzten Buch "Nullnummer" hat Umberto Eco für die einen einen Journalismus-Krimi rund um eine geklaute Diskette geschrieben, für die anderen ein Traktat über die Inszenierung von Nachrichten. Wer den Nachrichtenknaller dieser Woche verfolgte, das Drama von Apple und die Fragen rund um die Arbeit der FBI-Ermittler, wird angesichts der unklaren Informationslage unweigerlich an Ecos Verschwörungstheorien denken müssen. So gesehen ist die Warnung von Edward Snowden eine Kurzfassung der "Nullnummer".

*** Man kann versuchen, die Haltung von Apple als Marketing-Nummer lächerlich zu machen, wie dies das FBI tut. Dabei irritiert leicht, dass es durchaus Marketing sein kann, weil Apple als Firma erkannt hat, wie wichtig der Datenschutz für das Vertrauen der Kunden in die Produkte einer Firma sind. Wobei Vertrauen hier eine religiöse Kategorie ist wie der Glauben: Bei Apple-Produkten gibt es keine Möglichkeit der Überprüfung, wie es bei Open-Source-Hard- und -Software zumindest angedacht ist. Vor vielen Jahren (1971) schrieb E.A. Rauter zu einem anderen Produkt, das mit Vertrauen warb:
"Wenn Vertrauen und Glauben zu den höchsten Tugenden gezählt werden, müssen sie eine Notwendigkeit sein. Wo viel von Vertrauen die Rede ist, müssen viele da sein, die von dem Vertrauen einen Vorteil erwarten. Je lauter der Ruf nach vertrauen, umso größer die Zahl der Betrüger."

Was wird.

Flüchtlinge fuhren mit einem Bus mit der Anzeigetafel "Reisegenuss" aufs Beste versorgt ins sächsische Clausnitz. Dort demonstrierten "besorgte Bürger" gegen ihre Ankunft, was dazu führte, dass die Polizei einfachen unmittelbaren Zwang ausübte, um die angeblich provozierenden Flüchtlinge in ihre zugewiesene Herberge zu bringen, die von einem AfD-Mann namens Hetze geleitet wird. Das Kuschen der Polizei vor den "besorgten Bürgern" ist auf Video festgehalten, auch die Tränen kleiner Kinder, die Polizeiuniformen vorsätzlich durchtränkten. Die Tatwaffe der Flüchtlinge, ein riesiger gefährlicher Reisebus, ist sichergestellt.

Unter dem Motto "Migration und Sicherheit" wollen die Innenminister der Bundesländer in der anstehenden Woche auf dem europäischen Polizeikongress in Berlin über die Sicherheit der Polizei diskutieren. Die Unsicherheit und Angst der Flüchtlinge dürfte da kein Thema sein, schließlich berichtet der oberste Einsatzleiter von Frontex, wie sicher und geordnet alles abläuft beim Absaufen im Mittelmeer, mit neuen Rekorden bei den Flüchtlingskindern. Unter den Innenministern der Länder fehlt Sachsens Markus Ulbig (CDU), sonst eine feste Größe auf dem Kongress, der gerne für den verstärkten IT-Einsatz im "Ostverbund" der Landespolizeien wirbt.

Achja, die gute, zuverlässige vorherschauende IT mit ihrem vorhersagenden Wunderprogrammen der Predictive Analytics. Sie ist ein bisschen zu kurz gekommen beim Abschied von Umberto Eco. Dabei hatte der ja was übrig für die tollen Märchen der Künstlichen Intelligenz. Übe ich mich halt zum Abschluss mal in "Postdictive Analytics". Nie gehört? Das geht so: Ex-Innenminister Jörg Schönbohm tritt auf besagtem Polizeikongress auf. Er kann stolz sein, schließlich ist sein Sohn Arne Chef des BSI geworden. Vorher war Arne beim Cybersicherheitsrat Deutschland. Der hat nun einen neuen Ober-Cyber namens Philipp von Saldern. Unterstützt wird er ausweislich der Pressemeldung von Uwe Proll, dem Leiter des europäischen Polizeikongresses, der jetzt mit Jörg Schönbohm diskutiert. Wir nennen es "Cyber in a nutshell".

Genug vom Cyber-Tralala? Wie wäre es dann mit ein bisschen Couchkartoffel-Aktionismus, noch möglichst bis zum Ende dieses Monats? Frau von der Leyen (CDU) muss ja sparen und ist dankbar für jeden Tipp, während die deutsche Rüstungsindustrie mal wieder dank Herrn Gabriel (SPD) vor einem Alljahres-Rekord steht. Er wird als Genosse der Geschosse in die Geschichte eingehen und das ganz ohne dieses Cyber oder Blabla 4.0. Diese Welt ist halt doch ein fürchterlicher Platz, Baby. Das Leben manchmal wirklich ungenießbar. (jk)