Mangel an IT-Fachkräften: Israel setzt auf arabischen Sektor

Israels High-Tech-Industrie boomt, doch die arabische Minderheit bleibt außen vor. Im IT-Bereich sind nur 1,3 Prozent der Fachkräfte Araber. Möglicherweise ändert das ein neues Förderprogramm.

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Mangel an IT-Fachkräften: Israel setzt auf arabischen Sektor

(Bild: Pew Research Center)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Sara Lemel
  • dpa
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Mamduch Agbara hat einen Traum. "Meine Hoffnung ist, dass arabische IT-Fachleute in Israel in Zukunft in angemessenen Jobs arbeiten können", sagt der 31-Jährige aus der arabischen Stadt Umm al-Fahm im Norden des Landes. "In Anstellungen, die ihren Fähigkeiten entsprechen." Agbara ist zuständig für Fachkurse, die eine Integration von mehr Arabern in Israels boomende High-Tech-Branche erleichtern sollen. Sie sind Teil eines Förderprogramms, das mit 10 Millionen Schekel (2,3 Millionen Euro) von Israels Wirtschaftsministerium finanziert wird.

In Israels IT-Branche herrsche ein starker Mangel an Fachkräften, erklärt Michal Zuk, die als Vize-Direktorin im Wirtschaftsministerium für den Bereich zuständig ist. "Im arabischen Sektor sehen wir ein großes Potenzial", sagt sie. Eine größere Integration der israelischen Araber könne als "Motor für wirtschaftliches Wachstum dienen und zu einer Verkleinerung der sozialen Kluft beitragen", sagt Zuk. "Wir müssen einen Durchbruch erzielen."

Araber machen 20 Prozent der 8,5 Millionen Staatsbürger in Israel aus. Im IT-Bereich stellen sie aber nur 1,3 Prozent der Fachkräfte. Laut einer neuen Umfrage des Pew-Forschungszentrums glauben acht von zehn arabischen Israelis (79 Prozent), dass Muslime in der israelischen Gesellschaft stark diskriminiert werden.

Die Förderkurse sollen jungen arabischen IT-Fachkräften dabei helfen, Hürden der israelischen Gesellschaft zu überwinden. Sie werden jeweils ein halbes Jahr lang acht Stunden in der Woche geschult. Sie lernen dabei notwendiges Fachwissen wie Programmiersprachen, aber auch das richtige Verhalten in Jobinterviews.

Ein Jahr nach Beginn des Projekts sind erste Erfolge zu verzeichnen: Rund 250 Kandidaten konnten bereits an führende Unternehmen wie Amdocs, Check Point, Intel, IBM und HP vermittelt werden.

Gerade in Israels IT-Bereich funktioniere Anstellung oft nach dem Networking-Prinzip "ein Freund bringt einen Freund", erklärt Zuk. Die Regierung wolle nun mehr arabischen Fachkräften aktiv dabei helfen, diesen Kreislauf zu durchbrechen. Erfolgreiche Kandidaten sollen dann wiederum als Mentoren dienen und neue Netzwerke aufbauen, um weitere arabische Fachkräfte in die Branche zu bringen.

Si Avivi von ITworks, die mit für die Kurse zuständig ist, sieht auch kulturelle Probleme bei der Jobsuche. Arabische Kandidaten würden aus israelischer Sicht "häufig nicht ehrgeizig genug erscheinen, weil sie sehr bescheiden auftreten", erklärt Avivi. "Wir bringen den Kursteilnehmern israelische Chuzpe bei", sagt Avivi lachend.

Die gemeinnützigen Organisationen ITworks und Tsofen haben eine Ausschreibung des Wirtschaftsministeriums für die Ausrichtung der Integrationskurse gewonnen. Ihr Auftrag ist es, arabischen Absolventen von Studiengängen wie Informatik, Ingenieurwissenschaften und Elektrotechnik Jobs im Hi-Tech-Bereich zu verschaffen.

Viele Kursabsolventen hätten Jobs in führenden Unternehmen wie Google oder Cisco bekommen, einige seien inzwischen sogar Projektleiter, sagt Avivi mit sichtbarem Stolz. "Wir sind die Brücke zwischen den Arbeitgebern und den Kandidaten", erklärt sie das System. "Wir glauben, dass eine vielfältige Gesellschaft eine bessere Gesellschaft ist."

Ein "Handicap" für arabische Kandidaten ist es, dass sie meistens nicht im israelischen Militär gedient haben. Die Volksarmee dient in Israel als eine Art Schmelztiegel und Kaderschmiede für High-Tech-Firmen. Den arabischen Israelis fehlen deshalb häufig einfach die notwendigen Verbindungen für gut bezahlte IT-Jobs.

Viele arabische Hochschulabsolventen fanden deshalb bisher häufig keine Arbeit in ihrem Fachbereich und wurden stattdessen Lehrer oder mussten sogar an der Tankstelle oder im Supermarkt arbeiten. "Es herrschte eine große Frustration", sagt Avivi. "Viele schickten gar keinen Lebenslauf, weil es ihnen so aussichtslos erschien."

"Um Erfolg zu haben, muss man besser sein als alle anderen Kandidaten", glaubt der 23-jährige Tamer Assem aus Taibe im Norden Israels. Assem, der an einem der Kurse in Rischon Lezion bei Tel Aviv teilnimmt, ist überzeugt, dass sonst ein jüdischer Kandidat vorgezogen wird. Er selbst hat allerdings bereits einen Job in einem IT-Unternehmen in Herzlija bei Tel Aviv.

"Wir wollen weiterkommen, aber wir rennen oft mit dem Kopf gegen die Wand", sagt Schadi Masarwa, ein 26-jähriger Informatik-Student aus Kfar Ara. "Sie nehmen letztlich doch einen anderen Kandidaten, weil er Mosche heißt."

Masarwa glaubt dennoch, dass der Kurs wichtig ist und ihm und seinen Kommilitonen zum Durchbruch verhelfen kann. "Das sind Dinge, die man nicht allein lernen kann. Für mich ist das eine ganz große Chance." Er träumt von einem gut bezahlten Beruf im High-Tech-Bereich, danach will er seine eigene Firma gründen.

Zwei Drittel der Kursteilnehmer sind Männer und ein Drittel Frauen. Weibliche Fachkräfte sind im IT-Bereich ohnehin seltener, im arabischen Sektor gilt dies noch stärker.

Die 26-jährige Sundus Hussein aus Nazareth ist Quereinsteigerin: Im Grundberuf ist sie Lehrerin für Hebräisch und Arabisch, der Kurs soll ihr helfen, in den Computerbereich umzusatteln.

Die Informatikstudentin Scheicha Atrasch aus Daburia glaubt, sie habe es auf dem Arbeitsmarkt am schwersten: "Ich bin Frau und Araberin." Der Kurs verbessere jedoch die Chance, bei Interviews Erfolg zu haben. "Sie puschen uns wirklich." Die etwas schüchtern wirkende 24-Jährige ist sehr stolz darauf, dass sie etwas lernt, was sehr "ernst und schwer" ist. "Ja, ich gebe schon manchmal an", sagt die junge Frau lachend und kommt plötzlich sichtbar aus der Reserve. (anw)