re:publica: Die Zukunft des offenen Netzes steht auf dem Spiel

Barbara van Schewik, Direktorin eines Internetzentrums an der Stanford-Universität, hat auf der re:publica betont, wie wichtig die ausstehenden Leitlinien der europäischen Regulierer zur Netzneutralität für Wirtschaft und Gesellschaft seien.

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Netzneutralität im Internet
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Der Kampf um die Netzneutralität geht auch weiter, nachdem die umstrittene EU-Verordnung für ein offenes Internet gerade wirksam geworden ist. Die europäischen Gremien hätten auf Drängen der Mitgliedsstaaten "so viele Hintertüren" in die eigentlich guten Vorschriften eingebaut, dass nur noch eine Chance bestehe, diese zu schließen, betonte Barbara van Schewik, Leiterin des Center for Internet and Society an der Stanford Law School, am Montag im Rahmen der re:publica: Die europäischen Regulierer müssten sich jetzt für "echte" Netzneutralität aussprechen.

Das Gremium Europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation (Gerek) soll die Verordnung bis Ende August mit Leben füllen und will vorab im Sommer noch kurzfristig eine Konsultation dazu durchführen. Sorgen zu dem Prozess seien durchaus berechtigt, meint van Schewik: "Die Zukunft des Internets in Europa steht auf dem Spiel." Öffentlicher Druck sei daher entscheidend, um das Gremium auf die richtige Bahn zu lenken.

Barbara van Schewik, Leiterin des Center for Internet and Society an der Stanford Law School

(Bild: heise online / Stefan Krempl)

Als große Gefahr bezeichnete es die Juristin, dass "über den Umweg der Spezialdienste" das Verbot für Überholspuren im Netz ausgehebelt werde. Es sei zu befürchten, dass viele Provider einigen Angeboten einfach das Label "Spezialdienst" überzustülpen versuchten und doppelt abkassieren wollten. Die Provider dürften an einem Ausbau der klassischen Netzinfrastrukturen kaum mehr interessiert sein.

Alle bekannten Marken im Netz seien "mit fast keinem Geld hochgezogen worden". Angesichts knapper Budgets für Startups und zurückhaltender Wagniskapitalgeber könnten "schon geringe Kosten" für eine digitale Mautstraße prohibitiv wirken und der Kreativität und Buntheit im Internet den Garaus machen. Dabei sei zu bedenken, dass bereits "Verzögerungen von wenigen hundert Millisekunden beeinflussen", wie Leute einen Dienst nutzen und auf einer Plattform einkaufen: "Die kleine Pension im Schwarzwald hat keine Chance, wenn Expedia seinen Dienst auf der Überholspur anbietet." Letztlich werde aber die ganze Wirtschaft leiden, da fast jede Firma inzwischen vom Internet mehr oder weniger abhängig sei.

Dazu komme, dass gerade Minderheiten, unbekannte Künstler oder Aktivisten auf ein leistungsfähiges offenes Netz angewiesen seien, um sich Gehör zu verschaffen. Eingriffe in die Netzneutralität könnten so auch "Kultur und Demokratie" schädigen.

Ähnlich schwierig gestalten sich laut der Forscherin die Vagheiten rund um "Zero Rating" in der Verordnung. Dabei rechnen Provider bestimmte Transfers nicht auf das Datenvolumen an, das in einen Mobiltarif eingeschlossen ist. Anwendungen etwa für Musik- oder Video-Streaming, die in einschlägige Programme eingeschlossen seien, würden zwangsweise deutlich häufiger genutzt als nicht derart privilegierte Dienste. Die Nutzer könnten so nicht frei entscheiden, welche Angebote sie in Anspruch nehmen wollten. Dazu kämen auch bei dieser Praxis "perverse Anreize" für die Netzbetreiber, Datenvolumina möglichst niedrig zu halten.

73 zivilgesellschaftliche Organisationen, zu denen neben der Initiative European Digital Rights (Edri) etwa der Chaos Computer Club, die Vereine Digitalcourage und Digitale Gesellschaft oder der Bundesverband der Verbraucherzentralen gehören, haben die europäischen Regulierer parallel in einem offenen Brief dazu aufgerufen, "starke Richtlinien für die Netzneutralität zu etablieren". Um das Ziel der Verordnung durchzusetzen, müssten vor allem "Spezialdienste" sorgsam abgewogen werden. (kbe)