Der Datenmensch: Vom schleichenden Schwinden der Autonomie

Der Staatsrechtler Alexander Roßnagel warnt davor, dass mit Big Data, Ubiquitous Computing und Künstlicher Intelligenz die informationelle Selbstbestimmung erodiert. Datenschutzprinzipien könnten nicht mehr vollzogen werden.

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Gefahren aus dem Netz

(Bild: dpa, Ole Spata/Archiv)

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Für Alexander Roßnagel, Leiter einer Projektgruppe am Wissenschaftlichen Zentrum für Informationstechnik-Gestaltung an der Universität Kassel, ist die Schufa eine Art Vorreiter: So wie die Auskunftei den Konsumenten in Sachen Kreditwürdigkeit gläsern mache und eine nicht zu unterschätzende Macht über ihn ausübe, entstünden bald übergeordnete, deutlich potentere Analysezentren und Strukturen, die dem Menschen schleichend die informationelle Selbstbestimmung und damit einen wichtigen Teil seiner individuellen Freiheit nähmen.

Mit Big Data, Ubiquitous Computing und dem Internet der Dinge sowie Künstlicher Intelligenz würden "Situationen hergestellt, die viel weniger Auswahl ermöglichen", führte Roßnagel am Mittwoch am Rande des 20. Berliner Kolloquiums der Daimler und Benz Stiftung zum Thema "Datenmensch" in Berlin aus. Der Bürger werde so informiert, "wie es dem passt, der eine Ware verkaufen oder meine Stimme haben will". Per Algorithmus würden "unwiderstehliche Angebote" kreiert und Nutzer ständig­ nicht nur beim Preis ­ diskriminiert.

Künftig könne jeder mit den erforderlichen Rechenressourcen "alles Mögliche in relativ kurzer Zeit über eine Person" in Erfahrung bringen. Solches Wissen sei bekannterweise Macht. Es sei etwa verfolgbar, "wo jemand mit dem Auto hinfährt, parkt, möglicherweise einkauft". So entstehe ein dichtes Profil über Interessen, Beziehungen und eventuell Einstellungen dieser Person. Datenspuren, die es bisher nur im Internet gegeben habe, würden ergänzt durch solche aus der körperlichen Welt, weil alle möglichen Dinge mit Sensoren und Kommunikationsmöglichkeit versehen seien.

Heute sind Roßnagel zufolge Facebook, Google, Amazon, Apple und Microsoft die großen Datensammler. Mit Konzepten wie dem Smart Home oder dem Smart Car bekämen aber viel mehr Akteure Zugriff auf die Nutzungsdaten. Zudem liefen grundlegende Datenschutzprinzipien wie Transparenz, Einwilligung oder Zweckbindung, mit denen das Bundesverfassungsgericht das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung untermauert habe, zunehmend ins Leere.

Wenn Risikopatienten nur noch betreut würden, wenn sie telemedizinischen Anwendungen und einer Rund-um-Überwachung zuhause über Gesundheits-Apps und Wearables zustimmten, bestehe dann noch die Wahl, "Nein zu sagen?", fragte Roßnagel. Ähnlich unfreiwillig gestalte sich die Sache, wenn Sicherheit im Verkehr künftig über vernetzte Autos gewährleistet werde, die auch mit der Infrastruktur kommunizierten. Auch sei die "Vielfalt der Datenverarbeitung" dem Bürger kaum mehr zu signalisieren, da sonst ständig auf dem Smartphone eine Warnung aufpoppen müsse.

Dass die Menschen kein Interesse mehr an Datenschutz hätten, sieht Roßnagel anhand Forschungen im "Forum Privatheit" widerlegt. Sie gäben in einer konkreten Situation aber in der Regel "dem nahen Vorteil" den Vorzug und schätzten das "ferne abstrakte Risiko, dass Daten missbraucht werden", als weniger bedrohlich ein. Nötig seien Gesetze, die die bestehenden Regeln sinnvoll modifizierten. Die neue EU-Datenschutzverordnung helfe da wenig weiter, da darin "die entscheidenden Begriffe mit keinem Wort erwähnt werden". Zudem sei das Gesetz "risikoneutral" angelegt, gelte also "für Bäcker um die Ecke" im gleichen Maße "wie für die größten Big-Data- und Cloud-Anbieter".

"Daneben brauchen wir Privacy by Design und Default". Den größten Hebel dafür gebe es bei der Entwicklung von Automobilen oder der Industrie 4.0, da "wir hier die Gestalter in Europa haben". Gegenüber US-Konzernen biete es sich höchstens an, "den europäischen Markt ins Spiel zu bringen" und Voraussetzungen dafür zu schaffen, auf diesem aktiv werden zu dürfen. (kbe)