0,23 Sekunden: Auch Madonna darf gratis sampeln

Ein US-Berufungsgericht hat das unlizenzierte Sampling eines Akkords für legal erklärt. Damit stellt es sich gegen die Rechtsansicht eines anderen US-Berufungsgerichts.

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Madonna

Madonna bei einem Konzert 2015 in Berlin

(Bild: chrisweger CC-BY-SA 2.0)

Lesezeit: 4 Min.
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Sollte der Musikproduzent Shep Pettibone einen 0,23-Sekunden langen Blechbläserakkord für ein Madonna-Lied gesamplet haben, war das keine Copyright-Verletzung. Denn diese Kopie sei schlicht zu geringfügig ("de minimis"). Das hat das US-Berufungsgericht für den neunten Bundesgerichtsbezirk am Donnerstag mit 2:1 Stimmen entschieden.

Madonna mit dem Model Tony Ward im "Vogue"-Jahr 1990

(Bild: Alan Light)

Im sechsten Bundesgerichtsbezirk wurde die selbe Gesetzesstelle in einem früheren Verfahren (Bridgeport Music v. Dimension Films) aber entgegengesetzt interpretiert. Die jeweils untergeordneten Gerichte sind praktisch an die Rechtsansicht ihres Bundesgerichtsbezirks gebunden, bis der Gesetzgeber oder der Supreme Court einschreiten. Bis dahin wird der Ausgang ähnlicher Gerichtsverfahren davon abhängen, in welchem Bundesgerichtsbezirk der Prozess stattfindet.

Geklagt hatte das Plattenlabel VMG Salsoul. Es hält die Rechte an dem Lied Love Break, und zwar sowohl an der Komposition als auch an einer bestimmten Aufnahme des Liedes aus den frühen 1980er-Jahren. Produziert hatte diese Aufnahme Shep Pettibone. 1990 produzierte der selbe Mann zwei Versionen des Hits Vogue der Sängerin Madonna. Und in diesen beiden Produktionen glaubte VMG Salsoul Copyright-Verletzungen zu erkennen.

Und das gleich doppelt: Die Übernahme des Akkords sei, auch wenn alle Töne um einen Halbtonschritt hinaufgesetzt wurden, eine Verletzung des Copyrights an der Komposition Love Break. Und das Sampling sei eine Verletzung des Copyrights an der Aufnahme. Die Beklagten, darunter Pettibone, Madonna und mehrere Label beziehungsweise Verleger, stellten sowohl das Sampling als auch die Kopie aus der Komposition in Abrede.

Nach dem Bundesbezirksgericht hat nun auch das Bundesberufungsgericht die Klage abgewiesen. Dabei hat es den Sachverhalt im bestmöglichen Licht für den Kläger ausgelegt und der Einfachheit halber angenommen, dass das Sampling tatsächlich stattgefunden hat, dass ein einzelner Akkord überhaupt die erforderliche Schöpfungshöhe für Copyright-Schutz erreicht, und dass Pettibone keine Rechte an Love Break hält. Egal ob das so stimmt oder nicht, VMG Salsoul verliert sowieso.

Pettibone soll einen 0,23 Sekunden langen Akkord von Posaunen und Trompeten aus Love Break übernommen, um die Nicht-Blechbläserinstrumente erleichtert, etwas gekürzt, um einen Halbton angehoben und in weiterer Weise bearbeitet haben. Anschließend habe er das Geräusch fünf beziehungsweise sechs Mal in den beiden Vogue-Versionen einfließen lassen. Meistens in eineinhalbfacher Ausführung – als Achtelnote gefolgt von einer Viertelnote des selben Akkords. Das gab es auch schon in Love Break.

Zwei der drei Richter fanden das OK. Durchschnittliches Publikum würde das Sampling nicht erkennen. Damit liege eine so geringfügige Kopie ("de minimis") vor, dass von einer Rechtsverletzung keine Rede sein könne. Der dritte Richter schloss sich hingegen der Rechtsansicht des sechsten Bundesgerichtsbezirks an. Demnach ist die Übernahme kleiner Teile fremder Werke generell zulässig, außer bei Musikaufnahmen.

Diese verbrecherischen Raubkopien künstlerischer Schaffenskraft müssen sich die Kläger jetzt gefallen lassen.

(Bild: Auszug aus der Urteilsbegründung)

Die Kläger hatten Madonna und ihr Team außerdem beschuldigt, in die Komposition von Vogue einen ganzen Takt der Blechbläserpartie, an anderer Stelle einen Viertelnoten-Akkord der Blechbläser übernommen zu haben. Dass gleichzeitig in allen genannten Liedern eine Vielzahl anderer Instrumente erklingt, focht die Kläger nicht an.

Hier waren sich die drei Richter einig: Durchschnittliches Publikum würde die Kopie der Kompositionsschnipsel nicht erkennen. Damit sei das Copyright an der Komposition nicht verletzt. Die Kläger können versuchen, eine erneute Anhörung vor dem selben Gericht, aber mit mehr Richtern, zu erwirken. Außerdem können sie versuchen, den US Supreme Court für den Fall zu interessieren. Die meisten solchen Anträge werden aber abgelehnt.

Erst vor einigen Tagen hat das deutsche Bundesverfassungsgericht zum Thema Sampling Recht gesprochen. Es hob ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) auf, der Moses Pelham wegen eines zweisekündigen unlizenzierten Samples verurteilt hatte. Der BGH muss nun noch einmal entscheiden, und dabei Augenmerk auf den Wert der Kunstfreiheit legen.

Das Verfahren ist als VMG Salsoul v. Ciccone bekannt, da Madonnas voller Geburtsname Madonna Louise Ciccone lautet. Die Aktenzeichen der Berufungsentscheidung sind 13-57104 und 14-55837. Der neunte Bundesgerichtsbezirk umfasst die Westküstenstaaten samt Alaska und Hawaii, vier weitere US-Staaten sowie zwei US-Außengebiete. Damit ist er der bevölkerungsreichste Gerichtsbezirk der USA. Der sechste Bundesgerichtsbezirk besteht aus Kentucky, Michigan, Ohio und Tennessee.

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(ds)