Wie es nach dem Brexit für die Forschung weitergeht

Wissenschaftler sorgen sich, welche Auswirkungen der Brexit auf die britische Forschung haben wird. Die Finanzierung von Projekten und Innovationen in Großbritannien ist nur einer von vielen Gründen.

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Von
  • Debora MacKenzie

Die Schweiz scheint ein gutes Anschauungsobjekt für die Folgen eines Brexits zu sein: Das Land ist nicht in der EU und stimmte 2014 zu 50,3 Prozent für eine Aufhebung der freien Zuwanderung. Schweizer Studenten wurden von dem bei jungen Wissenschaftlern beliebten EU-Austauschprogramm Erasmus ausgeschlossen. Das Schweizer Forschungsministerium musste eingreifen, als die EU-Mittel abrupt eingestellt wurden und die Arbeitskräfte auf dem Trockenen saßen. "Es besteht kein Grund anzunehmen, Großbritannien würde es nach dem Brexit besser ergehen", sagt Athene Donald vom Cavendish Laboratory and the European Research Council. Brüssel stimmte zu, die Schweizer vorübergehend als "Teil-Mitglied" zu behandeln und Zugang zu einigen Programmen zu gewähren, hauptsächlich für die Grundlagenforschung. Um an ein Assoziierungsabkommen und EU-Forschungsmittel zu kommen, muss wohl auch Großbritannien eine uneingeschränkte Freizügigkeit von Menschen aus der EU zulassen. Doch gerade die Einschränkung war eines der Hauptargumente der Brexit-Kampagne.

Knapp 52 Prozent stimmten in der vergangenen Woche für einen Austritt aus der EU, das waren 17.410.742 Brexit-Befürworter, 16.141.241 votierten für ein "Remain", den Verbleib in der europäischen Gemeinschaft. Neben Ökonomen, Unternehmern und Politikern hatten auch Wissenschaftler just vor diesem Ausgang gewarnt. 159 Mitglieder der Royal Society an der Universität von Cambridge bezeichneten im März dieses Jahres einen Ausstieg als "eine Katastrophe für die britische Wissenschaft". Vor allem, weil es junge Forscher in ihrer Freizügigkeit in Europa beschränken würde. In einem Bericht des House of Lords hieß es im April, dass "die überwältigende Mehrheit der britischen Wissenschaftsgemeinschaft " gegen einen Brexit sei. Das bestätigt auch eine Umfrage der Zeitschrift Nature im Vorfeld der Abstimmung: 83 Prozent der britischen Wissenschaftler sprachen sich gegen einen Brexit aus.

Zweifelsohne profitieren auch die anderen EU-Länder von dem Austausch: 16 Prozent der einflussreichsten Paper weltweit sind unter der Beteiligung von britischen Forschern entstanden. Die Förderanträge von der Insel sind in Brüssel daher gern gesehen. Aber die Briten haben mit dem Ausgang des Referendums vielleicht noch mehr zu verlieren: Denn die Freizügigkeit der Forscher von der Insel geht das Hand in Hand mit der Finanzierung von Forschungsprojekten, macht Mike Galsworthy deutlich. Der Gesundheits-Forscher am University College London hatte die Social-Media-Kampagne "Scientists for EU" ins Leben gerufen. "Die Unterstützung durch die EU ist ein Katalysator für internationale Zusammenarbeit", sagt er. Die EU finanziert Forschung auch für die Stärkung der europäischen Integration: Um den Zuschuss zu bekommen, sind in den meisten Programmen Mitarbeiter in anderen EU-Ländern nötig. Gerade jene kollaborativen Arbeiten zählen oftmals zu den einflussreicheren Veröffentlichungen.

Zwischen 2007 und 2013 beteiligte sich Großbritannien mit 5,4 Milliarden Euro am EU-Forschungsbudget, zugleich erhielt es in Form von Förderung und Stipendien 8,8 Milliarden Euro. Die britischen Labore und Einrichtung hängen zu einem Viertel von dieser öffentlichen Förderung ab. Ein Anteil, der in den letzten Jahren zugenommen hat. Wegfallen würde etwa die Teilnahme am EU-Forschungsprogramm Horizon 2020, das von 2014 bis 2020 80 Milliarden Euro für die EU-Mitgliedsländer bereitstellt. Für diese Finanzierungslücke haben die Brexit-Vertreter eine einfache Lösung: Der britische Statt solle Steuern seiner Bürger nicht an die EU überweisen, sondern Zuhause ausgeben.

Befürworter des Brexit argumentieren, dass Großbritannien weiterhin an der EU-Forschung unter einem Assoziierungsabkommen teilnehmen kann. Doch dann muss Land mehr bei EU-Projekten dazu zahlen, was Forschung rund 20 Prozent teurer machen wird, so die Einschätzungen von Wissenschaftlern. Großbritannien würde außerdem sein Mitspracherecht bei der Verteilung der Fördermittel verlieren.

Andere Akteure im Bereich Forschung & Entwicklung haben ihre Sicht bei Anhörungen im House of Lords deutlich gemacht. Die EU betreibt das weltweit fortgeschrittenste Fusionsexperiment, den JET Reaktor, in England, das britischen Physikern und Ingenieuren eine einzigartige Position in der Technologie beschert hat, sagte die U.K. Atomic Energy Agency. Die nächste Stufe in dieser Entwicklung, der ITER in Frankreich, zu erreichen, wird ohne die Briten länger dauern. Gleichzeitig aber könnte Großbritannien ohne die EU von der Fusionsforschung gänzlich abgeschnitten werden. Die Pharmaindustrie, der größte Investor in britische Forschung und Entwicklung, erklärt dem House of Lords, man fürchte, dass der Brexit auch den Ausstieg von britischen Laboren bedeute. Großbritannien ist ein wichtiger Akteur in der pharmazeutischen Forschung: Ein langsamerer Fortschritt bei dringend benötigten neuen Medikamenten ist daher zu erwarten. (jle)