Schweiz: Datenschützer kritisiert Überwachungsgesetze und Vorratsdatenweitergabe

Während für eine Volksabstimmung gegen das Überwachungsgesetz (BÜPF) offenbar genügend Unterschriften gesammelt wurden, präsentierte der neue Datenschutzbeauftragte den aktuellen Tätigkeitsbericht. Er kritisiert das Nachrichtendienstgesetz und das BÜPF.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 11 Kommentare lesen
Überwachung, Kamera
Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Tom Sperlich
Inhaltsverzeichnis

Die umstrittene Revision des „Bundesgesetzes betreffend der Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehr“ (BÜPF) hatte im Frühjahr 2016 die letzten parlamentarischen Hürden genommen. Am Dienstag war der letzte Tag einer Unterschriftensammlung, die ein Referendumskomittee gestartet hatte, um eine Volksabstimmung zu BÜPF abhalten zu können. In dem Komitee engagieren sich unter anderem verschiedene politische Parteien wie Grüne oder Jusos sowie Firmen und Organisationen wie Swico (Wirtschaftsverband der Schweizer ICT-Branche), Digitale Gesellschaft, Chaos Computer Club Schweiz und viele andere.

Am Montag bestätigte das Komitee dem Schweizer Boulevardmedium Blick, ausreichend (mind. 50.000) Unterschriften gesammelt zu haben um eine Volksabstimmung über das revidierte Überwachungsgesetz BÜPF durchführen zu können. Mit BÜPF soll, wie eine Mehrheit des Schweizer Parlaments bereits entschied, die Überwachung Verdächtiger in Strafverfahren an die technologische Entwicklung angepasst werden.

Sagt das Stimmvolk bei der Abstimmung "Ja" zu BÜPF, dürfen die Strafverfolgungsbehörden – nebst der ohnehin bereits existierenden sechsmonatigen Vorratsdatenspeicherung – dann auch Trojaner in Computer und Smartphones einschleusen, um beispielsweise Skype-Gespräche mitzuhören, Antennensuchläufe (Rasterfahndung) durchführen oder MSI-Catcher einsetzen. Die Gegner halten das für unverhältnismäßig und gefährlich. Das Gesetz schränke die Grund- und Freiheitsrechte ein. Die Volksabstimmung über das Überwachungsgesetz BÜPF wird voraussichtlich entweder im November 2016 oder im Februar 2017 stattfinden.

Ebenfalls am Montag stellte Adrian Lobsiger, der neue Eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte (EDÖB), seinen Tätigkeitsbericht 2015/2016 vor. Dabei ging er auch auf die Gesetzesvorhaben zur staatlichen Überwachung ein.

Das Gesetz zur Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (BÜPF) betreffend, erneuerte der EDÖB seine Forderung, wonach die bisherige Aufbewahrungsdauer der Kommunikationsranddaten von sechs Monaten nicht ausgeweitet werden sollte, etwa auf zwölf Monate, wie dies verschiedene Politiker in den Parlamentsberatungen abstimmen lassen wollten.

Mit sechs Monaten „bestehen schon sehr weitgehende Voraussetzungen für die Strafverfolgung“ schreibt der Schweizer Datenschützer. Die Vorratsdatenspeicherung habe der EDÖB als gerechtfertigt eingestuft, wenn die Verwendung der Vorratsdaten für Strafprozesse notwendig sei.

Auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) verlange in seinem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung aber, dass Strafverfolgungsbehörden nur unter strengen Voraussetzungen Zugang zu den Randdaten erhalten dürfen. Nun würden aber Urheberrechtsverwerter die BÜPF-Daten zur Ahndung illegaler Uploads von Filmen und Musik verwenden wollen. „Damit entfernt man sich weit vom ursprünglichen Zweck der Vorratsdatenspeicherung und widerspricht zum einen den bei ihrer Einführung gemachten Beteuerungen“ sagte Lobsiger.

Deshalb widersetzte er sich aus datenschutzrechtlicher Sicht, denn ein solches Vorgehen verletzte das verfassungsmäßig geschützte Grundrecht des Post- und Fernmeldegeheimnisses. Und es könne „zudem davon ausgegangen werden, dass solche Daten über kurz oder lang in sämtlichen zivilrechtlichen Forderungsprozessen zugänglich wären“, schwant dem EDÖB.

Auch der Zustellung von Warnhinweisen von Providern an Anschlüsse von Kunden, „wenn von deren Anschluss aus Urheberrechtsverletzungen begangen werden und die Rechteinhaber dies verlangen“, zeigt Lobsiger die rote Karte, denn dies setze ebenfalls Zugriff auf die gespeicherten Randdaten voraus. Genauso entschied er über das für bestimmte Fälle vorgesehene „Stay-Down-Verfahren“, bei dem Provider in gewissen Fällen dafür sorgen sollen, dass Urheberrechte verletzende Inhalte nach einer Löschung nicht erneut hochgeladen werden können.

„Ein solches Stay-Down-Verfahren ist unseres Erachtens nur mit einer Überwachung der fraglichen Nutzer wirksam durchsetzbar, also mit einer Maßnahme, welche noch tiefer in die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen eingreift als der Informationsanspruch der Rechteinhaber“ stellte der EDÖB klar.

Auch am neuen Nachrichtendienstgesetz, kritisierte EDÖB Lobsiger einige Aspekte: Die sehr weitgehenden Befugnisse, mit denen der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) neu ausgestattet werden soll, bergen das Risiko, dass auch die Privatsphäre unbescholtener Bürger verletzt wird. Explizit kritisiert er, es sei „weiterhin bedenklich“, dass „der Nachrichtendienst Flugzeuge und Satelliten zur Beobachtung von Ereignissen und Anlagen an öffentlichen und frei zugänglichen Orten einsetzen (könnte) um dort Aufzeichnungen in Bild- und Tondokumenten vorzunehmen".

Dass der NDB auch die Möglichkeit hat, Computersysteme und -netzwerke zu infiltrieren, um den Zugang zu Informationen zu stören, zu verhindern oder zu verlangsamen, erachtet Lobsiger als „datenschutzrechtlich problematisch“.

Dieses treffe außerdem darauf zu, dass, wie geplant, die Informationsbeschaffung durch den Nachrichtendienst vom Öffentlichkeitsgesetz ausgenommen wird, womit der Zugang zu entsprechenden amtlichen Dokumenten verhindert wird. Das berge die Gefahr, dass der Nachrichtendienst „in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit zur Dunkelkammer wird“.

Positiv bewertet der EDÖB in seinem Tätigkeitsbericht hingegen die im neuen Gesetz vorgesehenen mehrstufigen Kontrollmaßnahmen, welche die neuen, sehr weitgehenden Befugnisse betrifft, mit denen der Nachrichtendienst (NDB) neu ausgestattet werden soll. (kbe)