Von Offshore-Öl zu Offshore-Windkraft

Küstenstädte, die lange von der Ölförderung im Meer profitiert haben, müssen sich umstellen. Doch dank der politischen Förderung von erneuerbaren Energien hat für sie schon der nächste Boom begonnen.

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Von
  • Richard Martin
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Aberdeen in Schottland war viele Jahre lang das Zentrum der britischen Offshore-Öl- und Gasindustrie. Jetzt befindet sich die Stadt inmitten einer Energiewende, bei der die Nordsee von einem Reservoir für fossile Brennstoffe zum wichtigsten Standort für Offshore-Windkraft weltweit wird.

Angesichts von Ölpreisen von nur noch rund 50 Dollar pro Barrel könnten in diesem Jahr volle 50 Öl- und Gasfelder in der Nordsee geschlossen werden, prognostiziert die Beratungsfirma Wood Mackenzie. Selbst wenn sich der Ölpreis bis auf 85 Dollar pro Barrel erholt, dürften Ölunternehmen in den nächsten fünf Jahren demnach 140 Nordsee-Felder aufgeben.

In scharfem Kontrast dazu steht ein Bauboom bei Offshore-Windturbinen. Im Jahr 2015 wurde in Europa der Rekordwert von 3 Gigawatt neuer Offshore-Windleistung installiert, zum größten Teil in der Nordsee. Ungefähr 3000 Offshore-Windräder mit einer Gesamtleistung von rund 10 Gigawatt sind dort schon in Betrieb. Bis 2030 sollen pro Jahr durchschnittlich 4 weitere Gigawatt hinzukommen, so dass die Gesamtkapazität auf 60 Gigawatt steigen würde. Heute macht Offshore-Windkraft etwa 1,5 Prozent der gesamten Stromerzeugung in Europa aus. Bis 2030 dürfte dieser Anteil auf 7 Prozent steigen, sagt der Branchenverband WindEurope voraus.

Gleichzeitig werden die Projekte immer größer. Der Park Gemini vor der Küste der Niederlande wird aus 150 Turbinen mit zusammen 600 Megawatt Leistung bestehen, wenn er nächstes Jahr fertig ist. Und es geht noch weiter: Ende vergangenen Jahres hat das britische Energie- und Klimaministerium das Riesenprojekt Dogger Bank genehmigt, das fast 1000 Quadratkilometer Fläche vor der Nordostküste Schottlands einnehmen soll. Es besteht aus 400 Windrädern mit zusammen 1,2 Gigawatt Leistung, mit denen zwei Millionen Haushalte versorgt werden können.

Offshore-Wind boomt, obwohl die Energienachfrage in Europa stagniert und in manchen Ländern sogar zurückgeht. In Deutschland und Großbritannien wächst der Anteil erneuerbarer Energien schneller, als alternde fossile Kraftwerke vom Netz genommen werden. Dadurch besteht Überkapazität, die den Großhandelspreis für Strom gedrückt hat, von etwa 68 Euro pro Megawattstunde vor drei Jahren auf heute etwa 34 Euro. Die Kosten von Strom aus Offshore-Windparks sind mit 100 Euro pro Megawattstunde deutlich höher. Onshore-Wind ist mit 60 bis 70 Euro deutlich billiger, doch hier gibt es, hauptsächlich aufgrund von Widerstand der lokalen Bevölkerung, kaum noch neue Installationen.

"Ohne den politischen Aspekt gibt es keine logischen geschäftlichen Argumente für Offshore-Windkraft", sagt David Reiner, Assistant Director der Energy Policy Research Group an der University of Cambridge. "Er ist die einzige Begründung dafür, dass wir bereit sind, für Offshore-Wind so viel mehr zu bezahlen als für Onshore-Wind."

Das bedeutet, dass die riesigen Windparks im Wesentlichen von den Regierungen finanziert werden. Das kanadische Unternehmen Northland Power ist der Hauptentwickler für das 2,8 Milliarden Euro teure Gemini-Projekt; er hat einen Vertrag über die Belieferung des niederländischen Stromnetzes für 162 Euro pro Megawattstunde über 15 Jahre abgeschlossen – weitaus mehr, als im Großhandel zu erzielen wäre. Ohne staatliche Preisstützung wäre der Windpark "absolut nicht gebaut worden", sagt Boris Balan, Leiter Geschäftsentwicklung Europa bei Northland.

Derlei Großzügigkeit weckt natürlich Kritik. Lokalregierungen entlang der niederländischen Küste protestieren gegen Offshore-Parks in Sichtweite ihrer Städte. Ende vergangenen Jahres blockierte eine Koalition von Oppositionsparteien im niederländischen Parlament ein Gesetz, das noch mehr Förderung für Offshore-Windräder bedeutet hätte.

Trotzdem zeigt der Boom keine Anzeichen einer Verlangsamung. Laut Hugh McNeal, CEO von RenewableUK, werden allein in Großbritannien von 2010 bis 2020 jährlich 20 Milliarden Pfund in Offshore-Windkraft investiert werden. In Aberdeen, einer rauen Hafenstadt mit 200.000 Einwohnern, die zwei Generationen lang von Ölbohrplattformen draußen im Meer profitiert hat, könnte die Windkraft-Revolution attraktive neue Einnahmequellen erschließen.

Dass sie sich kaum stoppen lässt, zeigte sich unter anderem daran, dass das höchste britische Gericht im Dezember 2015 den Antrag eines Resort-Entwicklers ablehnte, einen relativ kleinen Windpark mit 11 Turbinen in Sichtweite seines Luxushotels und Golfplatzes vor der Küste von Aberdeen zu verbieten. Der Entwickler war der amerikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump.

(sma)