Verfassungsgericht lehnt Eilanträge gegen die Vorratsdatenspeicherung ab

Das Bundesverfassungsgericht sieht mit dem Protokollieren von Nutzerspuren allein noch "keinen derart schwerwiegenden Nachteil verbunden", der es rechtfertigen würde, das Gesetz vorläufig außer Kraft zu setzen.

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Verfassungsgericht lehnt Eilanträge gegen die Vorratsdatenspeicherung ab

(Bild: bundesverfassungsgericht.de)

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Die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat zwei weitere Eilanträge aus Verfassungsbeschwerden gegen das neue Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung vom Dezember zurückgewiesen. Dass Provider künftig Nutzerspuren über mehrere Wochen hinweg anlasslos vorhalten müssen, mache es derzeit noch nicht erforderlich, die gesetzlichen Vorgaben außer Kraft zu setzen, heißt es in den Beschlüssen vom 8. Juni und der "Folgenabwägung" (Az.: 1 BvQ 42/15 und 1 BvR 229/16), die nun veröffentlicht wurden.

Der Gesetzgeber habe den Abruf der gesammelten Verbindungs- und Standortdaten von "qualifizierten Voraussetzungen" abhängig gemacht, die Grundrechtseingriffe "mit den Nachteilen für das öffentliche Interesse an einer effektiven Strafverfolgung weniger gewichtig erscheinen lassen", heißt es. Die öffentliche Sicherheit müsse also gegenüber den überschaubaren negativen Folgen für die Privatsphäre der Nutzer Vorrang haben.

Schon im Januar hatte das Gericht einen anderen Eilantrag gegen die Speicherpflicht abgelehnt. Dieser stammte aus der Verfassungsbeschwerde einer Einzelperson. Die jetzt zurückgewiesenen Begehren gehen auf Klagen verschiedener Beschwerdeführer zurück. Unter ihnen sind Berufsgeheimnisträger wie Rechtsanwälte, Journalisten, Ärzte und Abgeordnete von den Grünen, der FDP, SPD sowie der Piraten. Sie sehen sich in ihrer Kommunikation mit Wählern, Mandanten, Patienten und Quellen beeinträchtigt.

Die Nachteile seien aber auch für diese Berufsgruppen noch nicht derart gravierend, als dass die Vorratsdatenspeicherung schon ohne das noch ausstehende Hauptverfahren gestoppt werden könne. Dies gelte selbst dann, wenn dazukomme, dass beim SMS-Versand "Verkehrsdaten und Kommunikationsinhalte möglicherweise nicht getrennt werden können". Im Gesetz heiße es ganz klar, dass Inhaltsdaten nicht aufbewahrt werden dürften. Sollte dies technisch derzeit noch nicht möglich sein, müssten zunächst die Bedingungen geschaffen werden, um der Speicherpflicht nachzukommen.

Die Richter heißen es zudem gut, dass der Gesetzgeber Abrufmöglichkeiten eingrenzte und dafür "namentlich die Tat auch im Einzelfall schwer" wiegen müsse und die Metadaten quasi nur als Ultima Ratio herangezogen werden dürften. Ob und gegebenenfalls wie die Europäische Grundrechtecharta oder sonstiges EU-Recht für die Beurteilung der Vorschriften bedeutsam sei, müsse ohne Eile im Hauptsacheverfahren entschieden werden.

2008 war das Verfassungsgericht einem ähnlichen Antrag auf eine einstweilige Anordnung gegen das damalige, 2010 endgültig aufgehobene Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung noch zum Teil gefolgt. Den neuen Auflagen ist die Verfassungswidrigkeit demnach zumindest nicht direkt anzusehen. Telekommunikationsanbieter müssen "spätestens" ab 1. Juli 2017 die Informationen verdachtsunabhängig sammeln. Die Bundesnetzagentur arbeitet derzeit an technischen Anforderungen, die heftig umstritten sind.

Die Rechtsanwälte Carl Christian Müller und Sören Rößner, die eine der beiden Klägergruppen in Karlsruhe vertreten, sprechen in einer ersten Reaktion von einem "schlechten Tag für die Kommunikationsfreiheiten". Der entsprechende Beschluss lasse nicht erkennen, "dass das Bundesverfassungsgericht sich mit den von uns vorgetragenen Bedenken auseinandergesetzt hat". FDP-Vize Wolfgang Kubicki bedauerte ebenfalls die Entscheidung, gab sich aber optimistisch für das Hauptverfahren. Die Kammer nehme die Beschwerde der Liberalen offenbar "sehr ernst". (anw)