Anschlag in Nizza: Terror-Warn-App schlägt erst spät Alarm

Ein spezieller Smartphone-Dienst der französischen Regierung soll Nutzer vor Terrorangriffen warnen. In der Nacht zum Freitag dauerte es aber Stunden, bevor Hinweise auf eine Gefahr in Nizza darüber auf Handys gelangten.

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Anschlag in Nizza: Terror-Warn-App schlägt erst spät Alarm
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Die App Saip (Système d’alerte et de protection des populations), die Nutzer vor möglichen oder laufenden terroristischen Aktionen warnen soll, steht nach der blutigen Fahrt eines Franko-Tunesiers mit einem Lastwagen über die nach einem Feuerwerk gut besuchte Promenade des Anglais in Nizza in der Kritik. Gegen 23 Uhr steuerte der 31-Jährige den großen Lkw mit hohem Tempo am französischen Nationalfeiertag in die Menge. Laut mehreren Screenshots, die Anwender in sozialen Netzwerken veröffentlichten, erreichte sie der Alarm über die App erst um 1 Uhr 34 am Freitagmorgen.

Wozu ein solcher Dienst gut ist, wenn es darüber erst fast drei Stunden nach der Tat mit über 84 Toten einen Gefahrenhinweis gebe, fragt einer der Nutzer auf Twitter. Eine andere Anwenderin meldete mehr oder weniger sprachlos zur gleichen Zeit, dass sie die Warnung des Innenministeriums nun erhalten habe.

Die französische Regierung ließ die App nach den Attentaten vom Januar und November 2015 in Paris entwickeln und veröffentlichte sie Anfang Juni vor der Fußball-Europameisterschaft. Saip soll andere Kommunikationskanäle der Behörden wie den Rundfunk sowie Sirenenalarm ergänzen Zu der reinen Warnung sollen Ratschläge kommen, wie man sich verhalten soll. Ob und wann eine Alarmmeldung versandt wird, entscheidet laut französischen Medienberichten die lokale Präfektur. Deren Hinweise sollen eigentlich spätestens innerhalb von 15 Minuten an die Nutzer weitergeleitet werden.

Um die Warnungen zu einem Bereich erhalten, ist es nötig, den jeweiligen Aufenthaltsort per Geolokalisierung automatisch zu übermitteln oder manuell einzutragen. Darüber hinaus ist es möglich, bis zu acht verschiedene weitere geografischen Gebiete hinzuzufügen, um im Notfall auch über dortige Vorkommnisse informiert werden.

Wie Libération berichtet, hat die Präfektur in Nizza das Alarmprotokoll für die App gegen 23 Uhr am Donnerstagabend aktiviert. Eine Regierungsquelle sagte der Zeitung, dass die Aufträge korrekt an die Saip-Entwickler, die Pariser IT-Firma Deveryware übertragen worden seien. Von dort aus seien sie aber nicht weitergeleitet worden. Anderen Meldungen zufolge sollen Mitarbeiter des Dienstleisters am Freitagnachmittag ins Innenministerium einbestellt worden sein.

Ein Sprecher des Ministeriums sagte dem Blatt 20 Minutes, dass man noch versuche herauszufinden, mit welchen Schwierigkeiten die Anwendung in der Nacht zu kämpfen gehabt habe. Korrespondenten meldeten noch am Freitagvormittag von vor Ort, dass die Mobilfunknetze teils überlastet gewesen seien. IT-Experten hatten vorab bereits moniert, dass die App zu aufgeblasen sei und es besser gewesen wäre, auf schlankere Mobilfunkdienste wie "Cell Broadcast" zu setzen.

Während der tragischen Ereignisse reagierten soziale Netzwerke deutlich schneller als das offizielle Warnwerkzeug der Behörden. Der französische Facebook-Manager Laurent Solly twitterte um 0:33 Uhr am Freitag, dass der Betreiber den kostenlosen Service "Safety Check" aktiviert habe. Er erlaubt es Nutzern der Plattform zu zeigen, dass sie am Leben und "sicher" sind.

Um 23.20 riet der Bürgermeister Nizzas, Christian Estrosi, den Bürgern vor Ort per Twitter, besser zuhause zu bleiben. Die Gendarmerie bat parallel über das Online-Netzwerk darum, Polizeieinsätze nicht zu behindern und das Stadtzentrum zu meiden. Die lokale Verwaltung forderte Passanten auf, Zuflucht bei Anwohnern zu nehmen. Das Innenministerium mahnte, das Telefonnetz nicht zu überlasten. Auf Twitter konnten Besucher der Stadt auch schon gegen Mitternacht unter #portesouvertesnice nach einer Unterkunft suchen. Saip meldete zur gleichen Zeit noch "keine aktuellen Vorfälle".

Über Facebook hat mittlerweile auch ein Elternpaar, das in der Panik bei dem Anschlag den Kinderwagen mit seinem Baby aus den Augen verloren hatte, den acht Monate alten Sohn wiedergefunden. "Kleiner Junge im Gedränge verloren", "blauer Buggy", "gebt diese Information weiter" schrieb eine Bekannte der Eltern am Donnerstagabend auf ihrem Profil und veröffentlichte dazu ein Foto des Säuglings. Der Aufruf führte rasch zum Erfolg, wie eine Freundin der Familie am Freitag der Nachrichtenagentur AFP sagte. Eine junge Frau hatte den Kleinen entdeckt und mit zu sich nach Hause genommen. Anschließend ging sie online, fand in dem sozialen Netzwerk das Foto des Jungen und nahm Kontakt zu den Eltern auf. "Gefunden!", verkündete ein Familienmitglied daraufhin und dankte den Helfern. (axk)