Zahlen, bitte! Das merkwürdige 6-Leben natürlicher Zahlen

Natürliche Zahlen sind gerade oder ungerade und vielleicht noch prim? Weit gefehlt, sie können auch vollkommen, fröhlich, superperfekt, narzisstisch, hochzusammengesetzt oder die mathematische Inkarnation eines Lügenbarons sein.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 135 Kommentare lesen
Zahlen, bitte! 6 ? oder: die merkwürdigen Eigenschaften natürlicher Zahlen
Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Volker Zota
Inhaltsverzeichnis
Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Für die meisten ist allenfalls ein Sechser im Lotto vollkommen (wenn auch die Zusatzzahl stimmt), für Mathematiker ist hingegen die Zahl 6 die kleinste "vollkommene oder perfekte Zahl". Das bedeutet, sie ist gleich der Summe aller ihrer positiven Teiler außer sich selbst ("echte Teiler") σ*:

6 = 1 × 2 × 3 = 1 + 2 + 3

Der Begriff der Vollkommenheit hängt mit der Bibelexegese im Mittelalter zusammen, bei der die sechs Schöpfungstage mit der Vollkommenheit gleichgesetzt wurden.

So etwas könnte man für reine mathematische Spielerei halten, doch gerade zwischen vollkommenen und Primzahlen gibt es einen interessanten Zusammenhang, den schon Euklid bewies:

So ist 2n-1 × (2n - 1) immer dann eine vollkommene Zahl, wenn 2n - 1 eine Primzahl ist. Bei letzteren handelt es sich um die auch des Öfteren in unserem Newsticker auftauchenden Mersenne-Primzahlen. Die größte bekannte Mersenne-Primzahl mit über 22 Millionen Stellen wurde im September 2015 gefunden (für n = 74207281).

Äquivalent kann man definieren, dass vollkommene Zahlen halb so groß sind wie die Summe alle ihrer Teiler (sich selbst eingeschlossen): σ(n) = 2 × n. Für die meisten Zahlen ist die Teilersumme σ(n) jedoch kleiner oder größer als 2 × n. Diese heißen defiziente Zahlen oder abundante Zahlen.

Sind die Anzahl und Summe der Teiler einer natürlichen Zahl jeweils vollkommen, spricht man gar von der äußerst raren Spezies der erhabenen Zahlen. Momentan kennt man nur zwei solche Zahlen: die 12 (Zahl der Teiler ist 6, die Teilersumme 28) und die etwas größere 6.086.555.670.238.378.989.670.371.734.243.169.622.657.830.773.351.885.970.528.324.860.512.791.691.264

Die Schreiber der Serie "Die Simpsons" haben ein Mathe-Faible: vollkommene (8128), narzisstische (8208 = 8^4 + 2^4 + 0^4 + 8^4) und die Mersenne-Primzahl 8191 einträchtig beieinander (Episode: "Ein Homerun für die Liebe").

(Bild: Fox Television)

Aber man kann es noch eine Stufe weiter treiben: Für superperfekte Zahlen gilt sogar σ(σ(n)) = 2 × n – es ist also die Summe der Teiler der Summe ihrer Teiler doppelt so groß wie die Zahl selbst. Ein Beispiel: 2 ist superperfekt, da σ(2) = 1 + 2 = 3 und σ(3) = 1 + 3 = 4 = 2 × 2. Die ersten superperfekten Zahlen sind 2, 4, 16, 64, 4.096, 65.536, 262.144 ... alles Zahlen, die sich in der Form 2n schreiben lassen und jedem Computer-Fan flüssig von den Lippen gehen.

Ist 2n eine gerade superperfekte Zahl, ist 2n+1 - 1 eine Mersenne-Primzahl. Da beispielsweise 64 superperfekt ist, muss 26+1 - 1 = 127 also eine Mersenne-Primzahl sein. Umgekehrt leitet sich aus jeder Mersenne-Primzahl eine gerade superperfekte Zahl ab.

Wenn Primzahlen nur durch 1 und sich selbst teilbar sind, müssen alle anderen natürlichen Zahlen logischerweise "Anti-Primzahlen" sein. Wobei Mathematiker normalerweise von zusammengesetzten Zahlen sprechen, weil sich alle Zahlen außer Primzahlen nunmal aus mindestens zwei Primfaktoren zusammensetzen lassen. Man kann aber auch hier noch eins draufsetzen: Hochzusammengesetzte Zahlen sind ganze Zahlen, die mehr Teiler besitzen als jede kleinere ganze Zahl. Als erster hat sich der berühmte indische Mathematiker Srinivasa Ramanujan eingehend mit ihnen beschäftigt.

Die ersten hochzusammengesetzten Zahlen sind 1, 2, 4, 6, 12, 24, 36, 48, 60, 120, 180, 240, 360, 720, ... kommt einem irgendwie bekannt vor, oder? Tatsächlich ist der hohe Grad der Teilbarkeit der hochzusammengesetzten Zahlen der Hauptgrund dafür, weshalb sich das Sexagesimalsystem schon zu Zeiten der alten Babylonier für Winkelmessungen und das 24-Stundensystem durchsetzte.

Eine ganz besondere hochzusammengesetzte Zahl ist außerdem die 2520. Sie ist (unter anderem) die kleinste Zahl, die sich glatt durch die Zahlen 1 bis 10 teilen lässt; insgesamt hat sie 48 Teiler.

Dass Pythagoras ein großer Zahlenfreund war, ist hinlänglich bekannt. Es ging sogar so weit, dass er auf die Frage, was ein Freund sei, geantwortet haben soll: "Einer, der ein anderes Ich ist, wie 220 und 284." Er spielt damit auf die kleinsten befreundeten Zahlen an, für die σ*(a) = b und σ*(b) = a gilt:

σ*(220) = 1 + 2 + 4 + 5 + 10 + 11 + 20 + 22 + 44 + 55 + 110 = 284 und
σ*(284) = 1 + 2 + 4 + 71 + 142 = 220.

Übrigens: Die kleinere der befreundeten Zahlen ist immer abundant, die größere defizient. Wie im wahren Leben gibt es auch quasibefreundete und (nur) gesellige Zahlen.

Manche Zahlen sind auch ohne Freunde gut gelaunt. Ihnen reicht es, wenn die Folge ihrer quadrierten und summierten Ziffern irgendwann auf 1 führt, wie das folgende Beispiel zeigt:

7 72 = 49 42 + 92 = 97 92 + 72 = 130 12 + 32 + 02 = 10 12 + 02 = 1

Solche Zahlen nennt man fröhliche Zahlen. Da die 7 zugleich prim ist, nennt man sie fröhliche Primzahl. Alle anderen Zahlen sind nichtfröhliche (traurige) Zahlen.

Übrigens: Fröhliche Zahlen sind noch längst keine glücklichen Zahlen.

Wenn man es mit der Zahlenspielerei übertreibt, landet man bei narzisstischen Zahlen. Sie erzeugen durch bestimmte Rechenvorschriften ihrer Ziffern sich selbst, haben aber in der Regel keinerlei (wissenschaftlichen) Nutzen ... sie sind halt zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Es gibt sie mit steigender Potenz, mit konstanter Basis oder mit nicht einheitlichen Rechenvorschriften (wilde narzisstische Zahlen) bis hin zu interessanten Zahlen wie 3.456 = 3! × 4/5 × 6!

Dass der Lügenbaron unter den Zahlen eng mit den narzissitschen Zahlen verknüpft ist, verwundert kaum. Die Münchhausen-Zahlen folgen der Vorschrift: abcd ... = aa + bb + cc + dd ... so wie sich der Lügenbaron sich aus dem Morast zieht, zieht sich die Münchhausen-Zahl an jeder Ziffer selbst hoch. Bei normaler Definition von 00 = 1, gibt es tatsächlich nur zwei solche Zahlen, nämlich die 1 und

3.435 = 33 + 44 + 33 + 55.

Diese Überlegungen zu natürlichen Zahlen könnte man noch eine ganze Weile weiterführen. Dann stolpert man unweigerlich über die Fibonacci-Folge , deren Zahlen jeweils aus der Summe der beiden Vorgänger entstehen (0, 1, 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21, 34, ...). Und selbst hinter einer vermeintlich langweiligen Zahl wie der 70 verbirgt sich ein Geheimnis: Sie ist nämlich die kleinste Zahl, die abundant, aber nicht pseudovollkommen ist. Merkwürdig, oder? Auch wenn diese Folge von "Zahlen, bitte" Sie mathematisch nicht wirklich weiterbringt, hilft sie Ihnen möglicherweise immerhin, versteckte Gags bei den Simpsons, Futurama und anderen Serien aufzuspüren, deren Macher Zahlenfreunde sind. (vza)