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Was war. Was wird. Vom vorausschauenden Rechnen und anregenden Lernen

Die sonntägliche Wochenschau ist nicht rechtsverbindlich, das weiß Hal Faber, die Distanz will er trotzdem nicht wahren und betrachtet, was Schüler mit "dem Internet" lernen könnten, was der BND so damit tut und wann das Anthropozän vielleicht begann.

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Was war. Was wird. Vom vorausschauenden Rechnen und anregenden Lernen

Haben wir uns ins Anthropozän gebombt?

(Bild: Atomic cloud over Nagasaki from Koyagi-jima by Hiromichi Matsuda, Gemeinfrei)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Hach, das war eine nette Party mit entspannten Gesprächen im Schatten da vor dem Ententeich, mit vielen klugen Menschen und einem Jeopardy, in dem zu raten war, was ein gewisser Hal am Sonntagmorgen macht. Das war immerhin leichter zu erraten als die Frage, was "Hal" beim Tatort am Abend nach der Party eigentlich meinte. Der affige Bluesky konnte es nicht gewesen sein und das am Ende abseits aller Logik ein Programmierer mit einer Tontauben-Schrotflinte Kaliber 20 in einem Rechenzentrum herumballert und fast nichts kaputtgeht, sollte wohl zeigen, wie unüberwindlich diese künstliche Intelligenz ist. Da brauchte es kein Jeopardy oder Predictive Policing, um zu wissen, dass "User büßte für die Tat mit Gut und Blut", wie es eine ordentlich programmierte KI formulieren würde.

Dennoch sah sich das Bundeskriminalamt bemüßigt, nach diesem Tatort die vorhersagende Polizeiarbeit mit der ganzen Datensammelei zu erklären. "Polizeikräfte werden möglichst vorausschauend und sinnvoll eingesetzt." Wie unsere GEZ-Gebühren mit Borowski und das dunkle Netz, wo es in die "dunkelsten Bereiche des Internet" geht. Derweil bedroht diese künstliche Intelligenz von Bluesky auch die zitternden Mittelschichten, die sich ängstlich fragen, welche "Jobs" denn sicher sind.

Es gab einmal eine Zeit, da wurde nicht von "dem Internet" gesprochen und schon gar nicht von seinen dunkelsten Bereichen. Man sprach zuversichtlich von elektronischen Netzwerken und schrieb darüber, wie diese unser Leben bereichern können. Vor 25 Jahren erschien am 1. September 1991 im Scientific American der wohl einflussreichste und klügste Aufsatz über die Rolle von Computern in der Schule, Alan Kays Computers, Networks and Education (PDF-Datei). Gespickt mit Zitaten von Susan Sontag oder Neil Postman zeigte Kay Wege auf, wie Computer, in Netzwerken eingebettet, das Lernen bereichern können.

Von Kindern gemachte Wetterberichte

(Bild: Kays Scientific American)

Der einleitende Satz macht das klar: "Global vernetzte, einfach zu bedienende Computer können das Lernen bereichern, aber nur, wenn sie in einer schulischen Umgebung eingesetzt werden, die die Lernenden ermutigt, "Fakten" in Frage zu stellen und selbst neue Herausforderungen zu suchen." Kays Ansatz der anregenden, netzwerkgestützten Lernumgebung wird in vielen Beispielen ausgebreitet, etwa dem vernetzten Messen von Temperaturen an Schulen in der ganzen USA, wenn sich die Kinder einen eigenen Wetterbericht erarbeiten und die Ökologie der Zusammenhänge verstehen lernen. Ganz nebenbei ist sein Text einer der ersten Aufsätze, der einem Laien-Publikum das Konzept der Hyperlinks und Such-Agenten erklärt, mit Hilfe von Nicholas Negroponte und Seymour Papert.

Heute haben wir inspirierende Lernumgebungen, in denen der Stundenplan vom aktuellen Wetter und den Wellen bestimmt wird. Aber nicht doch, wir sind ja nicht im dänischen Hawaii. Bei uns verfasst man viel lieber ärgerlich oberflächliche Besinnungsaufsätze von der "digitalen Welt und warnt bei Schulbeginn, es mit der Notenjagd nicht zu übertreiben und mehr auf "digitale Bildung" zu setzen, wegen dieser sicheren Jobs, wissen's schon.

Alan Kays Vision ist weit entfernt, die Computer-Revolution aber auch. Kay und Papert waren nicht die einzigen, die sich mit der Rolle von Computern fürs Lernen beschäftigten. Hier muss man an die Hackerin Liza Loop und das LO*OP Center erinnern, besonders an den Aufsatz Sharing Your Computer Hobby with the Kids (PDF-Datei).

Während sich auf der Party von heise online Programmierer und IT-Administratoren, Hardware-Entwickler und OTF-Freunde trafen, kamen in Südafrika die Geologen zu ihrem internationalen Kongress zusammen. Die für Erdzeitalter zuständige 35-köpfige Arbeitsgruppe definierte, dass 12.000 Jahre nach dem Holozän nun das Anthropozän da ist, also das Zeitalter, in dem die Menschheit die Erde terraformt: Wir verändern die Erdtemperatur und ruinieren das Klima, rotten Tiere und Pflanzen mit großem Tempo aus und verdrecken die Erde bis auf lange Zeit nach der Selbstausrottung. Streit gibt es nur noch darüber, wann dieses Anthropozän angefangen hat. Als Einschaltjahr könnte man 1945 mit den Abwürfen der Atombomben nehmen und damit dokumentieren, dass wir einen Knall haben, die Erde zu verschandeln.

Noch ist der Geologen-Vorschlag freilich rechtlich unverbindlich, wie die Resolution zum Völkermord in Armenien. Man könnte also noch am aufrechten Gang als Beginn des Anthropozän festhalten, in der Einsicht, das wir uns zurückentwickeln, nicht nur durch Hofknicks (oder sagt man besser Kotau?) vor dem türkischen Thron. Ein Parlament, dass sich so von der Regierung behandeln lässt, verdient diesen Namen nicht, selbst wenn dadurch in ziemlich verquerer Logik Tote im Mittelmeer verhindert würden. Wir schaffen da gar nichts, Frau Bundeskanzlerin. Wir schaffen höchstens die Achtung vor der Demokratie ab, ganz ohne AfD & Co. Obendrein präsentierte sich ein Regierungssprecher in bester militärischer Infowar-Manier als Narratologist und sprach von einer nicht stattfindenden Distanzierung, um sich zu distanzieren.

Der Sommer geht vorüber und alle möglichen Löcher schließen sich. Die Polizei von Thüringen sucht zwar noch nach 14.450 Lizenzen eines USB-Anschluss-Überwachungsprogrammes namens Device Watch, doch irgendwo auf irgendwelchen Rechnern wird sich der Beitrag zur granularen Endgerätesicherheit schon finden lassen. Vielleicht war das Lizenzvolumen einfach nur falsch kalkuliert, so Pi mal USB-Ports mal USB-Sticks?

Der NSA-Untersuchungsausschuss nimmt am Donnerstag seine Arbeit wieder auf und hat dank eines kleinen Leaks zum Datenschutzbericht auf einmal richtig viel zu tun. Erfreulich, dass der etwas enttäuschende Tag der offenen Tür beim BND auf seine Weise doch noch ein bisschen Offenheit gebracht hat, wenn auch anders als geplant. So wurde in Bad Aibling nicht nur – wie bisher mit einer schicken Weltraumtheorie behauptet – die Kommunikation von Satelliten abgehorcht, sondern es gab eine "Kabelerfassung im außereuropäischen Ausland unter Mitwirkung eines ausländischen Nachrichtendiensts". Außerdem wurden mit dem NSA-Programm XKeyscore erhobene Daten ohne entsprechende Dateianordnung erfasst, gespeichert und "automatisiert G10-bereinigt an die NSA übermittelt. Dazu passt die ungeprüfte Übernahme von Selektoren der NSA. All das deutet auf Gesetzesverstöße hin und dürfte den Ausschuss lange beschäftigen.

Ein Agent muss mit vielen Informationen zurechtkommen

(Bild: Kays Scientific American)

Auch zukünftig wird es rund um den BND nicht still werden, wie Reporter ohne Grenzen mitteilt. Drei UN-Berichterstatter haben eine Stellungnahme zum geplanten BND-Gesetz eingereicht und die Bundesregierung um eine Antwort gebeten. Die rechtlich nicht verbindlich ist, wir kennen das ja.

Mit dem leicht geheimen Prüfbericht der Bundesdatenschutzbeauftragten zum schwer geheimen Sachstandsbericht ihres Vorgängers sind viele Aussagen von Edward Snowden wieder in der Diskussion, die mitunter belächelt wurden. Passend zu den neuen Leaks kommt Oliver Stones Film über Edward Snowden Mitte September ins Kino, in dem der blasse Amerikaner zum Hacker-Superstar mutiert. Sicherheitshalber wurde außerhalb der USA gedreht, nicht weit von der Special US Liaison Activity Germany in Bad Aibling, nämlich in München. Damit es richtig ungemütlich NSA-like aussieht und ein sehr militärischer Orwell-touch nicht fehlen durfte, wurden die Katakomben des Münchener Olympiastadions genommen. Abseits bahnbrechender Computertricks könnte der Film eine gute Gelegenheit sein, Shailene Woodley von Our Revolution zu sehen.

Über Apples Milliarden-Dollar-Missverständnis wird genug geschrieben. Apples Geschichte begann auch damit, dass ein gewisser John Draper für die ersten Apples das "Charlie-Board" als Telefonschnittstelle entwickelte. Auf dem CaptainCrunch ComeTogether GeekFest 2016 in Berlin ist er wieder anwesend und schaltet zu nächtlichen Talks per Skype mit seinen Freunden nach Amerika zurück. Mit dabei die oben erwähnte Liza Loop, Richard Stallman, der Althacker Mark Abene und der Junghacker Reuben Paul. Es muss ja nicht immer ne Party sein. (kbe)