Kommentar: Die Kopfhörerbuchse ist tot, lang lebe die Kopfhörerbuchse

Weil Apple ins iPhone 7 keine Klinkenbuchse einbaut, geht gerade das Abendland unter, zumindest den Diskussionen im Netz zufolge. Jan-Keno Janssen findet: Die Kopfhörerbuchse hat noch Überlebens-Chancen – wenn niemand ein Smartphone ohne kauft.

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Kommentar: Die Kopfhörerbuchse ist tot, lang lebe die Kopfhörerbuchse

Vulgär teuer? AirPods, die Bluetooth-Kopfhörer von Apple.

(Bild: Apple)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Jan-Keno Janssen
Inhaltsverzeichnis

Ein 3,5 Millimeter breiter Hohlraum ist zurzeit der größte Aufreger der Technikwelt: Apple liefert seine neuen iPhones ohne Kopfhörerbuchse aus – und alle drehen durch. Dabei habe ich gar kein Problem damit, dass die Diskussion im Netz emotional geführt wird (das muss heutzutage wohl so). Mich nervt vielmehr, dass die Diskussionen häufig auf falschen Fakten aufbauen.

Am schönsten finde ich das Lieblingsargument der Apple-Fan-Boys und -Girls gegen die Kopfhörerbuchse: Durch den Umstieg von Klinke auf Lightning würde Apple die Tonqualität verbessern. Um zu begreifen, dass das Quatsch ist, muss man kein Ingenieur sein: Man benötigt Digital-Analog-Wandler, um einen Kopfhörer zum Tönen zu bringen.

Ob das Teil nun aber im Smartphone steckt oder im Lightning-Adapter, macht in Sachen Tonqualität erstmal keinen Unterschied. Relevant ist lediglich die Qualität des Wandlers, nicht wo er eingebaut ist. Und dass die Bauteile im Lightning-Adapter von erlesenenerer Qualität sind als in den bisherigen iPhones, darf man beim – für Apple-Verhältnisse – Dumpingpreis von neun Euro bezweifeln. Wie auch immer: Mit Kopfhörern unter 300 Euro dürfte man in der Praxis eh keinen Unterschied hören.

Das ebenfalls beliebte Argument "Mit Klinkenbuchse keine Wasserdichtigkeit" lässt sich mit einem kurzen Blick zur Konkurrenz zum Platzen bringen: Das Samsung Galaxy S7 – mit Kopfhörerbuchse – kann man problemlos ins Wasser werfen, ohne dass etwas Schlimmes passiert. Ich hab's selbst ausprobiert. Das Gleiche gilt für viele Sony-Xperia-Smartphones.

Ein Kommentar von Jan-Keno Janssen

Jan-Keno Janssen schreibt seit 2007 über Technik bei c't und heise online, seit 2016 als leitender Redakteur im Ressort Internet & Mobiles. Zuvor arbeitete er nach einem Studium der Medienwissenschaften und der Amerikanistik bei Tageszeitungen. Er schraubt schon seit frühester Kindheit an Computern herum. Bei heise online und c't beschäftigt er sich vor allem mit Virtual Reality, Datenbrillen und Gadgets.

Der wahre Grund für das zunehmende Verschwinden der Kopfhörerbuchsen: Das Bauteil nimmt vergleichsweise viel Platz weg – Platz, den die Smartphone-Ingenieure lieber für etwas Anderes nutzen würden. Im iPhone 7 ist das zum Beispiel ein größerer Akku und der ulkige Taptic-Home-Knopf. Hätten sie die Klinkenbuchse leben gelassen, wäre beides womöglich weggefallen. Das Tollste: Apple kann den Verzicht auf die Kopfhörerbuchse zusätzlich als besonders mutig und zukunftsgerichtet verkaufen. Dabei fehlte schon 2008 beim HTC G1, dem ersten Android-Smartphone überhaupt, die Klinkenbuchse. Ebenso wie bei vielen chinesischen Billig-Smartphones und dem Moto Z.

Für adapterallergische iPhone-7-Nutzer hat Apple freilich auch eine kabellose Option in petto: Die vulgär teuren AirPod-Ohrstöpsel. Dass derlei umsatzgetriebene Gedanken bei der Entscheidung gegen die Buchse eine Rolle gespielt haben könnten, will ich hier natürlich keinesfalls andeuten.

Aber ganz ohne Ironie: Ich kann Apples Entscheidung gegen die alte Buchse verstehen – ebenso wie ich die andere Seite verstehen kann. Ich gehöre selbst zur Pro-Buchsen-Fraktion, da mich Kabel nicht sonderlich stören und ich mehrere hochwertige Kopfhörer besitze. Würde ich mir ein neues iPhone kaufen, könnte ich die nur noch mit einem uneleganten und nervigen Adapter benutzen. Viele Freunde und Kollegen sind dagegen schon vor Jahren auf Bluetooth umgestiegen; die benutzen eh keine Kopfhörerbuchsen.

Ich bin gespannt, ob Apple mit dem Verzicht auf die Buchse tatsächlich eine Trendwende auslöst. Da in letzter Zeit auch immer mehr Android-Smartphones ohne analogen Kopfhörerausgang auf den Markt kommen, ist der Tod der Buchse ziemlich wahrscheinlich. Aber sicher ist er noch nicht – wenn niemand Smartphones ohne Klinkenanschluss kauft, wird es auch weiterhin Geräte mit Buchse geben.

Einen weiteren Artikel mit Messergebnissen, inwieweit der Lightning-Adapter die Tonqualität beeinflusst, lesen Sie am Freitag auf heise online. (jkj)