Das große Reinemachen: Gut 100 BND-Mitarbeiter haben illegitime Selektoren aussortiert

Nach der Kanzlerin-Ansage, dass Freunde nicht ausgespäht werden sollten, startete im BND eine umfangreiche Säuberungsaktion bei eigenen Suchmerkmalen, berichtete ein Zeuge im NSA-Ausschuss. Vorher habe keiner sofortigen Handlungsbedarf gesehen.

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BND

(Bild: dpa, Soeren Stache)

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Inhaltsverzeichnis

Die Bemerkung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Oktober 2013, dass "Ausspähen unter Freunden gar nicht" gehe, hat im Bundesnachrichtendienst (BND) nach einer einschlägigen Weisung von Ex-Behördenchef Gerhard Schindler zu einer großen Reinigungsaktion geführt. "Über 100 Leute" könnten im Nachgang illegitime Selektoren des Auslandsgeheimdienstes deaktiviert haben, schätzte mit D. B. ein früherer BND-Unterabteilungsleiter am Donnerstag im NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestags. Bei diesen Arbeiten sei es nur um eigene BND-Selektoren gegangen, nicht um solche der NSA.

NSA-Skandal

Die NSA, der britische GCHQ und andere westliche Geheimdienste greifen in großem Umfang internationale Kommunikation ab, spionieren Unternehmen sowie staatliche Stellen aus und verpflichten Dienstleister im Geheimen zur Kooperation. Einzelheiten dazu hat Edward Snowden enthüllt.

Eine Arbeitsgruppe des Parlamentarischen Kontrollgremiums für die Geheimdienste hatte Ende 2015 dargelegt, dass der BND mit den umstrittenen Suchvorgaben unrechtmäßig und nicht auftragskonform eine Vielzahl an Zielen in EU- und Nato-Staaten ausforschte. Darunter sollen ausländische Regierungsstellen und EU-Institutionen sowie zivilgesellschaftliche Organisationen gewesen sein. In Einzelfällen seien auch deutsche Staatsbürger ausgespäht worden. Insgesamt sollen letztlich rund 3300 Ziele nicht mehr gesteuert worden seien.

Da für den BND seit 2013 generelle "Löschmoratorien" gälten, sind die Suchkriterien, die gegen deutsche Interessen verstießen, laut D. B. "in Unterregister" aussortiert und "dem normalen Zugriff entzogen" worden. Die sogenannte Gruppenliste der faulen Selektoren sei in einen "Container mit Unterkategorien" überführt und im Nachhinein weiter ausgebaut worden. Einschlägige Referate hätten immer wieder Begriffe gefunden, die nicht hätten scharf gestellt werden dürfen.

Der seit 2014 für die Cyberabwehr zuständige Offizier erwähnte auch die "Gefahr, dass bei pauschaler Deaktivierung berechtigte Ziele mit erwischt und Ergebnisse so nicht mehr erzielt werden". Der ein oder andere Selektor sei daher "nach einer Verhältnismäßigkeitsprüfung wieder zurückgeführt" worden. Dafür habe aber eine "genaue Begründung" geschrieben werden müssen, die anfangs von ihm, später ab März 2014 vom Abteilungsleiter zu billigen gewesen sei.

Beim BND seien zumindest bis zu seinem Stellenwechsel zwei Referate für die Informationsgewinnung rund um Terrorismus und militärische Aufklärung zuständig gewesen, erläuterte der 56-Jährige. Diesen hätten auch die Selektoren gesteuert, also mithilfe einschlägiger Suchbegriffe und Telekommunikationsmerkmale Inhalte aus den abgefangenen Daten herausgefischt. Einen "guten Teil" der Kriterien habe der BND selbst generiert, andere würden von Partnern wie der NSA übernommen.

Wenn der BND sich fremde Selektoren "zu eigen" mache, wird laut D. B. zunächst geprüft, ob etwa die entsprechende Telefonnummer bereits bekannt oder in einer Meldung beziehungsweise in Kontaktdaten aufgetreten sei. Es werde auch geschaut, ob es sich um eine deutsche Kennung handle oder diese sich auf einer gesonderten Liste befinde, in der Merkmale hiesiger Staatsbürger eingetragen werden, die bekannterweise mit ausländischen Nummern telefonieren. Für die restlichen Suchvorgaben fremder Geheimdienste werde eine Plausibilitätsprüfung durchgeführt. Dabei werde im Nachhinein geschaut, ob die Kriterien einschlägige Hinweise und Treffer erzielten.

Die Abgeordneten wollten unter anderem wissen, wie bei einem solchen Verfahren verhindert werden kann, dass über Kennungen wie E-Mail-Adressen mit "Wild Cards", also etwa einer Domain-Endung ohne spezifischen Adressat vor dem @-Zeichen, das Abhören tausender Personen zu verhindern ist. Wenn ein solcher Fall zu untersuchen wäre, antwortete der Zeuge, müsste die Verhältnismäßigkeit im Blick gehalten werden. Es wäre zu klären, ob es sich bei allen Betroffenen um auftragsgemäße Ziele handle. Seiner Ansicht nach müsste solch ein breiter Selektoreneinsatz "wohl verworfen" werden.

Wie es zu den massiven Fehlern rund um deutsche Interessen gekommen sei, wollte D. B. öffentlich nicht erklären. "Manche Sachen sind nicht optimal gelaufen", räumte er nur pauschal ein. Offenbar sei nicht hinreichend geprüft worden. Es existierten Fälle, "wo es keine Erklärung gibt". Ihm sei nicht bekannt, dass darüber diskutiert worden sei, ob man sich bei den Betroffenen der rechtswidrigen Abhöraktionen entschuldigen müsse. Auch von Anzeigen gegen den BND sei ihm nichts zu Ohren gekommen.

Er habe schon vor den Snowden-Enthüllungen im Frühjahr 2013 darauf hingearbeitet, dass deutsche Interessen bei der Selektorensteuerung stärker berücksichtigt werden müssten, gab der Zeuge zu Protokoll. Im August habe er einen Weisungsentwurf mit einer "Matrix mit Fallunterscheidungen" im Anhang weitgehend fertig gestellt, auf der in manchen Feldern ein "kategorisches Nein" gestanden habe. Sein Mitarbeiter B. R. habe diese zum Anlass genommen, einschlägige Merkmale zu deaktivieren. Parallel sei man aber auch zu der Auffassung gekommen, "dass es keinen unmittelbaren Handlungsbedarf gibt". Im Oktober 2013 sei denn nach einem Gespräch Schindlers mit dem Kanzleramt eine noch schärfere Handlungsanleitung erfolgt.

Nicht direkt eingestehen wollte der Militär, dass der BND NSA-Selektoren völlig ungeprüft übernommen habe. Selbst wenn man Suchbegriffe und zugehörige Erläuterungen nicht habe lesen können, habe es dazu einen Gegenpart gegeben, der interpretierbar gewesen sei. Letztlich sei aber nur das "Interessensprofil" der NSA in Gänze untersucht worden.

Selektoren von BND und ausländischen Partnern laufen laut D. B. in Pullach in einer Datenbank zusammen. Bei den US-Zielvorgaben habe "Dr. T." per Zufall im August 2013 ebenfalls zahlreiche illegitime Merkmale gefunden. Diese seien parallel ausgesiebt worden. "Alle Auffälligkeiten wurden deaktiviert", konstatierte der bereits zum dritten Mal Vernommene.

Die Petitionsübergabe von Barreto, Hoh und Westmoreland

(Bild: Stefan Krempl)

Er habe im Anschluss die Zuständigen "dazu aufgefordert, diese Art von Steuerung zu unterlassen". Damit sei "Ende Gelände" gewesen mit den NSA-Selektoren. Matthew Hoh, ein Ex-Mitarbeiter des US-Außenministeriums, der Ex-Drohnentechniker Cian Westmoreland und die Aktivistin Diani Barreto vom Netzwerk Roots Action nutzten die öffentliche Sitzung, um drei Ausschussmitgliedern von SPD, Linken und Grünen ein dickes Buch mit rund 24.000 Unterschriften und Kommentaren zu überreichen für eine Petition, die US-Militärbasis Ramstein bei Kaiserslautern dichtzumachen. Die Unterzeichner beklagen, dass das Kommunikationssystem des Luftwaffenstützpunkts genutzt werde, um illegale gezielte Tötungen durchzuführen. (kbe)