Kommentar: Pressefreiheit à la Oettinger

Auf einer Tagung legte EU-Digitalkommissar Günther Oettinger Zeitungsverlegern nahe, Einfluss auf ihre Online-Redaktionen auszuüben. Ein unerhörter Vorgang, findet c't-Redakteur Holger Bleich.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 292 Kommentare lesen
Günther Oettinger

(Bild: dpa, Julien Warnand)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Holger Bleich

Seit 2014 ist Günther H. Oettinger "EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft". Das ist gut für die Wirtschaft, aber schlecht für die Gesellschaft, wie sich immer deutlicher zeigt. Oettinger gilt in Brüssel als regelrecht Lobby-hörig – was Transparency International inzwischen sogar empirisch nachgewiesen hat. Vom Start weg ließ sich der fachlich kaum bewanderte Digitalkommissar wenig von Experten beraten, vielmehr lauschte er Einflüsterern der Konzerne, beispielsweise beim Thema Netzneutralität.

Ein Kommentar von Holger Bleich

Holger Bleich schreibt seit 1999 für c't und heise online. Den Schwerpunkt bilden Technik-Themen wie Internet-Protokolle und Webhosting. Aus seinem Studium hat sich der diplomierte Politikwissenschaftler sein Interesse für juristische und kulturelle Aspekte der Netznutzung sowie für Netzpolitik erhalten.

Derzeit steht die Reform des EU-Urheberrechts oben auf Oettingers Agenda. Ganz im Sinne der flüsternden Verleger sieht Oettingers Vorschlag auch ein weit reichendes Leistungsschutzrecht für Presseerzeugnisse im Web vor. Google soll für jeden Textausschnitt zahlen, den es von Medien-Seiten übernimmt. Dass Google den Verlagen nichts stiehlt, sondern mit den übernommenen Text-Snippets Besucher für das Produkt interessiert und sie dem Verlags-Angebot zuleitet, bestreiten sowohl einige Verleger als auch Oettinger in trauriger Regelmäßigkeit – was in vielerlei Hinsicht bizarr genug ist.

Am vergangenen Montag nun legte Oettinger auf dem Zeitungskongress des Bundes Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) versehentlich offen, welchen Stellenwert er unabhängigem Journalismus tatsächlich beimisst: Keinen. Die "Tageszeitungen Print" berichteten positiv zum geplanten Leistungssschutzrecht, freute er sich. Da hat die Verlegerlobby offenbar ihren Teil der Abmachung erfüllt. Aber die Reaktion der Online-Redaktionen sei "relativ negativ" gewesen, was ihm "Sorge bereite", ermahnte Oettinger die Verlagsbosse. Nun sei ja nicht gleich Zensur gefragt, "aber Überzeugung". Übersetzt aus teilweise unverständlichem Oettingisch (siehe Video-Mitschnitt) kann das nur heißen: Setzt Eure Onliner unter Druck, damit sie das Richtige schreiben!

Dieser unerhörte Vorgang hat in der Tagespresse – Überraschung – sehr wenig Beachtung gefunden: Ein Repräsentant der europäischen Gesetzgebung setzt öffentlich Verleger unter Druck, damit sie ihre publizistische Macht nutzen, um sein von ihnen befördertes Vorhaben umzusetzen. Das ist Gewaltenverschränkung pur, sehenden und wissenden Auges. Journalistische Unabhängigkeit ist ein hohes Gut: Gerät die kritische Berichterstattung flächendeckend unter Interesseneinfluss, leidet darunter die Meinungsbildung, und letztlich ist dadurch sogar unsere demokratische Grundordnung gefährdet. Was Oettinger tut, ist zutiefst antidemokratisch.

Nun sollte man doch zumindest meinen dürfen, es ging angesichts der versuchten Einflussnahme ein entsetztes Raunen durch die versammelte Tageszeitungs-Verlegerschaft. Tatsächlich aber applaudierten die Bosse Oettinger zu. Sie applaudierten! Ihr Hass auf Googles Geschäftsmodell und -Erfolg sitzt augenscheinlich so tief, dass sämtliche Branchen-Grundwerte als Ballast über Bord fliegen. Wenn Print-Verleger klatschen, weil ein hochrangiger Politik-Funktionär von ihnen fordert, ihre Online-Redakteure auf Meinungsspur zu trimmen, ist das mehr als nur ein Alarmsignal. Wir Printmedien stecken in einer Glaubwürdigkeitskrise – und die ist keineswegs nur fremdverschuldet.

P.S.: Ein Dankeschön an Uebermedien.de, das zuerst über den Video-Mittschnitt berichtet und ihn damit de facto der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat. (hob)