Digitale Musik zwischen Chance und Piraterie
Der in seinem stillen Kämmerlein über Klavier, Notenblättern und Partituren brütende Komponist scheint Lichtjahre entfernt von Klangschöpfern des 21. Jahrhunderts.
Der in seinem stillen Kämmerlein über Klavier, Notenblättern und Partituren brütende Komponist scheint Lichtjahre entfernt von Klangschöpfern des 21. Jahrhunderts. Während etwa Mozart sich die Partituren zunächst vorstellen und dann das Erdachte einem Orchester in die Hand geben musste, erledigen seine Komponisten-Enkel diese Schritte und sogar die weltweite Vermarktung allein mit ein paar Tastengriffen an Computer und Keyboard zu Hause. Was viele als Riesenchance sehen, bewerten Experten der Internationalen Organisation zum Schutz geistigen Eigentums (WIPO) in Genf als Anfang vom Ende der gerechten Bewertung von kultureller Kreativität.
Zwar biete die neue Technik samt digitalem Tonstudio in den eigenen vier Wänden einen bislang nie gekannten "Talentschuppen", doch die Kehrseite der Medaille sei die Piraterie. "Wer seine selbst komponierte Musik freiwillig weltweit über das Internet zugänglich macht, sollte sich mit den Gesetzen auskennen und der Folgen bewusst sein", erläutert der Direktor der Abteilung für Copyright-Gesetze, Jorgen Blomquist, am Rande einer Ausstellung der UN-Organisation zum Thema "Musik im digitalen Zeitalter".
Ohne Copyright sei die kreative Leistung nicht zu schützen. Eine gerechte Anerkennung ist nach Angaben der UN-Organisation so kaum zu erwarten. Größer ist das Problem jedoch für die, deren geistige Errungenschaften ohne ihr Einverständnis um die Welt geschickt und von Musikfreunden kostenlos kopiert statt gekauft werden.
Im Fall der Musiktauschbörse "Napster", über deren Internetseite sich Millionen meist jugendliche Musikfans ihr persönliches Musikarchiv auf die Festplatte laden, haben die Gerichte noch nicht endgültig entschieden. Der Betreiber berief sich bisher darauf, nur die Verbindung zwischen Interessenten und Besitzern von Musiktiteln herzustellen, und nicht selbst die Stücke zu vermarkten. Mit dem Einstieg des Musikriesen Bertelsmann wird diesem freien Tauschhandel mit Musik aber wohl bald ein Riegel vorgeschoben. Wie viele neue Tauschbörsen künftig jedoch im weltweiten Datennetz entstehen werden, kann keiner voraussagen.
Internet- und Musikexperte David Granite weiß zurzeit genau, wie er an all die Songs und Videos seiner Lieblingsstars kommt – und mehr: "Das ist schon beängstigend", sagt er, als er sich am Ausstellungsrechner sekundenschnell mit knapp 2000 anderen Computern weltweit direkt verbindet und frei aus deren Angebot Software, Songs, Bilder, Spiele oder auch Texte "downloaden" kann. Die Software "gnutella" biete diesen zweifelhaften Service, der den Hütern der Nutzungsrechte Zornesröte ins Gesicht treibt. "Alles kostenlos" ist Hauptargument der Surfer, berichtet Granite.
Eine Möglichkeit der Ahndung gibt es bei den anonymisierten Tauschangeboten kaum, denn ein Anbieter sei nicht zu erkennen. "Wir müssen an die jungen Menschen appellieren, die geistigen Leistungen anderer zu respektieren und für deren Nutzung dann auch gerecht zu zahlen", beschreibt WIPO-Ratsmitglied John Tarpey ein wenig aussichtsreiches Ziel der UN-Organisation.
Denn längst nicht nur die Jugendlichen sind es, die nach Erkenntnissen von Blomquist per Internet-Piraterie Copyrights und Marktgesetze missachten: "In den USA ist der Handel mit Mustern für Kreuzstickerei erheblich gestört worden, weil die Damen sich über das Internet versorgen." Seiner Ansicht nach liegt in der künftigen Entwicklung der Technologie – mit einer wirksamen Abschottung unberechtigter Nutzer - und nicht in Gesetzen die Hoffnung auf den Schutz der Künstler-Urheberrechte.
Und genau dies hofft die Industrie nun erreicht zu haben – zumindest bei neuen, offiziell von den Plattenfirmen im Internet freigegebenen Musikdateien. Auf der weltgrößten Musikmesse Midem wurden in der vergangenen Woche Technologien vorgestellt, mit denen jedes einzelne Musikstück wirksam verschlüsselt und gegen unbefugten Zugriff geschützt werden kann. Aber die bisher frei zugänglichen, illegalen Songs werden – zumindest auf absehbare Zeit – weiterhin frei im Internet umherschwirren. (Jutta Steinhoff, dpa) / (wst)