Spiel mit der Zeit

In seinem neuen Roman zeigt Cyberpunk-Erfinder William Gibson, dass er sein GespĂĽr fĂĽr die Zukunft nicht verloren hat.

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Seit William Gibson 1984 seinen Science-Fiction-Roman "Neuromancer" veröffentlicht hat, gilt er als der "Prophet" des Genres. Denn der Mann hat nicht nur eine Nase für technische Entwicklungen, sondern auch ein geradezu unheimliches Gespür für gesellschaftliche Entwicklungen.

Seit Beginn der 2000er schrieb Gibson allerdings nur noch in der Gegenwart angesiedelte Thriller. Mit seinem neuen Roman "Peripherie" ist er endlich zu seinen Wurzeln zurĂĽckgekehrt.

Der Roman spielt entlang zweier paralleler Zeitlinien. Die erste ist die Welt von Flynne. Sie lebt an der amerikanischen Ostküste, in einem Land, dessen industrielle Produktion fast zusammengebrochen ist. Alltags-gegenstände werden "gefabbt", jeder schlägt sich durch, so gut er kann. Flynnes Bruder Burton testet heimlich Computerspiele, um seine spärliche Veteranenrente aufzubessern.

Flynne springt eines Tages für ihn ein, findet sich in einer virtuellen Welt wieder, die an London erinnert – und wird die einzige Zeugin eines Mordes. Sie ahnt nicht, dass diese Welt die Zukunft ist – die zweite Zeitlinie. Dort sind 80 Prozent aller Menschen durch eine nur lapidar "Jackpot" genannte Katastrophe gestorben. "Kein Kometeneinschlag, nichts, was man wirklich als Atomkrieg bezeichnen konnte. Einfach nur alles andere, was mit dem Klimawandel verquickt war."

Die verbliebene menschliche Gesellschaft wird jedoch gerettet, denn "während alles immer tiefer in die Scheiße getaumelt war und sich die Geschichte in ein Schlachthaus verwandelt hatte, explodierte die Wissenschaft regelrecht", schreibt Gibson. Und so richtet sich in den Ruinen von London eine dekadente Stadtgesellschaft ein, die sich die Zeit damit vertreibt, über einen "Quantenserver in China" die Vergangenheit zu kontaktieren und deren Menschen für sich arbeiten zu lassen, indem sie sich über "Peripherie" genannte Telepräsenzkörper in ihre Welt einloggen. Der PR-Agent Wilf Netherton kontaktiert Flynne, um den Mord an seiner Klientin aufzuklären.

"The Peripheral" ist bereits 2014 auf Englisch erschienen, doch es hat sich gelohnt, auf die deutsche Fassung zu warten. Denn Gibson ist nicht leicht zu lesen: "Sie glaubten, dass Flynnes Bruder keine posttraumatische Störung hatte, sondern dass ihn die Haptics manchmal glitchten", beginnt der Roman. "So was wie Phantomschmerzen, sagten sie, die von den Tattoos kamen, die er im Krieg hatte und die ihm sagten, wann er den Angriff beginnen sollte und wann stillhalten."

Aber die Mühe lohnt sich. Gibson legt eine ausgeprägte Lust an Sprachschöpfungen an den Tag, skizziert technische Erklärungen und mischt sie mit fiktiven historischen Puzzleteilen, um ein atmosphärisch dichtes Netz zu knüpfen – eine "großartige Reise durch die Zukunft", wie der "Guardian" schreibt. Dass der zugrunde liegende Thriller recht konventionell ist, kann man dem Autor daher leicht verzeihen.

William Gibson: Peripherie, Tropen Verlag, 24,95 Euro (E-Book 19,99 Euro) (bsc)