Polizeispionage: Kanadische Journalisten durften auch abgehört werden

Der Skandal um Polizeispionage in Quebec hat eine neue Dimension: Entgegen der Beteuerungen durften Journalisten auch abgehört werden. Der Bürgermeister steht trotzdem hinter dem Polizeichef und hat eine Untersuchung abgeblasen.

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Hochhäuser

Stadtzentrum Montreals bei Nacht

(Bild: Artur Staszewski CC-BY-SA 2.0)

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Für ihren Angriff auf das Redaktionsgeheimnis hat sich die Polizei Montreals (SPVM) noch größere Waffen besorgt, als sie zugegeben hat: Sie hatte auch eine richterliche Genehmigung für einen Lauschangriff auf die Handys zweier Journalisten. Genau das hatte der Polizeichef Philippe Pichet Ende Oktober noch in Abrede gestellt. Er genießt trotzdem die Unterstützung von Bürgermeister Denis Coderre.

Ende Oktober hatte die Zeitung La Presse entdeckt, dass ihr Mitarbeiter Patrick Lagacé monatelang überwacht wurde. Die SPVM fragte alle Telefonnummern, die mit Lagacés Handy in Kontakt standen, live ab und überprüfte sie dann. Außerdem hatte sie eine Genehmigung, das GPS Lagacés Handys aus der Ferne zu aktivieren, um so seinen Aufenthaltsort zu überwachen. Unstrittig ist, dass gegen Lagacé nie etwas vorlag.

Die öffentliche Aufregung in Kanada war und ist groß. Die SPVM stellte die Überwachung zunächst als Einzelfall im Rahmen einer internen Ermittlung gegen straffällige Polizisten dar. Die beantragte GPS-Überwachung sei nicht durchgeführt worden. Polizisten besuchten Lagacé und gaben vor, ihm alle Details zu erläutern. Gegenüber anderen Journalisten sagte SPVM-Chef Pichet laut La Presse: "Es war nie die Frage des elektronischen Abhörens, und es gab nie eine Beschattung des Journalisten".

Bald stellte sich heraus, dass es kein Einzelfall war. Im Dezember 2014 hatte die SPVM auf der Jagd nach Whistleblowern die Telefonkontakte eines weiteren unschuldigen Journalisten überwacht. Die Provinzpolizei SQ hatte noch mehr zu beichten.

Doch nun zeigt sich, dass die Polizei Montreals auch nach Auffliegen des Skandals unaufrichtig gewesen sein dürfte. La Presse hat eine richterliche Genehmigung vom Mai gefunden, die der Darstellung des Polizeichefs widerspricht: Die SPVM durfte demnach die Telefonate Lagacés und seines Kollegen Vincent Larouches abhören, wenn sie mit einem der verdächtigten Polizisten sprechen sollten.

Montreals Bürgermeister Denis Coderre bei einem Besuch in Ontario

(Bild: Alex Guibord CC-BY 2.0)

Ob die Abhörgenehmigung umgesetzt wurde, ist offen. Lagacé und Larouche wurden nicht über einen Lauschangriff informiert. Das ist gesetzlich binnen 90 Tagen vorgeschrieben. Die SPVM gibt an, Lagacé nicht abgehört zu haben, will sich aber nicht weiter zu der Sache äußern.

Die Rufe nach einem Rücktritt von Polizeichef Pichet sind noch lauter geworden. Auch die Polizeigewerkschaft übt deutliche Kritik. Doch Bürgermeister Coderre hält Pichet die Stange und lehnt dessen Rücktritt als "öffentliches Lynchen" ab. Darüber hinaus hat der Bürgermeister eine zunächst angekündigte Untersuchung der Vorfälle wieder abgesagt. Die kommunale Untersuchung sei unnötig, weil sich die Untersuchungskommission der Provinz auch mit der SPVM befassen werde. (ds)