EuGH schränkt Digitalisierung vergriffener Werke ein

Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass vergriffene Bücher laut der EU-Urheberrechtsrichtlinie nur dann digital vervielfältigt werden dürfen, wenn die Autoren vorab davon wissen und widersprechen können.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 46 Kommentare lesen
EuGH schränkt Digitalisierung vergriffener Werke ein
Lesezeit: 3 Min.

Im Handel nicht mehr erhältliche Bücher dürfen nur digitalisiert werden, wenn die Urheber darüber "tatsächlich informiert" sind und dieses "ohne Förmlichkeiten" unterbinden können. Dies hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem am Mittwoch ergangenen Urteil (Az.: C-301/15) verdeutlicht. Der Autor könne "implizit" zustimmen, indem er nicht widerspreche – vorausgesetzt, dass er durch einen Dritten über den Plan und den einfach nutzbaren Opt-out informiert wurde.

Die Luxemburger Richter haben damit zwei Autoren Recht gegeben, die wegen eines französischen Dekrets den Verfassungsrat in Paris angerufen hatten. Ihr Fall gelangte so bis an den EuGH. Laut dem Dekret ist die Verwertungsgesellschaft Sofia damit betraut, Kopien und die Wiedergabe von vergriffenen Büchern im Gegenzug für eine pauschale Urhebervergütung zu erlauben. Die Verfasser oder andere Rechteinhaber können sich dem nur widersetzen, wenn sie binnen sechs Monaten nach der Aufnahme ihrer Bücher in eine dafür eingerichtete Datenbank Einspruch erheben.

Wenn Autoren der Digitalisierung nicht widersprächen, bedeutet das nach Ansicht des EuGH nicht automatisch, dass sie implizit zustimmten. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass sämtliche Autoren, die das Opt-out-Verfahren nicht beanspruchen, tatsächlich damit einverstanden seien, ihre Werke "zwecks gewerbsmäßiger Nutzung" in digitaler Form "wiederaufleben" zu lassen.

Es gebe zwar auch ein "kulturelles Interesse" der Verbraucher und der Gesellschaft, dass nicht mehr verfügbare Bücher digital nutzbar seien, räumen die Richter ein. Dafür müsse der EU-Gesetzgeber aber eine explizite Ausnahme vom exklusiven Verwertungsanspruch der Rechteinhaber vorsehen, was bislang nicht der Fall sei. Das französische Dekret ist nach EuGH-Ansicht zudem auch deswegen nicht mit den EU-Vorgaben vereinbar, weil ein Autor nachweisen müsse, dass er alleiniger Inhaber der Rechte an den Werken sei. Es könne nicht sein, dass andernfalls etwa auch die Herausgeber noch ein Mitspracherecht hätten.

Das Urteil könnte weit über die französische Regel hinaus Wirkung entfalten und viele Formen der kollektiven Rechteverwertung bis hin zu einer "Kulturflatrate" in Frage stellen, in die Verwertungsgesellschaften eingebunden sind. Neu bewertet werden müsste wohl etwa, ob die hiesige, 2013 beschlossene Urheberrechtsreform für verwaiste und vergriffene Werke Bestand haben kann.

Auch diese sieht vor, dass Verwertungsgesellschaften die Rechte an nicht mehr käuflichen Büchern verwalten sollen. Voraussetzung ist hier aber, dass sie vor 1966 erschienen sind und sich im Bestand öffentlicher Bibliotheken, Bildungseinrichtungen, Museen oder Archiven befinden. In Frankreich gelten momentan schon Werke als vergriffen, die vor Januar 2001 veröffentlicht wurden und nicht mehr kommerziell verfügbar sind.

Auf EU-Ebene gibt es bislang nur eine Richtlinie für verwaiste Werke. Die EU-Kommission will aber mit der geplanten Urheberrechtsreform auch zusätzlich ein verpflichtendes kollektives Rechtemanagement für vergriffene Bücher einführen, was die Entscheidung aus Luxemburg mit einer neuen Gesetzesgrundlage teils wieder obsolet machen könnte. (anw)