Domain-Rebellen, die ICANN und die digitale Spaltung

Geschäftemacher und ICANN-Gegner rufen zum Aufbau wilder Netzkolonien, doch die offenen Experimente können den Geist des Internet gefährden.

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Pascal Bernhard bringt die Stimmung zahlreicher Netzbürger auf den Punkt: "Wir sind es leid, auf neue Top Level Domains zu warten." Zumal die von der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) im November beschlossene, sich aber immer wieder verzögernde Erweiterung der Datenautobahn um sieben neue, auf Namen wie .aero, .biz, .coop, .museum oder .pro getaufte Spuren den deutschen Nutzern wenig bringe. Also hat der Geschäftsführer des Internet-Dienstleisters Cube zusammen mit den Chefs einer Handvoll weiterer Netzunternehmen einfach eine Registrierungsstelle für alternative gTLDs, das BeatNIC, gegründet.

Seit Ende vergangener Woche können Surfer bei dem virtuellen Zentrum kostenlos Adressen unter 20 neuen TLDs anmelden. Die bunte, tatsächlich weit gehend auf deutschsprachige Nutzer zugeschnittene Palette reicht von .auto, .bahn und .buch über .gbr oder .inmode bis hin zu .oeko und .pharma. Der Andrang übersteigt laut Bernhard alle Erwartungen: "Wir registrieren wie die Weltmeister." 2.000 neue Domains habe BeatNIC innerhalb der ersten Tage nach dem Startschuss bereits eingetragen.

Mit dem DeNIC, der Frankfurter Verwaltungsgesellschaft für bereits über vier Millionen Adressen innerhalb der .de-Domain, können die Revoluzzer damit zwar noch nicht konkurrieren. Doch BeatNIC ist keineswegs die einzige Alternative zu den von der ICANN gebilligten Verkäufern von Webimmobilien. Zu den Pionieren der Szene gehören neben dem AlterNIC oder der Open Root Server Confederation (ORSC), auf deren Idee auch BeatNIC aufbaut, der ehemalige New Yorker Netzkünstler Paul Garrin mit seinem Name.Space oder die US-Firma Image Online Design, die ohne offiziellen Segen die Domain .web betreibt. Doch bisher spielten die parallelen Netzwelten eine zu vernachlässigende Nebenrolle. Alternative Root-Server, schätzt Joe Baptista, der Betreiber der Domain .god, hätten im vergangenen Jahr nicht mehr als 5,5 Prozent des gesamten Netzverkehrs auf sich gezogen.

Doch Unternehmer aus Amerikas zerbröselnder New Economy wittern seit kurzem ihr großes Geschäft mit in Eigenregie vermarkteten Top Level Domains und starten ambitionierte Firmenprojekte, die einen neuen Hype rund um das "World Wide Web 2", wie der New Scientist das nennt, entfacht haben. Anfang März sorgte vor allem Bill Gross, Gründer des ums Überleben kämpfenden Inkubators IdeaLab für Schlagzeilen mit seiner Ankündigung, ins Registrierungsbusiness für neue, von ICANN nicht abgesegnete TLDs einzusteigen. Nach dem Scheitern des von IdeaLab betreuten Spielzeugversenders eToys soll nun das Startup New.net den Erfolg bringen. Die Firma aus dem kalifornischen Pasadena vertreibt über 20 übergeordnete Domains, darunter auch die von ICANN in der letzten Entscheidungsrunde nicht berücksichtigten Namensräume .kids, .shop und .xxx.

Die Häretiker können sich auf eine Welle des Misstrauens und des Protests gegen die kalifornische Netzverwaltung ICANN stützen, die selbst den amerikanischen Kongress und den Senat erreicht hat. Unbeliebt gemacht hat sich die heimliche Netzregierung bei ihren "Untertanen" vor allem durch die weit gehend willkürliche Auswahl der sieben offiziellen neuen gTLDs, durch ihre Nähe zur Industrie sowie dem von Rückschlägen gezeichneten Umgang mit der Nutzerbasis, gegen deren weitere Einflussnahme auf wichtige Entscheidungen sich die ICANN sperrt.

Doch der Staub, den Projekte wie New.net oder BeatNIC momentan aufwirbeln, bringt auch Kritiker der wild wachsenden Netzkolonien auf den Plan. Denn selbst wenn New.net TLDs wie .mp3 mit viel besuchten Sites wie MP3.com vermarkten will und Kooperationen mit den großen amerikanischen Providern Earthlink, Excite und Netzero abgeschlossen hat, sind die alternativen Domains für die Mehrheit der User bisher nicht erreichbar. Da sie von der ICANN, die in Absprache mit dem US-Wirtschaftsministerium und vertreten durch Verisign Global Registry über das allgemeine Domain Name System (DNS) wacht, nicht akzeptiert werden, landen sie nicht im a-Root-Server und auch nicht in der DNS-Server-Software der meisten Provider, die Domain-Abfragen weiterleitet und beantwortet. Interessierte Nutzer müssen ihre DNS-Einstellungen in der Regel manuell ändern, um die nicht-autorisierten Netzwelten zu erreichen.

Vint Cerf, Vorstandsvorsitzender der ICANN, hält die Bemühungen der alternativen Domainbetreiber daher schlicht für einen "Trick". Der Netzpionier befürchtet eine neue Form der digitalen Spaltung zwischen Surfern und Providern, die ihre Einstellungen für die Kolonialisten öffnen, und jenen, die bei den ICANN-Vorgaben bleiben. Das Eingeben einer URL könnte bei immer mehr Nutzern daher zu vollkommen unterschiedlichen Ergebnissen führen. Selbst beim Versenden einer E-Mail könne man sich beim Vordringen alternativer TLDs nicht mehr sicher sein, wo sie lande.

Auch Harald Summa vom Verband der deutschen Internet-Wirtschaft eco warnt ganz in diesem Sinne vor einem Zerfall des Internet, dessen Vorteil bisher ja eigentlich die Einigung auf offene, von allen Beteiligten akzeptierten Standards und die sich daraus ableitende, über allen Rechnersystemen stehende allgemeine Kommunikationsfähigkeit war. Bernhard vom BeatNIC hält die Warnungen vor einem "Namenschaos" dagegen für überzogen. Die Nutzer sind seiner Meinung nach nicht so dumm, als ob sie nicht zwischen den einzelnen Netzwelten und DNS-Servern unterscheiden könnten. Doch gleichzeitig kritisiert er New.net, da die Kalifornier keine Rücksicht darauf nähmen, welche TLDs bereits von welcher Organisation verwaltet würden. Um einen drohenden Domainkrieg und einen Wettlauf um die "betreuten" Namensräume zwischen den Rebellenorganisationen zu vermeiden, plädiert Bernhard für die Einberufung einer "Schlichtungsinstanz". Die solle vorgeben, wer welche Domains verwalten und auflösen dürfe. Auch die ICANN könne dabei eine Rolle spielen.

Doch damit sind die Demonstranten gegen das ICANN-Monopol wieder beim Ursprungsproblem angekommen. Denn ohne eine weit gehend zentralisierte Kontrollorganisation läuft letztlich auch im "chaotischen" Internet wenig. Ein Vorteil der Rebellenbewegung zeichnet sich aber bereits ab: Die ICANN-Entscheider spüren trotz aller zur Schau gestellten Lässigkeit den Druck von unten und dürften sich bei der zweiten Phase der Akkreditierung neuer gTLDs etwas beeilen. Technisch sehe er kein großes Problem mit Tausenden neuer Netzräume, sagte Cerf bereits direkt nach seiner Wahl zum ICANN-Vorsitzenden im November in einem Telepolis-Interview. Man wolle aber erst abwarten, welche Nachfrage tatsächlich bestehe und wie sich das Verkehrsaufkommen auf den neuen Autobahnspuren gestalte. Vielleicht geht die Prüfung des Ausbaus des Information Highway nun schneller. Verlauten ließ die ICANN während des gerade zu Ende gegangenen Treffens in Australien jedenfalls, dass die im November nicht berücksichtigten Antragsteller für neue TLDs keineswegs völlig aus dem Rennen seien und in der nächsten Runde am Zug sein könnten. (Stefan Krempl) / (jk)