Neue Risikokultur: EU-Kommission will Startups vor der Insolvenz retten

Gründer sollen nicht nur mehr Wagniskapital, sondern bei einer Pleite auch eine "zweite Chance" erhalten und nach höchstens drei Jahren vollständig von Schulden befreit werden. Dies sieht ein Maßnahmenpaket aus Brüssel vor.

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Gebäude der EU Kommission in Brüssel bei Nacht

(Bild: heise online)

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Die EU-Kommission hat am Dienstag eine umfassende Startup-Initiative auf den Weg gebracht. Sie will damit "den vielen innovativen Unternehmern in Europa die besten Chancen eröffnen, weltweit führend zu werden" und etwa erfolgreichen Internetkonzernen aus den USA wie Amazon oder Google die Stirn bieten zu können. Die Schwerpunkte des Maßnahmen- und Gesetzespakets liegen in den Bereichen Insolvenzrecht, Wagniskapital und Besteuerung.

Teil des Vorhabens ist ein Entwurf für eine Richtlinie, mit dem Firmenpleiten im Vorfeld einfacher abgewendet oder ihre Folgen gemildert werden sollen. Die Kommission spricht hier von einer "zweiten Chance für Unternehmer". Firmen, die in finanziellen Schwierigkeiten geraten, sollten sich frühzeitig umstrukturieren und im Rahmen einer "Atempause" eine Insolvenz und Entlassungen vermeiden können. Gründer, bei denen sich der geschäftliche Erfolg bei ihren bisherigen Versuchen nicht einstellte, will die Brüsseler Regierungsinstitution zudem nach maximal drei Jahren voll entschulden.

"Derzeit gibt die Hälfte der Europäer an, dass sie aus Angst vor dem Scheitern kein Unternehmen gründen würden", begründet die Kommission ihren weitreichenden Schritt für eine neue Insolvenzverordnung. Übermäßig lange und teure Verfahren in vielen Mitgliedstaaten, die zu Rechtsunsicherheit für Gläubiger und Anleger sowie zu niedrigen Einbringungsquoten und nicht beglichenen Schulden führten, müssten der Vergangenheit angehören. "Frühwarnsysteme" sollten vorab insbesondere kleinen und mittleren Unternehmen helfen, eine sich verschlechternde Geschäftslage zu erkennen und gegenzusteuern. Arbeitnehmer würden dabei vollen Schutz genießen.

"Jedes Jahr werden in der EU 200.000 Unternehmen insolvent", erläuterte Justizkommissarin Vera Jourová. "Dabei gehen 1,7 Mio. Arbeitsplätze verloren", was oft "durch eine effizientere Insolvenz- und Umstrukturierungsverfahren vermieden werden könnte". Der Erste Kommissionsvize Frans Timmermans ergänzte: "Wir möchten gescheiterte Unternehmer dabei unterstützen, wieder schneller auf die Beine zu kommen und aufgrund ihrer Erfahrungen neu anzufangen." Beobachter betonen seit Langem, dass Europa eine neue Risikokultur brauche.

Zudem rufen die Kommission und die Europäische Investitionsbank-Gruppe einen EU-weiten Risikokapitaldachfonds ins Leben. Dabei will Brüssel mit bis zu 400 Millionen Euro die "Ankerinvestitionen" stellen. Die Partner aus der Kreditwirtschaft müssen mindestens dreimal so viel aus privaten Quellen einbringen. Die Kommission rechnet damit, dass sich so eine Risikokapital-Finanzierung von mindestens 1,6 Milliarden Euro mobilisieren lässt.

Der Wagniskapitalfonds soll von einem oder mehreren professionellen und erfahrenen Managern betreut werden, damit "eine wirklich marktgerechte Verwaltung gewährleistet ist". Er ergänzt der Kommission zufolge bestehende Finanzierungsinstrumente der EU wie den Europäischen Fonds für strategische Investitionen (EFSI), das Mittelstandsprogramm Cosme und das Forschungsrahmenprogramm Horizont 2020.

Die EU-Kommission arbeitet nach eigenen Angaben ferner an einer Reihe steuerlicher Vereinfachungen wie der gemeinsamen konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (GKKB). Mit diesem kürzlich vorgelegten Vorschlag würden kleine und innovative Unternehmen unterstützt, die international expandieren wollen. Ebenfalls geplant sei, die Mehrwertsteuer in der EU zu vereinfachen und die anstehenden Leitlinien zu bewährten Verfahrensweisen in den Steuerregelungen der Mitgliedstaaten für "Venture Capital" zu erweitern.

Gründern sollen auch mehr Hilfen gewährt werden, die teils noch komplexen Regulierungsanforderungen zu bewältigen. Die Kommission will zudem Ökosysteme fördern, in denen Startups mit potenziellen Partnern wie Investoren, Universitäten, Forschungszentren und Geschäftspartnern in Kontakt kommen können. Nicht zuletzt verspricht sie Maßnahmen einzuleiten, "um die Nutzung von Rechten des geistigen Eigentums" durch den Mittelstand zu beflügeln und für einen besseren Zugang von Startups zur Vergabe öffentlicher Aufträge in Europa zu sorgen. (jk)