"Kalten Krieg würde ich das nicht nennen"

Sicherheitsforscher Sandro Gaycken über die Fähigkeit, im Internet militärisch zu operieren, und was man gegen die gezielte Manipulation politischer Prozesse tun kann.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 2 Kommentare lesen
Lesezeit: 6 Min.
Inhaltsverzeichnis

Als Sandro Gaycken 2010 für TR seine Einschätzung zu Gegenwart und Zukunft des Cyberwar aufschrieb, arbeitete er noch als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Stuttgart. Heute leitet Gaycken das "Digital Society"-Institut an der privaten ESMT-Hochschule Berlin. Auf der von ihm organisierten Tagung "Defending Democracy" diskutierten Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik Ende November in Berlin über die veränderte Bedrohungslage im Cyberspace, und wie Deutschland ihr begegnen kann.

Technology Review: Herr Gaycken, die von Ihnen geleitete Tagung steht unter der Überschrift "Defending Democracy". Sie findet statt, kurz nachdem unbekannte Hacker mit gestohlenen Daten in den US-Wahlkampf eingegriffen haben. Sie selbst sprechen von einem generellen Marktversagen bei Sicherheitssoftware. Wie steht es um die Sicherheit im Cyberspace?

Sandro Gaycken

(Bild: Dirk Haeger / re:publica 2011 / Flickr / cc-by-2.0)

Sandro Gaycken: Wir sind natürlich alles ruhige und gefasste Leute hier, deswegen betrachten wir die Lage mit professioneller Distanz. International hatten wir allerdings tatsächlich eine Reihe sehr ernster Vorfälle, die hierzulande gar nicht richtig bekannt wurden. Und auch national haben wir relativ viel zu tun mit Industriespionage, wir machen uns Sorgen über Digitalisierungsprojekte in der Industrie, wo es zahlreiche Schwachstellen und Angriffspunkte gibt. Die Schwächen und Angriffspunkte sind ja im Prinzip bekannt, und es gab auch schon erste Angriffe und Sabotageversuche. Von daher ist die Aufregung hinter den Kulissen sicherlich ein bisschen größer.

Bleiben wir bei den internationalen, politischen Konflikten. Viele Fachleute vergleichen die Situation mittlerweile mit dem kalten Krieg. Stimmt das? Befinden wir uns in einer Art "Cold Cyber War"?

Noch nicht, aber die Entwicklung geht in diese Richtung. Wir haben relativ harte Auseinandersetzungen zwischen den beiden Supermächten. Man weiß natürlich nicht, wie das mit der neuen US-Regierung weitergeht, ob die nicht vielleicht einen Riegel vorschiebt und das wieder beendet – was sicherlich gut wäre. Aber von daher ist das im Moment schwer einzuschätzen. Einen "kalten Krieg" würde ich das aber nicht nennen. Diese Einschätzung ist mir zu alarmistisch.

Wie ist denn Ihre persönliche Einschätzung: Stecken die Russen tatsächlich hinter dem DNC-Hack, der zur Veröffentlichung der für Hillary Clinton kritischen Podesta-Emails geführt hat?

Das kann ich natürlich auch nicht mit Sicherheit sagen. Für mich persönlich waren die Beweise nicht sehr überzeugend. Das hätte man auch faken können. Aber die ganze Aktion passt natürlich zum Vorgehen der Russen - das ist ja gewissermaßen alte Schule bei denen. Es gibt natürlich auch die Möglichkeit, dass da eine dritte Partei beteiligt war, aber das müsste eine extrem mutige dritte Partei sein, die sich gleichzeitig mit dem russischen Geheimdienst und der CIA anlegt.

Eine Reaktion auf die wachsende Unsicherheit scheint zu sein, dass alle möglichen Staaten ihre offensiven Fähigkeiten im Cyberspace weiter entwickeln – darunter auch Deutschland. Halten Sie das für eine gute Idee, oder erhöht das eher die Gefahr?

Das finde ich nicht. Es ergibt absolut Sinn, das Arsenal der militärischen Mittel auch um Cyber-Fähigkeiten zu erweitern. Das sind – aus der Perspektive der Kriegsführung – sehr elegante, wenig eskalative und nicht-lethale Waffen. Mir ist lieber, ein Cyberangriff geht irgendwo rein, als eine Rakete.