Verfassungsbeschwerde: 30.000 Bürger wehren sich gegen die Vorratsdatenspeicherung

Digitalcourage und der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung ziehen mit fast 20 Mitbeschwerdeführern und 30.000 Unterstützern vors Bundesverfassungsgericht, um die Protokollierung von Nutzerspuren zu stoppen.

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Vorratsdatenspeicherung

(Bild: dpa, Matthias Balk)

Lesezeit: 3 Min.

Es ist nicht die erste, aber dafür die "größte" Verfassungsbeschwerde gegen das neue Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung. Am Montag wollen der Datenschutzverein Digitalcourage und der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung zusammen mit knapp 20 Mitbeschwerdeführern ihre Klageschrift beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe einreichen. Unterstützt wird die Initiative von rund 30.000 Bürgern mit ihrer Unterschrift. Das sind fast genauso viele wie bei der erfolgreichen "Massenbeschwerde" gegen das alte Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung 2008, bei der 34.443 gleichlautende Klageschriften zusammengekommen waren.

Zu den diesmaligen Beschwerdeführern gehören neben zwei Bundestagsabgeordneten der Linken, Unternehmern, Journalisten, Anwälten und Aktivisten bekannte Persönlichkeiten wie Schriftstellerin Juli Zeh, ver.di-Chef Frank Bsirske, der Ökonom und Jesuit Friedhelm Hengsbach oder der Kabarettist Marc-Uwe Kling. Die Klage richtet sich allgemein dagegen, dass die Vorratsdatenspeicherung wiedereingeführt und die einschlägigen Regeln spätestens vom 1. Juli 2017 an greifen sollen. "Es geht ums Ganze", betonen die Vertreter von Digitalcourage. Es dürfe nicht sein, dass die Telekommunikation hierzulande vom Sommer an nicht mehr vertraulich sei.

Im Fokus der Beschwerde steht auch, dass mit der grundrechtsverletzenden Maßnahme auf Basis der zu erhebenden Standortdaten der Tagesablauf von Mobilfunknutzern "vollständig zurückverfolgt" werden könnte. Auf Basis der Verbindungsdaten werde es zudem möglich, das Internetverhalten der Onliner komplett auszuforschen. Aufgrund technischer Eigenheiten bei der Vergabe von IP-Adressen müssten die Provider – praktisch entgegen der eigentlichen Gesetzesbestimmung – genau aufzeichnen, welche Webseiten oder Dienste in Anspruch genommen werden. Auch die Tatsache, dass die Kommunikation mit Berufsgeheimnisträgern wie Ärzten, Anwälten oder Journalisten erfasst wird, schieße übers Ziel hinaus.

Die Kläger stützen sich unter anderem auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Vorratsdatenspeicherung, wonach Verbindungs- und Standortinformationen allenfalls unter den Vorgaben "strikter Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit" aufbewahrt werden dürften. Die Beschwerdeführer machen zudem die vom Verfassungsgericht seit Längerem ins Spiel gebrachte Überwachungsgesamtrechnung auf. Sie wollen damit zeigen, dass das Maß voll ist, da in der Zwischenzeit zahlreiche weitere Gesetze zum Datensammeln und Abhören verabschiedet worden seien.

"Die Vorratsdatenspeicherung beschädigt das, was uns am meisten Sicherheit garantiert: Unsere Freiheit", erläuterte der Aktivist padeluun von Digitalcourage. "Kriminelle wissen die Überwachung zu umgehen, alle anderen werden unter Generalverdacht gestellt. Das beschädigt massiv Rechtsstaat und Demokratie." Die Pressefreiheit dürfe nicht "durch ungezügelte Datensammelwut" ausgehebelt werden, ergänzte Frank Überall, Bundesvorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV).

Gegen die neuen "Mindestspeicherfristen" sind bereits mehrere Verfassungsbeschwerden vor allem von Volks- und Medienvertretern sowie Juristen anhängig. Zugehörige Eilanträge haben die Karlsruher Richter abgelehnt, was die Erfolgsaussichten im Hauptverfahren aber nicht schmälert. Der Münchner Zugangsanbieter Spacenet hat zudem mit Hilfe des Providerverbands eco vor dem Verwaltungsgericht Köln gegen die Auflagen geklagt. Die neue Beschwerde ergänzt die bestehenden laut Rechtsanwalt Meinhard Starostik "um wichtige faktische Argumente".

[UPDATE: 28.11.2016, 16:10]

Ein Präzisierung hinzugefügt, dass die gesetzliche Bestimmung nicht die Erfassung von besuchten Webseiten oder Diensten erfordert. (axk)