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Was war. Was wird. What works for us?

Das Urteil der Geschichte? Das fällt hart aus. So wird mancher von der einen Seite bejubelt, von der anderen verdammt, jeder lebt in seiner eigenen Filterblase. Dass es oft das Zwischendrin ist, macht für Hal Faber den Reiz der Geschichte aus.

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Was war. Was wird. What works for us?

Unter'm Pflaster liegt der Strand, hinter'm bröckelnden Putz nur eine weitere Mauer

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Socialismo o muerte! Wie wurde noch im Sommer der Geburtstag von Fidel Castro zünftig gefeiert! Der Mann, der zum Start der Präsidentschaft von Barack Obama noch befürchtete, das Ende von Obama nicht mehr zur erleben, hat auch das noch geschafft. Erspart bleibt ihm, einen Präsidenten Donald Trump zu erleben, der mit dem Bau von Casinos reich geworden ist, eben solchen Geldwaschanlagen der Mafia, die Castro von seiner Insel verbannte. So musste die Mafia nach Las Vegas umziehen und das viele Geld verdienen, mit dem schlussendlich dank Sheldon Adelson der Wahlkampf von Donald Trump finanziert werden konnte. So hängt das eine mit dem anderen zusammen im real existierenden Kapitalismus und auch die IT ist mittenmang, schließlich kaufte Adelson die West Coast Faire und machte mit der Comdex fette Gewinne.

*** Die Revolution ist nicht auf Rosen gebettet, und wenn, dann bleiben am Ende die Dornen über. Fidel Castro war kein Guter, weder 1959 noch in späteren Jahren. Homosexuelle hatten unter ihm nichts zu lachen und kamen in Umorientierungslager, mindestens 5000 Oppositionelle kamen ins Gefängnis. Kubas Sozialismus mit Volksbildung und Volksmedizin überlebte im Kalten Krieg das US-Embargo dank der Sowjetunion und später dank lateinamerikanischer Solidarität. Aber Castro war einer, der die Widersprüche analysieren konnte und selbst klarsichtig das Ende des kubanischen Modells kommen sah, auch wenn diese Aussage später dementiert wurde. Angeblich war es ein ironischer Spruch gewesen, der falsch ankam, weil Journalisten nun einmal keine Ironie verstehen. Sei's drum, die Analyse der Lage in Kuba stimmte. Was lernen wir also aus der Geschichte, außer dass sie niemanden freisprechen kann? Das Urteil der Geschichte steht immer aus.

*** Wie wäre es mit dieser Analyse, von einem linken Philosophen im Jahre 1998 über die Vereinigten Staaten von Amerika geschrieben. Was passiert, wenn die ungelernten Arbeitskräfte lernen, dass der Staat nicht daran interessiert ist, ihnen Sicherheit zu geben. Wenn der Staat Unternehmen nicht daran hindert, Arbeitsplätze in Billiglohnländer zu verlagern, wenn klar wird, dass Büroangestellte nicht daran interessiert sind, die soziale Unterstützung von anderen zu übernehmen? "An diesem Punkt wird etwas zerbrechen. Die nichtstädtischen Wähler werden für sich entscheiden, dass das System versagt hat und sich nach einem starken Mann umschauen, den man wählen kann – jemanden, der ihnen versichert, dass er, sobald er gewählt ist, den selbstgefälligen Bürokraten, tricksenden Anwälten, überbezahlten Versicherungsverkäufern und postmodernistischen Professoren zeigt, dass sie nicht länger das Sagen haben." Unter dem idiotischen deutschen Titel "Stolz auf unser Land" hat Richard Rorty Donald Trump vorab beschrieben, als er die amerikanischen Errungenschaften kritisch bewertete. Nun kommt er, der Präsident, bei dem die Vorstellung absurd ist, dass er eine Stunde lang über ein Problem nachdenken kann.

*** Seit Montagvormittag hat die deutsche Politik ein großes Problem. Das Problem hat einen Namen, kann nachdenken und Nachdenkliches zusammenhängend äußern, selbst auf Twitter: Edward Snowden darf von Vertretern der Opposition im NSA-Untersuchungsausschuss vorgeladen werden, der dieser Tage mit der Sensibiltätsfehlerkultur im Bundesnachrichtendienst beschäftigte. Komischer Name, aber es kommt noch besser, denn Snowden soll mit "niederigstschwelligen Angeboten" geködert worden sein, als Sachverständiger und nicht nur als Zeuge auszusagen, aus der Ferne. Aber bitte nicht in Deutschland vor Ort in Berlin, im hübschen Rondell des Untersuchungsausschusses, wie das Snowden über seinen Anwalt einfordert. Man spürt förmlich das Muffensausen einer anderen Rundung, wenn es heißt: "Allein die Tatsache, dass wir in Deutschland einen Untersuchungsausschuss haben, wird ja von der US-amerikanischen Seite schon als Affront gesehen. Die Tatsache, dass dieser Untersuchungsausschuss einstimmig Edward Snowden als Zeugen beschlossen hat, wird als Affront gesehen." Das ist schon ein anschwellender Keinbockgesang, die ach so wichtigen Beziehungen zur USA nicht zu verscherzen. Dort beginnen gerade die Vorarbeiten, Snowden zu "normalisieren".

*** Wer der Argumentation von Erich Möchel folgt, dass alles Gerede vom Cyberwar nur eine Spielart der modernen Diplomatie mit anderen Mitteln ist, kann die Bedeutung einer Einladung von Snowden, nach Deutschland zu kommen, als Souveränitätserklärung verstehen. Das wäre ein starkes Signal für Europa mit einem Deutschland, dessen künftiger Kanzler einem Edward Snowden politisches Asyl gewährt und ihn vor den US-Diensten schützt. Die Big Government schlicht damit übersetzen, dass jeder Bürger verdächtig ist. So etwas übersteigt natürlich den Horizont des ehemaligen BND-Chefs Gerhard Schindler, der Snowden für einen Straftäter hält. Ganz nebenbei erfahren wir im Interview, dass Schindler für Friedrich 30 arbeitet, einem Spezialisten für "Lobying, Security und Business Development". Sie nennen es Arbeit und geben ein hübsches Beispiel: "Ein Mandant aus der Sicherheitswirtschaft bietet Produkte und Lösungen zum physischen Schutz kritischer Infrastruktur. Für dieses Thema und die Leistung soll die Aufmerksamkeit erhöht werden, damit es zu noch größeren Investitionen in diesem Bereich kommt. friedrich30 formuliert die Strategie, identifiziert die Bedarfsträger und begleitet den gesamten Beschaffungs-/Vertriebsprozess."

Was wird.

Gleich am Montag ist Schindlers Nachfolger Bruno Kahl schwer beschäftigt. Der BND ist am 1. April 60 Jahre alt geworden, hat dieses Datum selbst aber noch nicht gebührend gewürdigt. Das wird nun nachgeholt, mit Sekt und leckeren Selektoren in einem Umspannwerk, also in einem ehemaligen Bau dieser kritischen Infrastrukturen. Mit von der Partie ist Kanzlerkandidatin Angela Merkel, die eine Rede halten wird. Vielleicht zum Thema "Spionieren unter Freunden, das geht gut" oder zum wunderbaren neuen BND-Gesetz unter dem Titel "Mit dem Datenstaubsauger für einen sauberen Cyberraum". Vielleicht erzählt Merkel auch die ach so lustige Biermann-Anekdote, dass die Stasi beim Hören der ersten Klänge der Stasi-Ballade nichts mit der Zeile "die Stasi ist mein Eckermann" anfangen konnte und sie als "die Stasi ist mein Henkersmann" transkribierte. Darüber hatte Merkel auf der Geburtstagsfeier des Barden ausgiebig gelacht. Wie gut, dass heute besseres Equipment zur Verfügung steht beim Abschnorcheln von "Auslandskontakten".

Der November geht, der Dezember kommt und mit ihm ein Hacker-Inferno in der Hansestadt Hamburg unter dem schönen Motto Works for me. In freier Wildbahn habe ich diese Definition zwar noch nie von einem Software-Entwickler gehört, aber Journalisten und Entwickler, das würde Bände füllen. Sind überhaupt Entwickler im Fokus eines Kongresses, "der für mich arbeitet" oder "das hat für mich funktioniert"? Wer das Inferno des Ticketverkaufs erfolgreich überstanden hat, wird eifrig im Halfnarp des 33C3 disponieren, der Rest wartet in Ruhe auf den endgültigen Fahrplan und sucht sich interessante, zukunftsweisende Streams heraus wie das Hacken des Fintech-Unternehmens N26.

Schaut man in das Heiseforum zur Meldung, überwiegt die leise Skepsis über die eingeschlagene Richtung, die meiner Ansicht nach nicht von Arroganz geprägt ist, sondern von der Erfahrung vergangener Kongress-Besuche. Dagegen wehrte sich Althacker erdgeist vehement und verteidigte die All-Inklusiv-Strategie des CCC gegen Forderungen nach einem "Altnerd-Brexit". Rätselhaft nur, was die Arroganz und vermutete Pöbelei anbelangt. Die eingeschlagene "breite" Strategie könnte eines Tages dazu führen, dass der Club in Hannover auf dem Messegelände etwas veranstalten kann, was größer als die CeBIT ist, mit eigener creepercardfreier LGBT-Halle. Works for them. (jk)