"Siemens ist und bleibt ein Familienunternehmen"

Offizier, Erfinder, Wissenschaftler, Firmengründer und Familienmensch – das alles verbindet sich in der Person von Werner von Siemens. Zu seinem 200. Geburtstag am 13. Dezember traf ihn Gregor Honsel zum fiktiven Interview.

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Technology Review: Herr Siemens, Sie haben gestern Ihre Antrittsrede als Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften gehalten – eine Ehre, die sonst nur Gelehrten zukommt, selten Ingenieuren wie Ihnen. Wie fühlen Sie sich?

Siemens: Schlecht, sehr schlecht. Kurz vor der Rede habe ich eine Depesche erhalten: Die "Faraday" soll bei unserem ersten Versuch, ein Transatlantikkabel zu verlegen, untergegangen sein – mit meinem Bruder Carl an Bord. Ich brauchte all meine Selbstbeherrschung, um die Rede überhaupt halten zu können.

Vielleicht ist das ja eine Falschmeldung, die Ihre Konkurrenten lanciert haben. In der Branche soll es ja rau zugehen.

Oh ja. Carl sagte einmal, dass ihn jedes Jahr im Kabelgeschäft zwei Jahre seines Lebens kosten würden. Unsere Gegner schrecken nicht einmal vor Sabotage zurück. Dabei ist die Arbeit auch so schon schwierig genug: Vor ein paar Wochen ist uns mitten auf dem Atlantik ein Kabel gerissen – bei einer Meerestiefe von 18 000 Fuß. Das war ein harter Schlag für unser Ansehen und unseren geschäftlichen Kredit.

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Werner von Siemens: Meilensteine seines Lebens

13. Dezember 1816: Siemens wird in Lenthe bei Hannover als viertes von 14 Kindern geboren. 1834 Eintritt als Offiziersanwärter in die preußische Armee.
1835: Besuch der Ingenieurschule.
1842: Festungshaft in Magdeburg.
1847: Gemeinsam mit dem Feinmechaniker Johann Georg Halske Gründung der "Telegraphen-Bauanstalt von Siemens & Halske".
1848: Als Leutnant vermint er den Kieler Hafen mit selbst entwickelten, elektrisch fernzündbaren Sprengsätzen, um einen dänischen Angriff zu verhindern.
1859: Siemens stellt die nach ihm benannte Maßeinheit für elektrische Leitfähigkeit auf.
1866: Entdeckung des dynamo-elektrischen Prinzips.
1874: Aufnahme in die Akademie der Wissenschaften; Verlegung des ersten von mehreren Transatlantikkabeln durch die "Faraday". Ein Bericht über ihren Untergang entpuppt sich als Falschmeldung.
1888: Erhebung in den Adel.
1890: Übergabe der Firmenleitung an zwei seiner Söhne.
6. Dezember 1892: Werner von Siemens stirbt in Berlin.

So schlimm?

Es ging um alles. Mein Bruder Wilhelm meinte schon, wir sollten das Kabel aufgeben. Doch Carl ist stur – er fischte mit einem Suchanker nach dem Kabelrest. Es dauerte Stunden, bis der Anker überhaupt den Grund erreichte. Dann gelang Carl das Unglaubliche: Er konnte das Kabel ungebrochen bergen. Was wir bis dahin alles durchgestanden hatten!

Wie lange wollen Sie sich das noch antun?

Nicht mehr lange, denn ich habe eine aussichtsreiche Erfindung gemacht: das dynamo-elektrische Prinzip. Damit können wir elektrische Ströme von praktisch beliebiger Menge und Stärke auf billige und bequeme Weise erzeugen. Stellen Sie sich vor, was man damit alles bewerkstelligen kann: Fabriken und kleine Handwerker bräuchten keine Dampfmaschinen mehr, sondern könnten Elektromotoren benutzen; die gefährlichen Gaslampen ließen sich durch elektrisches Licht ersetzen; strombetriebene Bahnen könnten irgendwann auch Pferdefuhrwerke überflüssig machen.

Um diese Visionen zu verwirklichen, bräuchte Siemens aber viel Kapital, etwa für die Entwicklung neuer Produkte, aber auch für Werbung. Wäre es da nicht naheliegend, an die Börse zu gehen oder weitere Gesellschafter in die Firma aufzunehmen?

Niemals! Siemens ist und bleibt ein Familienunternehmen. Und Reklame haben wir für uns noch nie gemacht – außer durch gute Leistung.

Werner von Siemens (5 Bilder)

Werner von Siemens (Porträt von Giacomo Brogi)

Sie leiten mittlerweile einen Weltkonzern mit knapp 700 Mitarbeitern allein in Deutschland. Dennoch sind alle wichtigen Posten mit Verwandten oder engen Freunden besetzt. Ist das noch zeitgemäß?

Ohne meine Familie wäre die Firma nicht da, wo sie jetzt steht. Schon das Startkapital kam aus der Verwandtschaft. Und Carl zum Beispiel ging mit gerade 23 Jahren nach St. Petersburg und baute von da aus fast im Alleingang unser russisches Geschäft auf. Wilhelm hat sich in London als angesehener Ingenieur etabliert. Ich frage Sie: Wo sonst würde ich solche loyalen, einsatzbereiten und fähigen Mitarbeiter finden? Zeigen Sie mir welche, und ich stelle sie sofort ein.

Siemens Brothers in London und Siemens & Halske in Berlin sind ja längst selbstständige Gesellschaften mit eigenen Interessen. Ganz so harmonisch scheint es zwischen Ihnen ja doch nicht herzugehen. Die Londoner fühlen sich, wie man hört, vom Berliner Stammhaus gegängelt und ausgebremst. Ist Ihnen der Familienverbund denn wichtiger als betriebswirtschaftliche Vernunft?

Ich bleibe dabei: Wir werden nur Erfolg haben, wenn wir als Familie zusammenarbeiten, und nicht, wenn jeder seine eigenen Wege geht. Ich selbst habe dabei auch oft genug meine eigenen Interessen hintangestellt und bin für meine Angehörigen in die Bresche gesprungen. Und mit Wilhelm konnte ich bisher noch jeden Streit einvernehmlich unter Brüdern aus der Welt schaffen.

In Ihrem Stammgeschäft, dem Bau von Telegrafenleitungen, gibt es eigentlich nur Staat und Militär als Auftraggeber. Wie halten Sie sich diese gewogen?

Sie glauben doch nicht, wir hätten unsere Aufträge nur durch Bestechung bekommen? Das wäre eine infame Unterstellung! Wir haben die Verhandlungen stets direkt mit den obersten Staatsbehörden geführt, und da hatten wir so etwas gar nicht nötig – unser guter Ruf war ausreichend. Höchstens bei den unteren Beamten haben wir uns in landesüblicher Weise für ihre Dienste erkenntlich gezeigt.

In landesüblicher Weise erkenntlich gezeigt? So, so. Mit dem Gesetz sind Sie jedenfalls schon früh in Konflikt gekommen. Es heißt, Sie hätten Ihre erste große Erfindung im Gefängnis gemacht.

Ich bitte Sie, das war doch ein Kavaliersdelikt und ist schon lange her. Ich war als junger Offizier verbotenerweise Sekundant bei einem Duell und erhielt zehn Jahre Festungshaft. Davon musste man in solchen Fällen meistens nur sechs Monate absitzen. So hatte ich endlich einmal Ruhe für meine Forschung.

Der Knast als Labor?

Warum denn nicht? Ich ließ mir die nötigen Chemikalien in die Zelle kommen und erfand eine Methode zur galvanischen Vergoldung von Metallen. Ärgerlicherweise wurde ich schon nach einem Monat begnadigt und musste Hals über Kopf die Zelle räumen – mein Gesuch um eine Verlängerung hatte der Festungskommandant abgelehnt.

Wie ungerecht.

Sie sagen es. Immerhin konnte ich das Verfahren noch während der Haft an einen Juwelier verkaufen, später konnte es Wilhelm in England zu Geld machen. Das war der Grundstein für unsere gemeinsamen Unternehmungen. Wer weiß, was ohne diese Haft aus mir geworden wäre? Aber ich kann Sie beruhigen: Ich bleibe trotzdem ein gesetzestreuer Patriot.

(grh)