Die Fahrzeugarchitektur des autonomen Fahrens

Die Anforderungen an den Systementwurf und die Softwareentwicklung im Automobil wachsen durch die drei wichtigsten Zukunftsthemen der Automobilbranche: autonomes Fahren, Software-Updates "over the air" und die Elektrifizierung des Antriebs.

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Die Fahrzeugarchitektur des autonomen Fahrens
Lesezeit: 14 Min.
Von
  • Rudolf Grave
Inhaltsverzeichnis

Die aktuelle E/E-Architektur (elektrisch/elektronisch) im Fahrzeug integriert eine oder einige wenige Fahrzeugfunktionen pro Steuergerät. Dadurch steigt die Zahl der Steuergeräte und der verteilten Softwarefunktionen ebenso wie die Komplexität der Vernetzung. Diese Architektur muss dabei zunehmend mehr Fahrerassistenzfunktionen übernehmen. Schätzungen zur Softwarekomplexität gehen von über 100 Millionen Programmzeilen aus, die in einem Premiumfahrzeug heute auf mehr als 100 Steuergeräte verteilt sind.

Derzeit werden noch einzelne oder eng verwandte Funktionen jeweils auf einem Steuergerät realisiert. Durch die Verfügbarkeit leistungsfähigerer Automotive-geeigneter Systems on a Chip (SOC, z. B. Renesas R-CAR H3, NXP BlueBox oder Nvidia Drive PX) und die Notwendigkeit, Gewicht zu sparen, beispielsweise durch die Reduktion von Steuergeräten oder Verkabelung, besteht der Wunsch zur Integration mehrerer Funktionen auf einem Domain-Controller (zuständig beispielsweise für Body, Chassis oder Engine) oder gar weniger Zentralrechner.

Dieser Paradigmenwechsel ändert die E/E-Architektur der Fahrzeuge erheblich. So halten serviceorientierte Kommunikation und dynamische Betriebssysteme Einzug, die wiederum die Anforderungen an Echtzeit, funktionale Sicherheit und Security erfüllen müssen. Der Einsatz dynamischer Steuergeräte ermöglicht zudem das Nachrüsten von Funktionen, die zum Zeitpunkt der Fahrzeugvorstellung noch nicht vorhanden sind.

Der folgende Artikel geht auf die verschiedenen Techniken für zukünftige E/E-Architekturen ein und stellt Änderungen sowie Risiken und neue Möglichkeiten dar.

Zukünftige E/E-Architektur im Fahrzeug (Abb. 1)

Die Abbildung 1 zeigt die wahrscheinliche zukünftige E/E-Architektur. Herzstück sind ein oder wenige Zentralrechner, die über ein fahrzeuginternes Ethernet-Backbone kommunizieren. Zentrales Element des Fahrzeugs wird das Gateway, das die User-Interface-Domain (Infotainment-System/Anbindung Smartphone) von der Drive-Domain (Antrieb, Bremse, Batteriemanagement) trennt und das Fahrzeug über die sogenannte Smart Antenna mit dem Backend-System des OEM verbindet. Kernaufgabe der Smart Antenna und des Gateways ist es, verschiedene Security-Ebenen wie Firewall und Intrusion Detection zu realisieren. Zudem werden Mechanismen für die sichere On-Board-Kommunikation zwischen den Steuergeräten zum Einsatz kommen.

Die Verbindung zum Backend-System ermöglicht viele neue Funktionen. Beispielsweise lässt sich das Fahrzeug mit Umgebungsdaten wie Straßenzustand, freien Parkplätze oder aktuellen Angeboten des Fahrzeugherstellers versorgen. Diese Online-Dienste und die Möglichkeit der Funktionsfreischaltung (z. B. Fahrerassistenzsysteme) geben den Fahrzeugherstellern die Gelegenheit, über den Verkaufszeitpunkt des Automobils hinaus auch während des Betriebs Umsatz zu generieren.

Die ständige Online-Verbindung zum Fahrzeug erlaubt es dem OEM, Nutzerdaten zu sammeln und somit mehr Informationen über Zuverlässigkeit und Verschleiß der verwendeten Komponenten zu bekommen. Fehlerquellen in Hard- und Software sowie dazugehörige Umgebungsdaten können über die Diagnoseschnittstelle erkannt, die Software beim Hersteller verbessert und zeitnah ein Update ins Auto geladen werden, ähnlich zu den Updates der Smartphone-Apps, an die sich Nutzer seit Jahren gewöhnt haben.